Landesgericht St. Pölten
ORF.at/Roland Winkler
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Gericht

Pflegeheim-Prozess: Zeuginnen schildern Übergriffe

Im Prozess gegen vier ehemalige Mitarbeiter eines Pflegeheims in Sitzenberg-Reidling (Bezirk Tulln) sind am Donnerstag am Landesgericht St. Pölten erste Zeuginnen befragt worden. Demnach sollen Bewohner gequält, beschimpft und bespuckt worden sein.

Unter den Zeugen waren jene zwei früheren Kolleginnen der Angeklagten, die die Ermittlungen ins Rollen gebracht hatten. Die Beschuldigten – drei Frauen im Alter von 33 bis 45 Jahren und ein 36-jähriger Mann – hatte sich zum Start der Schöffenverhandlung im Jänner nicht schuldig bekannt. Die Anklagepunkte lauten Quälen und Vernachlässigen wehrloser Personen, fortgesetzte Gewaltausübung und sexueller Missbrauch von wehrlosen oder psychisch beeinträchtigten Personen von März 2020 bis März 2021.

Eine 50-jährige Beschäftigte hatte laut ihrer Aussage bereits im Sommer 2020 einen Vorfall gemeldet. Die 45-jährige Erstangeklagte habe einem Bewohner beim Umziehen einen „festen Stoß gegeben, dass er auf sein Bett geflogen ist“, ihn bespuckt und beschimpft. Die 49-jährige Heimleiterin wurde nach ihren Angaben nur über letzteren Vorwurf informiert, daraufhin habe es u.a. ein Teammeeting gegeben. Zum von damaligen Beschäftigten geschilderten Personalmangel meinte sie: „Wir waren alle durch die Corona-Situation angespannt.“

„Polster aufs Gesicht gedrückt“

Die 50-Jährige berichtete, die Erstangeklagte habe einem Bewohner „einen Polster auf sein Gesicht gedrückt, damit er aufhört zu schreien“, und ihn beschimpft. Außerdem soll die Beschuldigte dem betagten Mann Parfum ins Gesicht gespritzt und ihn angespuckt haben. Im Winter soll sie den Bewohner kalt abgeduscht und ihn bei offenem Fenster im Bett liegen lassen haben. Der Mann hatte laut einer Heimmitarbeiterin eine „hartnäckige Bindehautentzündung“ – diese sei aber nie wieder aufgetreten, nachdem die Angeklagten weg waren, sagte die 57-jährige Pflegeassistentin.

Einer Frau, die nicht mehr gut schlucken konnte, habe die 45-Jährige „mit Gewalt“ einen Becher Wasser eingeflößt, sagte die 50-Jährige. Die Pensionistin soll mit dem Kopf gegen das Bett geschlagen sein. Die zweite Zeugin – eine 25-Jährige – schilderte u.a. eine Beobachtung, dass der männliche Angeklagte einer Bewohnerin auf das Gesäß geschlagen habe. Den dem Beschuldigten vorgeworfenen sexuellen Missbrauch hatte sie nach ihren Angaben vor Gericht nicht genau gesehen.

Mit zusätzlichen Medikamenten ruhig gestellt

Die Angeklagten sollen Bewohnern laut Staatsanwaltschaft zusätzliche Medikamente – Schlafmittel und Psychopharmaka – verabreicht haben, um die betagten Opfer ruhigzustellen. Seit März 2020 sei es „immer ruhiger geworden auf der Station“, schilderte die 50-Jährige: „Mir ist aufgefallen, dass die Bewohner anders waren. Sie sind nicht mehr selbst vom Bett aufgekommen und haben nicht mehr gehen können.“

Die 25-Jährige berichtete, dass die Erstangeklagte Bewohnern zusätzliche Medikamente gegeben habe. Wenn die 45-jährige oder die 33-jährige Beschuldigte Nachtdienst hatten, seien die betagten Menschen in der Folge „benommen, verlangsamt und nur sehr schwer wach zu bekommen“ gewesen. Laut der 57-jährigen Pflegeassistentin waren Bewohner besonders schläfrig, wenn die Angeklagten im Dienst waren.

Zeuginnen waren selbst in WhatsApp-Gruppe

In einer WhatsApp-Gruppe tauschten sich die Beschuldigten aus und äußerten sich auch abfällig über Bewohner. Die 25-Jährige hatte den Chat ins Leben gerufen und ebenfalls Nachrichten geschrieben. „Ich habe einfach mitgespielt, damit ich von ihnen akzeptiert werde“, sagte die Pflegekraft. Ein Ermittlungsverfahren gegen sie wurde eingestellt. Die 50-Jährige, die ebenfalls Teil der WhatsApp-Gruppe war, hatte die Angeklagten nie zur Rede gestellt. „Ich war wahrscheinlich zu feige“, meinte sie. Die Verteidigung hielt ihr wiederum ein von der 25-Jährigen gemachtes Foto vor, auf dem sie zumindest eine Bewohnerin mit Wasser angespritzt und nass gemacht haben soll. Die 50-Jährige entgegnete, sie habe „Richtung Waschbecken“ gezielt.

Die 25-Jährige und die 50-Jährige hatten im März 2021 Vorfälle der Leitung des Senecura-Heims gemeldet. Es folgten einvernehmliche Kündigungen. Die Dienstverhältnisse mit den vier Angeklagten wurden sofort nach Bekanntwerden der Vorwürfe beendet.

Der Partner der jüngsten Angeklagten entschlug sich am Donnerstagnachmittag der Aussage. Opfer sind nicht aussagefähig. Im Fall einer Verurteilung drohen dem Quartett bis zu zehn Jahre Haft. Bei den nächsten Prozessterminen am 2., 16. und 30. März sollen weitere Zeugen befragt werden.