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Wirtschaft

30 Stunden, voller Lohn: Wirtschaft dagegen

30 Stunden pro Woche arbeiten, bei gleichem Lohn wie bisher: Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung Niederösterreich lehnen diese Forderung der Gewerkschaften ab. Der Fachkräftemangel würde sich dadurch nur verschärfen, wird betont.

Immer wieder werben Betriebe mit einer Vier-Tage-Woche um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – angefangen von Softwareunternehmen über Tischlereien bis hin zu Anbietern im Bereich der Pflege. In den meisten Fällen handelt es sich dabei aber nur um eine Flexibilisierung der Arbeitszeit: Denn die 40 Arbeitsstunden pro Woche werden lediglich auf vier Tage verteilt.

Anders lautete nun ein Vorstoß der Gewerkschaft bei den Verhandlungen für einen neuen Banken-Kollektivvertrag. Neben – wie üblich – höheren Gehältern wurde nämlich auch eine generelle Reduktion der Wochenarbeitszeit auf 36 Stunden gefordert – bei gleichbleibendem Lohn. Seit mehr als einer Woche schwelt nun eine Debatte über eine Verkürzung der Arbeitszeit, in der teilweise von 32 oder sogar 30 Stunden pro Woche die Rede ist.

Industrie: „Wettbewerbsfähigkeit steht auf dem Spiel“

Die Industriellenvereinigung Niederösterreich (IV NÖ), die rund 350 Industriebetriebe vertritt, zeigt sich einer Arbeitszeitreduktion gegenüber ablehnend. „Wir haben einen absoluten Fachkräftemangel“, sagt IV-NÖ-Geschäftsführerin Michaela Roither im Gespräch mit noe.ORF.at. In kaum einem Betrieb seien alle Stellen besetzt. „Die Arbeit muss aber getan werden. Der Arbeiter kann nicht an vier Tagen die Arbeit machen, die er sonst an fünf Tagen macht.“ Laut Roither steht die Wettbewerbsfähigkeit in Österreich und Europa auf dem Spiel, wenn man über eine Arbeitszeitverkürzung nachdenke.

Ähnlich äußert sich die Wirtschaftskammer Niederösterreich (WKNÖ) auf Anfrage zur aktuellen Debatte. „Gerade weil es einen Arbeitskräftemangel gibt, gibt es für eine Vier-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich ein klares ‚Nein‘“, so WKNÖ-Präsident Wolfgang Ecker. 73 Prozent der Unternehmen würden unter starkem Fachkräftemangel leiden. Die Prognosen sehen nicht besser aus. Bis zum Jahr 2030 soll es 240.000 weniger Erwerbstätige (also 20- bis 60-Jährige) geben, bezieht sich die Wirtschaftskammer auf Zahlen der Statistik Austria. 39 Prozent der Unternehmen würden schon jetzt Umsatzeinbußen aufgrund des Fachkräftemangels melden.

Arbeiterkammer: „Arbeitswelt verändert sich“

Die Arbeiterkammer Niederösterreich hingegen steht der Vier-Tage-Woche bei gleichbleibendem Gehalt positiv gegenüber. Präsident Markus Wieser verweist auf Veränderungen in der Arbeitswelt. „Die meisten, die eine neue Beschäftigung beginnen, sind keine Menschen, sondern künstliche Intelligenzen.“ Bereits jetzt würden Maschinen und Roboter 40 Prozent der Wertschöpfung in Österreich erwirtschaften. Das sei „Auftrag nachzudenken, die Arbeit so aufzuteilen, dass alle Menschen in Beschäftigung sind, die dafür aber kürzer arbeiten“, so Wieser.

Das Argument der Wirtschaft, dass eine echte Vier-Tage-Woche wegen des Fachkräftemangels nicht vertretbar sei, kann Wieser nicht nachvollziehen. Ohne die rund 100.000 Bauarbeiter, die in den Wintermonaten arbeitslos gemeldet seien, würden noch immer rund 300.000 Arbeitslose übrig bleiben – „eine Zielgruppe, die man nicht vergessen darf“, so Wieser. Er fordert die Betriebe auf, mehr in die Ausbildung junger Menschen zu investieren. Unternehmen, die seit Jahrzehnten selbst „Eigenbau“ betreiben, hätten kaum Probleme und 70 bis 75 Prozent Fachkräfte, die sie selbst ausgebildet haben, so Wieser.

AMS: Kürzere Arbeitszeit nicht „Gesamtantwort“

AMS-Chef Johannes Kopf hält angesichts des herrschenden Arbeitskräftemangels aktuell jedoch nichts von einer generellen Arbeitszeitverkürzung. Die Situation sei anders als früher, jetzt gebe es „insgesamt zu wenig Leute“ am Arbeitsmarkt, sagte er bereits am Montag in der „ZIB2“.

AMS-Chef Johannes Kopf über Arbeitszeitmodelle

Der Vorstand des Arbeitsmarktservice (AMS) Johannes Kopf spricht über Vor- und Nachteile von verschiedenen Arbeitszeitmodellen.

In manchen Branchen – IT oder Dienstleistungen – wären kürzere Arbeitszeiten denkbar. Auch „individuell“ könnte sie einzelnen Unternehmen helfen, mit attraktiveren Modellen leichter neue Mitarbeiter zu finden. Aber die „Gesamtantwort“ könne die Arbeitszeitverkürzung nicht sein, wenn in vielen Bereichen Arbeitskräftemangel herrscht, meinte Kopf. Wichtig seien jetzt Anreize, damit Menschen länger arbeiten. Dazu gehöre vor allem auch die Frage der Kinderbetreuungskosten und -plätze.

Erst kürzlich hatte ein sechsmonatiges Pilotprojekt zur Vier-Tage-Woche bei vollem Lohn in Großbritannien positive Effekte gezeigt. Die Krankheitstage gingen demnach während des Testzeitraums um rund zwei Drittel (65 Prozent) zurück und die Zahl der Angestellten, die in dieser Zeit das Unternehmen verließen, fiel um mehr als die Hälfte (57 Prozent). Rund vier von zehn Beschäftigten gaben an, sich weniger gestresst zu fühlen als vor Beginn des Projektes. 56 der 61 beteiligten Firmen teilten nach Ende der Testphase mit, die Vier-Tage-Woche beibehalten zu wollen – mehr dazu in science.ORF.at.