Anna Rosenberger
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„ganz persönlich“

„Sonst verlassen die Frauen die Kirche“

Anna Rosenberger ist als Vorsitzende der katholischen Frauenbewegung eine der prägendsten Frauen in der Diözese St. Pölten. Ein Gespräch über das Fest der Hoffnung, den Kampf der Frauen und die Urkraft des Glaubens.

Anna Rosenberger ist seit 2010 Vorsitzende der Katholischen Frauenbewegung (kfb) in der Diözese St. Pölten, von 2012 bis 2015 war sie auch stellvertretende Vorsitzende der kfb Österreich. Die 61-Jährige ist verheiratet, Mutter von drei Töchtern und Großmutter von acht Enkelkindern. Sie war und ist in der Pfarre Oed (Bezirk Amstetten) und in der Gemeinde in verschiedenen Funktionen ehrenamtlich engagiert.

Der Glaube und die Kirche bezeichnet Rosenberger als ihre Heimat. Die Kirche muss sich aus ihrer Sicht öffnen, sonst werde sie weiter Mitglieder, vor allem Frauen, verlieren. „Wir waren schon mal weiter“, sagt sie im ORF-NÖ-Interview.

noe.ORF.at: Anna Rosenberger, morgen ist Ostersonntag, wie wichtig ist dieser höchste Feiertag im Kirchenjahr für Sie?

Anna Rosenberger: Enorm wichtig. Weihnachten ist zwar auch ein ganz bedeutsames Fest, aber es ist lieblicher, familiärer. Ein kleines Kind wird geboren, von dem man zu diesem Zeitpunkt noch nicht wusste, was aus diesem Kind einmal wird. Aber Ostern, das ist die große Auferstehung Jesu Christi.

noe.ORF.at.: Es ist das Fest der Hoffnung, aber was kann das konkret bedeuten, angesichts der vielen Krisen, die wir haben?

Rosenberger: Ich glaube, gerade mit der Karwoche und dem Osterfest wird jedes Jahr widergespiegelt, was aufgrund der Krisen, die auf der ganzen Welt vorkommen, erlebt wird. Man begeht sozusagen das Leiden Christi, mit dem Kreuzweg, mit der Kreuzigung am Karfreitag. Das ist so ein Durchtauchen durch Leid und Krisen. Und das könnte man auch übertragen auf die Situation, die jetzt in der Welt vorherrscht und sehr, sehr viele Menschen betrifft. Und dann kommt die Auferstehung. Dann gehen die Lichter an und alle Glocken läuten wieder und die Orgel spielt das feierliche Halleluja und der Chor singt. Das ist so ein erhebendes Gefühl. Und genau das lässt uns hoffen. Das kann uns Symbol sein für das Durchtauchen von Krisen.

Anna Rosenberger
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Rosenberger ist seit 13 Jahren Vorsitzende der katholischen Frauenbewegung in der Diözese St. Pölten

Den Glauben ohne Kirche leben

noe.ORF.at.: Viele Menschen berührt der Glaube nicht mehr so wie Sie. Die Zahl der Austritte steigt weiter. Rennen der Kirche die Leute weg?

Rosenberger: Ja, leider. Ich glaube, die Menschen haben verlernt, den Glauben zu leben, die Liturgie mitzufeiern. Corona hat das seine dazugetan. Da haben viele gesehen: Okay, mir passiert nichts, wenn ich nicht in die Kirche gehe, wenn ich nicht mitmache. Viele sagen sich, sie können ihren Glauben leben, wenn sie einen Spaziergang machen oder ein kurzes Stoßgebet schicken.

noe.ORF.at.: Ist das so?

Rosenberger: Ja, ich glaube schon. Ich kenne das von mir, wenn ich eine größere Runde drehe und einfach Gott loben kann aufgrund der Schönheit, die da ist. Aber Teil der Kirche sein geht anders in die Tiefe. Wenn ich bei einem Verein dabei bin, aber nicht an den Sitzungen teilnehme, dann werde ich nicht ganz mit dabei sein. Wenn ich aber teilnehme, dann lebe ich ganz anders in dieser Gemeinschaft mit. Rituale empfinde ich als stärkend.

Leitende Personen müssten mehr geschult werden

noe.ORF.at.: Für viele sind die Missbrauchsskandale ein Grund auszutreten. Wie kommen Sie damit zurecht?

Rosenberger: Mich belastet das manchmal sehr. Für mich ist meine Kirche Heimat und daher kann ich es manchmal wirklich nicht verstehen, was da ist. Ich kann nur lernen, es annehmen. Es ist auf alle Fälle nicht in Ordnung, was da passiert. Für mich persönlich ist es aber kein Grund auszutreten. Ich glaube, das sind Menschen wie du und ich und es können einfach Fehler passieren. Und wer, wenn nicht wir als Kirche, müssten eigentlich barmherzig sein?

noe.ORF.at.: Ich glaube, viele haben ein Problem damit, dass die Kirche oft versucht hat, Fälle zu vertuschen.

Rosenberger: Ich glaube, dass auch die leitenden Personen in der Amtskirche ganz große Probleme damit haben, damit umzugehen. Vielleicht müsste hier mehr geschult werden. Im Nachhinein können wir ganz viele Fehler feststellen.

noe.ORF.at.: Die katholische Frauenbewegung gibt es seit vielen Jahrzehnten, seit mehr als 70 Jahren. Aber noch immer haben Frauen keinen Zugang zu Weiheämtern, noch immer gibt es keine Gleichberechtigung. Wie geht es Ihnen damit?

Rosenberger: Wir sind auf dem Weg. Wir sind immer noch auf dem Weg. Es gibt diese Momente, wo ich mir denke, das kann nicht sein, wo stehen wir? Waren wir nicht schon einmal weiter? Ich kenne diese Momente wirklich persönlich, auch in letzter Zeit. Und viele Frauen verlassen die Kirche. Frauen werden müde zu kämpfen. Da waren schon ganz große Aufbrüche in den 80er- und 90er-Jahren. Aber ich sage immer zu meinen Frauen: Bitte bleiben wir dran, wir dürfen nicht aufgeben. Ich habe Hoffnung. Irgendwann, irgendwann kommt es. Wir sind schon viele Schritte weiter.

Gleiche Würde für Mann und Frau

noe.ORF.at.: Würden Sie sich als Feministin bezeichnen?

Rosenberger: Ja, doch. Sobald ich mich für Frauen einsetze, ist das eigentlich feministisch.

noe.ORF.at.: Wie gehen Feminismus und Kirche zusammen?

Rosenberger: Ich finde immer wieder im Evangelium Texte, die begründen, dass ich eine geliebte Tochter Gottes bin. Mann und Frau erschuf Gott als sein Ebenbild. Und da kann ich nur ableiten dass ich, so wie ich bin, als Frau einfach die gleiche Würde habe. Die Amtskirche tut sich halt schwer damit.

noe.ORF.at.: Muss sich die Kirche Ihrer Meinung nach ändern oder mehr öffnen?

Rosenberger: Ja, unbedingt. Denn sonst verlassen die Frauen die Kirche, weil sie Gefühl haben, keinen Platz zu haben.

noe.ORF.at.: Wie wichtig sind Ihnen im Alltag christliche Rituale?

Rosenberger: Wir leben in der Großfamilie. Wir pflegen das Tischgebet. Wenn ich die Enkelkinder ins Bett bringe, dann beten wir. Für die Enkelkinder ist es ganz normal, mit der Oma und dem Opa zu beten. Der Glaube ist für uns ganz selbstverständlich. Ich habe unzählige Bücher mit schönen Texten, die mich umgeben. So gehe ich schon in den Tag und ich glaube, dass sich das im Alltag auswirkt, wie wir miteinander umgehen oder welche Gedanken mich begleiten. Und das sind positive Gedanken und nicht angstmachende oder bedrohliche, sondern frohmachende und stärkende.

noe.ORF.at.: Wenn Sie einen Begriff wählen müssten, der Ihren Glauben beschreibt, welchen würden Sie wählen?

Rosenberger: Urkraft. Eine Urkraft, die immer da ist, auch dann, wenn es gerade nicht so intensiv gelebt wird, aber dennoch immer in mir schlummert.