Chronik

Gewalt unter Kindern: Verein setzt auf Prävention

Kinder, die zu Mördern werden – zwei solcher Fälle innerhalb kurzer Zeit erschüttern Deutschland. Solche Taten sind sehr selten, allerdings nimmt auch in Österreich die Gewalt unter Kindern zu. Der Verein „Neustart“ führt Beratungen mit gewalttätigen Kindern durch.

Es sind Fälle, die fassungslos machen: In Bayern wurde diese Woche ein zehn Jahre altes Mädchen getötet. Ergebnisse der Spurensicherung deuten darauf hin, dass ein elfjähriger Bub mit der Tat in Verbindung stehen könnte. Erst im März wurde eine Zwölfjährige im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen erstochen. Zwei Mädchen im Alter von elf und 13 hätten die Tat gestanden, heißt es von der Oberstaatsanwaltschaft Koblenz.

Unter einem Alter von 14 Jahren ist man strafunmündig, also nicht strafbar. Der verdächtige Bub in Deutschland wurde deswegen etwa „in einer gesicherten Einrichtung präventiv untergebracht“. Die weiteren Maßnahmen würden in enger Abstimmung mit den Jugendbehörden erfolgen.

Tatverdächtige seit 2013 nahezu verdoppelt

Solche Taten wie in Deutschland sind sehr selten, aber die Gewalt unter Kinder und Jugendlichen nimmt auch in Österreich zu. Die Zahl der Tatverdächtigen, die jünger als 14 Jahre alt sind, hat sich in den vergangenen zehn Jahren fast verdoppelt. Bundesweit zählte das Bundeskriminalamt im Jahr 2013 etwa 5.590 Tatverdächtige unter 14 Jahren, im vergangenen Jahr waren es circa 10.430. Dieser Anstieg sei laut Bundeskriminalamt auch auf die Handynutzung und Straftaten im Internet zurückzuführen.

Gegen Strafunmündige kann die Polizei in Österreich ein Betretungs- und Annäherungsverbot aussprechen, dann müssen sie – so wie alle Strafmündigen – eine sechsstündige Gewaltpräventionsberatung absolvieren. In Niederösterreich organisiert der Verein „Neustart“ diese Beratungen. Seit deren Einführung am 1. September 2021 habe es im Bundesland 33 Beratungen mit Unter-14-Jährigen gegeben, das sei etwa ein Prozent aller Fälle, heißt es von „Neustart“.

Die Straße zu einem Kinder- und Jugendhilfezentrum ist abgesperrt. In der Einrichtung war am Vortag eine Zehnjährige tot in einem Zimmer gefunden worden. Zwei Jungen im Alter von 11 Jahren und ein 16-Jähriger stehen im Fokus der Ermittler.
APA/dpa/Daniel Vogl
Die abgesperrte Straße zum Kinder- und Jugendhilfezentrum in Bayern, in der eine Zehnjährige tot in einem Zimmer gefunden wurde

„Intensive“ Fälle für beteiligte Organisationen

Die Zahlen würden keine steigende Tendenz zeigen, sagt Alexander Grohs, Leiter von „Neustart“ in Niederösterreich, aber Fälle mit Gefährderinnen und Gefährdern, die jünger als 14 seien, würden „als besonders intensiv für alle – Polizei, Kinder- und Jugendhilfe, Neustart und diverse andere Einrichtungen – erlebt werden. Dadurch nehmen diese Fälle oftmals mehr Raum ein als andere und werden präsenter wahrgenommen, auch in den Medien.“

Mögliche Ursachen für Gewaltausübung von Kindern sieht Grohs in dissozialem Verhalten, Traumata, erlebter Gewalt und psychischen Erkrankungen. Es brauche je nach Hintergrund eine angepasste, kinderspezifische Zugangsweise. Der Verein lege aktuell einen Schwerpunkt auf Gewaltpräventionsberatung bei Kindern und Jugendlichen in der Weiterbildung von Mitarbeitenden.

Senkung der Strafmündigkeit „kontraproduktiv“

Auch Soziale Medien würden bezüglich der Gewaltzunahme eine Bedeutung haben, sagte die Gerichtspsychiaterin Sigrund Roßmanith im „ZIB1“-Interview: „Gesamtgesellschaftlich spielt es eine Rolle, dass wir frustrationsintoleranter, gewaltbereiter geworden sind. Dass wir irgendwie gelernt haben, in Sozialen Medien sofort unseren Frust loszulassen, jemanden anderen niederzumachen, der nicht unserer Ansicht ist. Der Dialog ist verloren gegangen.“

Dass Alter für die Strafmündigkeit von 14 auf zwölf Jahren abzusenken, wie in manchen Ländern diskutiert wird, sei für die Resozialisierung der Kinder und Jugendlichen kontraproduktiv, so Roßmanith. Ähnlich sieht das „Neustart“-Leiter Grohs. Eine Senkung mit dem Ziel der Sanktionierung durch die Justiz würde bei dieser Gruppe „präventiv verpuffen. Außerdem ist es nicht folgenlos, wenn Strafunmündige Gewalt ausüben, da die Kinder- und Jugendhilfe verständigt wird und gezielt eingreift“, so Grohs.