Szene aus Songs from the compost
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Kultur

Donaufestival setzt auf Zukunft der Welt

Mit der fließenden Grenze zwischen Mensch und Maschine sowie der Klimakatastrophe setzt sich das heurige donaufestival in Krems auseinander. Unter dem Überbegriff „Beyond human“ beschäftigt man sich mit Gegenwart und Zukunft der Erde.

Wie fühlt es sich an, wenn man für eine Made in die Vaterrolle schlüpft? Dem spürt Kim Noble in „Lullaby for Scavengers“ nach, wobei der streitbare britische Künstler in seinem Stück durchwegs extrem an diese Sache herangeht, einige tote Tiere und menschliches Sperma inklusive. Körper in scheinbar idyllischen Landschaften, die sich mit der Zeit radikal verändern, serviert hingegen Egle Budvytyte in ihrer Videoinstallation „Songs from the Compost“ (siehe Bild oben), während sich der Wiener Oliver Ressler mit seiner Recherchearbeit „Climate Feedback Loops“ dem steten Wandel in der Arktis angenähert hat und das Schmelzen der Gletscher zum Klingen bringt.

Klimawandel in der Arktis, Toxic Temple feiern Müll

Zur rituellen Erfahrung sollte hingegen „Mess“ des Toxic Temple werden: Die bereits im Vorjahr an der Universität für angewandte Kunst in Wien erstmals skizzierte Dauerperformance wird sich in Krems über die Dauer des gesamten Festivals ziehen und zur Anbetung des Mülls mutieren. Die interventionistische Aktion soll dabei nicht nur im Forum Frohner, wo quasi das Basiscamp für diese Pseudoreligion aufgeschlagen wird, über die Bühne gehen, sondern zum Abschluss des ersten Wochenendes auch eine Prozession Richtung Dominikanerkirche inkludieren, wo man auf Alfredo Barsuglias Ausstellung „Wohnkultur“ trifft. Auch andere Ausprägungen im öffentlichen Raum sind laut Edlinger nicht ausgeschlossen.

Zur Maschine wird der Mensch wiederum, wenn er sich in einem sisyphosartigen Arbeitsumfeld befindet. Diese Erfahrung machte die Künstlerin Anna-Marija Adomaityte in einer McDonald’s-Filiale, was sie wiederum zu „workpiece“ inspirierte. Und das Duo Francesca Foscarini und Cosimo Lopalco lässt seine Körper eine graduelle Veränderung durchlaufen, dabei mit „Punk. Kill Me Please“ ein „Manifest für Feminismus, Mut, Kraft, Ironie und Freiheit“ in den Raum stellend, wie die Künstlerinnen auf ihrer Website schreiben. Abgerundet wird das Performanceangebot von Jelena Juresa („Aphasia“) sowie Harald Beharie („Batty Bwoy“).

Szene aus PUNK. KILL ME PLEASE
Franscesca Foscarini, Cosimo Lopalco
Das Duo Francesca Foscarini und Cosimo Lopalco präsentiert mit „Punk. Kill Me Please“ ein „Manifest für Feminismus“

Harte Sounds von Petronn Sphene und Godflesh

Wer sich ins Musikprogramm des Festivals vorarbeitet, entdeckt viele Positionen, die dem Gedanken der Überwindung des Menschlichen auf Soundebene durchaus entsprechen. Da wäre etwa der technoide Zugang im sehr noiselastigen Sound von Petronn Sphene, andererseits hantiert der italienische Produzent Heith zwar mit organischen Klängen, weiß diese aber in ein sehr futuristisches Setting zu drehen. Arbeiterinnenlieder neu gedacht werden von Silvia Tarozzi und Deborah Walker, während der heimische Schlagzeugvordenker Lukas König mit seinem neuen, prominent besetzten Hip-Hop-Projekt 1 Above Minus Underground in Krems zugegen sein wird.

Aber auch bestens bekannte Acts wie Zebra Katz, DJ Lag und die Industrial-Legende Godflesh machen dem Publikum ihre Aufwartung. Vielfach gibt es auch Kombinationen aus Sound und Visuals, wie etwa beim Doppel Rojin Sharafi & Epong und der Zusammenarbeit von Animistic Beliefs und Jeisson Drenth. Mit neuem Material ist die heimische Experimentalformation Radian in Krems zu Gast, die erstmals Songs von ihrem im Herbst erscheinenden Album vorstellen wird. Außergewöhnliche Stimmen sind wiederum bei den Auftritten von Marina Herlop und Arooj Aftab zu erwarten. Wie üblich werden die Minoritenkirche, das Messegelände sowie das Kino im Kesselhaus und das Forum Frohner bespielt.

HümaUtku
Digital in Berlin/Roland Owsnitzki
Auch zahlreiche musikalische Acts stehen auf dem Programm, hier: Hüma Utku

Phänomene, die über das menschliche Maß hinausgehen

Inhaltlich steht heuer quasi die Überwindung des Menschlichen im Vordergrund, wobei die Klimakrise ebenso eine Rolle spielt wie künstliche Intelligenz. Christoph Griessner von der APa sprach anlässlich der Programmveröffentlichung am Dienstag mit Festivalleiter Thomas Edlinger über nuklearen Müll, die geerdete Cloud und das Ende der Welt.

Das diesjährige Festival widmet sich dem Thema „Beyond human“. Was darf man sich darunter vorstellen?

Thomas Edlinger: Es ist weniger ein ausgestelltes Motto wie in den vergangenen Jahren, sondern eher eine Bezeichnung für einige Arbeiten und Stoßrichtungen, die in dieser Ausgabe vertreten sind. Einerseits sind damit erweiternde Perspektiven auf nicht menschliche Lebensformen und Maschinen gemeint, andererseits geht es um Phänomene, die über das menschliche Maß hinausgehen und teilweise planetarische Bedeutung haben.

Was bleibt, wenn wir vielleicht nicht mehr sind oder wenn sich das Leben auf der Erde stark verändert und eine neue, global unterschiedlich verteilte Klasse der Klimakrisenverlierer entsteht? Die Möglichkeit eines Endes oder zumindest eines radikalen Wandels der Zivilisation hätte man vor ein paar Jahren noch als apokalyptisch oder übertrieben abgetan, jetzt erscheint so etwas durchaus realistisch.

Stichwort Klimakatastrophe: Darauf zielt auch die Arbeit „Mess“ von Toxic Temple ab.

Edlinger: Ja, das ist eine sich durch das Festival ziehende, interventionistische Arbeit. Eine Art pseudoreligiöser Kult der Vergiftung und Verschmutzung, der das Toxische überaffirmiert und zelebriert. Dabei geht es aber nicht nur um Müll oder Mikroplastik, sondern auch um die Reaktion der Menschen. Welche Zeichen werden beispielsweise an kommende Zivilisationen übermittelt, um mit den langen Halbwertszeiten des nuklearen Mülls umzugehen?

Thomas Edlinger, künstlerischer Leiter des Donaufestivals
APA/HANS KLAUS TECHT
Thomas Edlinger, Leiter des donaufestivals

Naturwissenschaftliche Forschungen beschäftigen sich mit dem Zusammenwachsen von Organischem und Synthetischem. Bakterien beginnen, sich an ein lebensfeindliches Umfeld anzupassen und Plastik zu verdauen. Das künstlerisch zu reflektieren, ist insofern ein interessanter Schritt, als er über die verständliche Betroffenheit hinausgeht und andere, spekulative Umgangsformen in den Raum stellt.

Meint das letztlich „Beyond human“?

Edlinger: Es sind Phänomene, die uns tangieren, die wir aber nicht mehr vollständig steuern und begreifen können. Der Philosoph Timothy Morton hat sie Hyperobjekte genannt. Das umfasst Dinge wie künstliche Intelligenzen, die Klimakrise oder das Internet. Sie beeinflussen alles, was wir tun, aber als Einzelne können wir sie weder steuern noch vollständig begreifen. Man denke etwa an die Cloud, die zwar ortlos erscheint, aber sehr wohl eine Materialität hat. Viele stellen sie sich als etwas vor, das keinen Kontakt zur Erde hat, aber sie hat ihn: in Form von Serverstationen oder durch die Energie, die gefressen wird.

Donaufestival
an verschiedenen Locations in Krems, 28. bis 30. April sowie 5. bis 7. Mai 2023.

Zuletzt wurde in diesem Zusammenhang viel über ChatGPT gesprochen. Erscheint es nicht seltsam, dass einer einzelnen KI-Anwendung so viel Aufmerksamkeit zuteil wird?

Edlinger: ChatGPT ist ein gutes Beispiel: Viele haben das aus Neugier mal getestet, haben sich gewundert über die Schnelligkeit des Wissens, sich aber auch lustig gemacht über die Blödheit. Vielleicht ist das genau der Wendepunkt, an dem vielen schlagartig bewusst wurde, wie stark die KIs eigentlich schon länger in unser Leben eingreifen.

Tagtäglich haben wir mit KIs zu tun – jedes Übersetzungsprogramm, das Navi im Auto, Siri und vieles mehr. Auch Stadtplanung oder Pandemiebekämpfung sind mit KIs durchsetzt. In seiner Niederschwelligkeit hat ChatGPT ein Bewusstsein dafür geschaffen, auch wenn der Hype schnell wieder abebbt. Ein anderer Aspekt dabei: Was lösen diese Millionen Datenfütterungen, die nun freiwillig gemacht wurden, wieder aus? Big Data ist ja der Rohstoff für KIs.

Haben Sie angesichts des Themas Klimakrise an eine Zusammenarbeit mit Aktivisten wie der „Letzten Generation“ gedacht?

Edlinger: Wir haben eine neue Arbeit mitbeauftragt, die an das anschließt, und zwar jene von Oliver Ressler in der Kunsthalle Krems. Er ist solidarisch mit Klimaaktivistinnen und setzt sich für Klimagerechtigkeit ein, wie er es nennt. Ressler hat im Sommer 2022 am Archipel Svalbard die Veränderung der Arktis beobachtet, wobei eine vorwiegend auf Sound abstellende Arbeit herausgekommen ist. Zudem gibt es zwei Vorträge zum Thema sowie zwei Workshops von Toxic Temple, die sicherlich auch ein Naheverhältnis zum Klimaaktivismus haben. Durch einen Ausbau der kommunikativen Formate wollen wir genau die Auseinandersetzung mit solchen dringlichen Fragen vertiefen.