Wissenschaft

Neue Funktion von Aminosäuren entdeckt

Am Institute of Science and Technology (ISTA) Klosterneuburg hat eine Forschungsgruppe um Lisa Knaus Entwicklungsprobleme im Gehirn auf das Fehlen von Aminosäuren zurückgeführt. Diese dürften eine Schlüsselrolle in der Gehirnentwicklung spielen.

Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschafter des ISTA untersuchten die Folgen eines Defizits an Aminosäuren bei der Gehirnentwicklung von Mäusen. Wurden Nervenzellen die essenziellen Aminosäuren entzogen, führte das nach der Geburt der Mäuse zu schwerwiegenden Folgen. Ihr Gehirn war verkleinert und kam auch im Erwachsenenalter nicht auf dieselbe Größe wie bei gesunden Tieren. Die Mäuse zeigten Verhaltensauffälligkeiten.

Eine kleine Änderung im Stoffwechsel und der Nährstoffverfügbarkeit hatte schwerwiegende Folgen für die Entwicklung und die Funktion des Gehirns, ist im Fachjournal „Cell“ nachzulesen. Das Team rund um Autorin und ISTA-PhD-Studentin Lisa Knaus warf einen genaueren Blick auf jene essenziellen Aminosäuren, die der Körper nicht selbst herstellen kann, die also nur über das Essen aufgenommen werden können. Diese Aminosäuren entstehen bei der Aufspaltung von Nahrungsmitteln und versorgen den Körper etwa mit Energie.

Wissenschaftlerin Lisa Knaus
ISTA
Lisa Knaus ist Doktoratsstudentin am ISTA in Klosterneuburg

Kleine Änderung im Stoffwechsel

Man habe verschiedene Level dieser Aminosäuren während der gesamten Gehirnentwicklung beobachtet, so Lisa Knaus: „Dabei zeigte sich, dass LNAAs (large neutral amino acids, Anm.) sehr wichtig für die Entwicklung von Nervenzellen nach der Geburt sind.“ Denn im Embryonalstadium schien die Gehirnbildung der Mäuse noch in Ordnung zu sein.

Dass an den späteren Verhaltensänderungen der Mäuse wirklich das Fehlen der essenziellen Aminosäuren verantwortlich war, wurde durch ein Experiment bewiesen. Die Forscherinnen und Forscher hatten zwei Gruppen von Mäusen. In einer Gruppe deaktivierten sie jenes Gen in den Mauszellen, welches die LNAAs in die Nervenzellen bringt – gewissermaßen der Transporter für die Aminosäuren.

Die betroffenen Nervenzellen hungerten, heißt es in der Beschreibung des Experiments von der ISTA. Während der Entwicklung der Mäuse im Mutterleib hatte das scheinbar keine Folgen, „doch unmittelbar nach der Geburt zeigten die Nervenzellen die ersten Folgen des Mangels an LNAAs. In dieser Zeit entwickelten die genveränderten Mäuse eine Mikrozephalie: die Dicke der Großhirnrinde (die äußerste Schicht des Gehirns) war im Vergleich zu gesunden Mäusen deutlich geringer“, heißt es.

Skizzierter histologischer Schnitt des Gehirns von erwachsenen Mäusen. Im Vergleich zu gesunden Tieren (links) war die obere Schicht der Großhirnrinde in Mäusen mit einem Mangel an LNAAs (rechts) deutlich reduziert.
Lisa Knaus/ISTA
Geringere obere Schicht der Großhirnrinde bei Mäusen mit einem Mangel an den essenziellen Aminosäuren (rechts) im Vergleich zu gesunden Mäusen (links)

Dauerhafte Veränderung im Verhalten

Und das dürfte gleich in den ersten Tagen nach der Geburt passieren, wie die Forscherinnen und Forscher herausfanden: „Neuronen (Nervenzellen, Anm.), die nicht richtig feuern, werden kurz nach der Geburt eliminiert. Wie bei der natürlichen Selektion, sind es nur die fittesten Zellen, die überleben“, so Knaus. Ein großer Teil der Nervenzellen in der oberen Schicht der Großhirnrinde starb also bei den Mäusen mit einem Aminosäuren-Defizit in den ersten Lebenstagen ab.

Nach diesem Absterben normalisierte sich zwar die Aktivität der Nervenzellen, fand die Forschungsgruppe heraus, aber das Gehirn der Mäuse blieb deutlich kleiner. „Die genveränderten Mäuse zeigten Verhaltensanomalien, unter anderem motorische Defizite, verändertes Sozialverhalten und Hyperaktivität. Diese Verhaltensmuster ähneln sehr stark denen von Patient:innen mit Mutationen im SLC7A5-Gen, die ebenfalls Mikrozephalie, Autismus und motorische Defizite aufweisen“, heißt es zur Verwertbarkeit der Ergebnisse.

Lisa Knaus ist Teil der sogenannten „Novarino Gruppe“ am ISTA. Diese Gruppe von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Klosterneuburg untersucht Genmutationen, die neurologischen Entwicklungsstörungen – wie Epilepsie, geistiger Behinderung oder Autismus – zugrunde liegen. Ziel ist es, durch diese Grundlagenforschung effektivere Therapien zu schaffen und das Gesamtverständnis zu Prozessen im Gehirn zu fördern.