Drei Personen in einer Gemeinschaftsküche Pomali
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Soziales

Gemeinschaftliches Wohnen immer gefragter

Immer mehr Menschen möchten den Alltag im eigenen Zuhause gemeinsam und nachhaltig organisieren. In Niederösterreich gibt es 24 gemeinschaftliche Wohnprojekte mit hunderten Mitgliedern. noe.ORF.at hat zwei besucht.

Von außen sieht bei „Pomali“ alles ganz normal aus: ein Neubau mit mehreren Wohnungen. Dahinter beginnt der Dunkelsteiner Wald. Wer das Gebäude betritt, merkt aber schnell, dass das Leben am Rand von Wölbling (Bezirk St. Pölten) alles andere als gewöhnlich ist. Die 51 Erwachsenen und 33 Kinder, die hier wohnen, teilen sich nicht nur einen Garten und einen Schwimmteich, sondern auch einen großen Teil des Wohnraums: vom Spielzimmer über die Gemeinschaftsküche bis zur Sauna. Die eigene Wohnung bleibt als Rückzugsort erhalten.

Am großen Esstisch im Gemeinschaftsraum treffen wir einige „Pomalis“ – so nennen sich die Menschen hier. Die Stimmung ist gelassen, Medienbesuche ist man gewohnt. „Ich lebe fast schon mein halbes Leben bei Pomali“, sagt der Teenager Raphael More. „Ich hatte immer Kinder um mich. Dadurch habe ich auch sozial wahrscheinlich einiges gelernt.“

„Werde auch als alte Person gehört“

Die älteste am Tisch ist die Pensionistin Lilian Pardun. Gemeinsam mit anderen Bewohnerinnen und Bewohnern hat sie heute Zitronenrisotto gekocht, dazu gibt es Salat. Was ihr am gemeinschaftlichen Wohnen gefalle? „Ich werde gehört, auch als alte Person. Es sind Kinder da und Erwachsene im Alter meiner Kinder – und ich habe noch etwas Sinnvolles zu tun. In einem Heim wäre das nicht so“, sagt sie. „Hier kann ich etwas für die Gemeinschaft tun.“ Dazu muss man wissen, dass Nachbarschaft bei Pomali nicht nur bedeutet, dass gelegentlich gemeinsam gegessen oder gefeiert wird.

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Kinderspielraum bei Pomali
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Die rund 30 Kinder beim Wohnprojekt „Pomali“ haben viel Raum und immer jemanden zum Spielen
Hühner bei Pomali
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Die Eier kommen bei Pomali von den eigenen Hühnern
Putzplan bei Pomali
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Für das Reinigen der Gemeinschaftsflächen braucht es einen ausgeklügelten Putzplan
Mittagessen bei Pomali
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Gemeinschaftliches Wohnen birgt laut der Initiative Gemeinsam Bauen & Wohnen vor allem für Familien und Alleinstehende einen Mehrwert
Pomali von außen mit Spielplatz
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Bei Pomali hat jeder Haushalt eine eigene Wohnung – es gibt aber drinnen wie draußen viel Platz für Begegnung
Drei Personen in einer Gemeinschaftsküche Pomali
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Ein Ziel von Pomali ist es, unterschiedliche Generationen zusammenzuführen – zum Beispiel beim Kochen in der Gemeinschaftsküche

Aufgaben des Alltags werden bei Pomali gemeinsam organisiert, wichtige Entscheidungen soziokratisch getroffen – jeder darf also mitbestimmen. Die Bewohnerinnen und Bewohner unterstützen einander bei der Kinderbetreuung und pflegen gemeinsam Haus und Garten – inklusive Hühner und Kaninchen. Lebensmittel werden mittels Food-Cooperative – also selbst organisiert – in großen Mengen bei Produzentinnen und Produzenten aus der Region eingekauft und dann ohne Profit an die Mitglieder weitergegeben. Das spart Geld, Zeit und Emissionen.

„Antworten auf gesellschaftliche Herausforderungen“

Pomali ist nicht das einzige gemeinschaftliche Wohnprojekt in Niederösterreich. In den letzten Jahren ist das Interesse an dieser Wohnform gestiegen. Die Initiative Gemeinsam Bauen & Wohnen (INI) verzeichnet derzeit 24 Projekte im Bundesland, mindestens sieben weitere sind in Planung. Als Vorzeigeverein gilt die Gemeinschaft „BROT“ in Pressbaum (Bezirk St. Pölten). Seit 2018 leben hier mehr als 100 Erwachsene und Kinder. Seitdem ist keine der 21 Wohnungen wieder freigeworden.

„Ich glaube, dass gemeinschaftliche Wohnprojekte viele Antworten bieten auf wirklich drängende gesellschaftliche Herausforderungen“, sagt INI-Vorstandsmitglied Johanna Leutgöb. „Zum einen die Überforderung der Familien, denn die Großeltern wohnen oft nicht mehr ums Eck. Zum anderen die Vereinsamung von älteren und alleinstehenden Menschen.“ Auch aus ökologischer Sicht gebe es viele Vorteile, etwa durch Carsharing, Lebensmittel-Kooperativen oder das Teilen von Lebensraum und alltäglichen Dingen wie zum Beispiel Werkzeug.

Ein neues Projekt zu gründen sei gerade aber nicht einfach, sagt Leutgöb: „In Niederösterreich ist es derzeit so, dass Baugruppen noch keine Wohnbauförderung bekommen können, wenn sie selbst als Bauherren auftreten. Da würden wir uns für die Zukunft bessere Rahmenbedingungen wünschen.“ Wie das funktionieren könnte, zeigt das Land Salzburg vor: Dort wurden Baugruppen dem gemeinnützigen Wohnbau gleichgestellt.