Akram Khans „Giselle“
Laurent Liotardo
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Kultur

Uraufführung im DACH-Raum: Khans „Giselle“

Einer der gefragtesten Choreographen, Akram Khan, gastiert mit einer Interpretation des Ballettklassikers „Giselle“ im Festspielhaus St. Pölten. Erstmals aufgeführt im deutschsprachigen Raum, verspricht es bildgewaltige Gesellschaftskritik.

Damit Akram Khan etwas anspricht, „muss es immer zugleich alt und modern“ sein, so der international gefeierte Tänzer und Star-Choreograph. Das trifft auch auf „Giselle“ zu, mit dem Khan und das English National Ballet am Freitag und Samstag im St. Pöltner Festspielhaus gastieren. Nicht viele Werke der frühen Romantik finden heute noch ihren Weg auf die Bühne. Wie sie für nachfolgende Generationen dennoch relevant bleiben, stellt Akram Khan mit seiner Bearbeitung von „Giselle“ unter Beweis.

2016 für das English National Ballet choreografiert und seither von London bis Auckland um die Welt gereist, ist die Kreation des britischen Choreografen mit indischen Wurzeln beinahe selbst ein moderner Klassiker geworden. Die beiden Aufführungen in St. Pölten sind nicht nur das Highlight der diesjährigen Festspielhaussaison, „Giselle“ ist damit auch erstmals im DACH-Raum (Deutschland, Österreich, Schweiz; Anm.) zu sehen.

Akram Khans „Giselle“
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Eine große Rolle spielen Wände und Mauern als Symbole für Freiheitsbeschränkungen

Klassisches Ballett mit internationalen Facetten

„Raffiniert verortet Khan das fantastisch-romantische Handlungsballett in einer abstrakten Version unserer Gegenwart“, verspricht das Programm. Bekannt für seinen ausdrucksstarken und vielschichtigen Stil vereint Khan auch in „Giselle“ sehr unterschiedliche Bewegungssprachen. „Spielerisch verwebt er klassisches Ballett mit indischem Kathak sowie Elementen aus industriellen Prozessen, höfischer Zeremonie und Volkstanz“, heißt es.

Damit bilden sich innerhalb des Tanzes ebenso Gegensätze wie in der Handlung, wenn Wanderarbeiterinnen einer Textilfabrik, die in prekären Verhältnissen leben und arbeiten, auf Wohlstand und Bürgertum treffen. Verwoben in eine Liebesgeschichte zwischen einer mittellosen Frau und einem reichen Mann entspinnen sich Fäden, die Akram Khan laut Vorankündigung „mit großem Gespür für das Erzählen von menschlichen Schicksalen“ zu einer mitreißenden und intensiven Handlung verwebt. Damit dringt der Choreograph „in die Psychologie seiner Charaktere ein, um ihre emotionalen Verstrickungen erlebbar zu machen“.

Stück wurzelt in Indien und England

Khans Neubearbeitung der Geschichte stellt eine Verbindung her zwischen Manchester, dem Zentrum der globalen Textilindustrie im 19. und frühen 20. Jahrhundert, und Bangladesch, dem Geburtsort von Khans Eltern und einem der wichtigsten Standorte für Fabriken und Nutznießer der heutigen globalen Bekleidungsindustrie.

Der Impuls, die Geschichte von „Giselle“ neu aufzugreifen, wurzelt für den international mehrfach ausgezeichneten Choreograophen laut Programm „in der derzeit weltweit prekären Situation von Migrant:innen und Geflohenen – in der Marginalisierung von Menschen, die Sicherheit an Orten suchen, die für sie hinter buchstäblichen und metaphorischen Mauern immer schwieriger zu erreichen sind“.

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„Giselle“ ist weit mehr als eine dramatische Liebesgeschichte
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Auf der Bühne stehen die Tänzerinnen und Tänzer des British National Ballet
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Um seine geliebte Giselle zu besuchen, verkleidet sich der wohlhabende Albrecht als Ausgestoßener
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Als die Textilfabrik schließt, dienen die Arbeiterinnen den Fabriksbesitzern als „Belustigung“
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Für Design und Kostüme verantwortlich ist Tim Yip, der bereits mit einem Oscar ausgezeichnet wurde
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Herausragende internationale Kritik

Gemeinsam mit einem hochkarätigen künstlerischen Team, darunter der Oscar-prämierte Ausstatter Tim Yip, inszeniert Akram Khan eine hochaktuelle Klassiker-Bearbeitung, die weitaus mehr als eine Geschichte über Liebe, Betrug und Vergebung ist: Khan, der in alten Mythen stets die Verbindung zu unserer Gegenwart sucht, wagt damit eine Parabel über Migration, Globalisierung und Macht, die ihrem Ruf als „Meisterwerk des Tanzes des 21. Jahrhunderts“ (The Mail on Sunday) nur allzu gerecht wird.

Die britische Zeitung „The Express" schrieb im September 2021: „Einer der großartigsten Choreografen und eine der lebendigsten Ballettcompagnien der Welt haben eine umwerfend ehrfurchtgebietende ‚Giselle‘ geschaffen. Ihre außergewöhnliche Alchemie hat uns visuelle Pracht und emotionale Wunder, durchdringende Konzepte und kraftvolles Storytelling beschert.“

Einen Eindruck davon machen kann man sich am 24. und 25. Februar – samt Einführungsgespräch vorab mit Bettina Masuch, der künstlerischen Leitung des Festspielhauses St. Pölten. In ihrer ersten Saison in dieser Funktion konnte sie mit Akram Khan einen der ganz großen Namen zeitgenössischen Tanzes in ihr Haus holen – und zementiert damit einmal mehr den Ruf ihres Hauses, auf diesem Sektor ganz vorne mitmischen zu wollen.