Frau steht vor Regal mit Brot in Supermarkt
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Soziales

Armut steigt: Reformen bei Beihilfen gefordert

Das Armutsnetzwerk Niederösterreich warnt: Bei immer mehr Familien, Alleinstehenden und Kindern wird das Geld für Miete und Essen schon zur Monatsmitte knapp. Gefordert wird unter anderem eine Reform der Sozial- und Wohnbeihilfe.

Bei immer mehr Menschen geht sich das Lebensnotwendige nicht mehr aus. Viele stehen inzwischen Monat für Monat vor der Entscheidung, entweder die Miete zu zahlen oder doch Lebensmittel einzukaufen, warnen Vertreterinnen und Vertreter des Armutsnetzwerks Niederösterreichs. In den Sozialmärkten, wie im "Soogut“-Sozialmarkt in St. Pölten, stehen die Kundinnen und Kunden bereits kurz vor 10.00 Uhr Schlange. Wenn sich die Türen öffnen, ist das Gedränge groß – vor allem in der Obst- und Gemüseabteilung. Dort dürfen deshalb nur fünf Personen gleichzeitig einkaufen.

Bei unserem Lokalaugenschein erzählt eine Mindestpensionistin aus St. Pölten, dass die Miete zuletzt erhöht wurde, auch die Medikamente seien teurer, zuletzt habe ihre Bank mitgeteilt, die Spesen zu erhöhen. „Da arbeitet man 30 oder 40 Jahre lang und dann kann ich mir den normalen Einkauf nicht mehr leisten“, schilderte sie gegenüber noe.ORF.at ihre Situation. Nun hat sie sich aufgerafft und ist erstmals hier im Sozialmarkt. Sie zeigt sich positiv überrascht von der „guten Qualität“ und den günstigen Preisen. „Dann geht sich vielleicht auch einmal ein Gewand aus dieses Monat, oder Medikamente. Man weiß ja nicht, was man morgen brauchen wird“, sagt die Frau und blickt in ihren Einkaufswagen. Extrawurst, Gemüse, Brot – allzuviel ist es nicht.

Sozialmärkte: „Wir müssen rationieren“

Im Sozialmarkt ist dieser Mittwoch ein guter Tag. Das Warenangebot, vor allem bei Obst und Gemüse, aber auch bei den Milchprodukten ist nicht immer so umfangreich. Zehn Prozent weniger Waren landen derzeit hier. Gleichzeitig müssen bis zu 40 Prozent mehr Kundinnen und Kunden versorgt werden. Ein Dilemma, wie Wolfgang Brillmann, Geschäftsführer der „Soogut“-Sozialmärkte, erklärt: „Wir müssen noch mehr schauen, fast rationieren, was wir den Leuten geben, damit es sich für alle ausgeht, die zu uns kommen.“

Die Kundinnen und Kunden werden täglich mehr. Allein im Vorjahr haben die „Soogut“-Sozialmärkte um 80.000 Einkäufe mehr gezählt als 2021. Die Situation sei dramatisch, die Leute müssten mit immer weniger Geld immer mehr abdecken. Inzwischen sind alle Einkaufswagen vergeben. Während die einen noch beim Obst anstehen, warten andere bereits in der Bäckerei oder vor dem Kühlregal bis sie an der Reihe sind.

Pressekonferenz in Soma in St. Pölten
ORF/Bernhart
Das Armutsnetzwerk Niederösterreich machte bei einer Pressekonferenz auf die steigende Zahl der Bedürftigen aufmerksam

Wieder mehr Delogierungen

Aber nicht nur der tägliche Einkauf belastet viele Menschen, auch die Energiekosten und steigenden Mieten werden zum Problem. Menschen mit niedrigen Einkommen geben inzwischen fast die Hälfte davon fürs Wohnen aus, rechnet Carola Weiß vom Netzwerk Wohnungslosenhilfe NÖ vor: „Da stehen sie wirklich vor der Entscheidung: Zahle ich jetzt die Miete oder gehe ich Lebensmittel einkaufen?“

Im Vorjahr ist die Zahl der Delogierungen wieder gestiegen. 393 mal wurden Wohnungen und Häuser zwangsgeräumt, 60 Mal häufiger als im Jahr davor. Und das sei erst der Anfang, wird befürchtet. Nötig sei deshalb eine Reform der Wohnbeihilfe. Die gebe es derzeit nur für Bewohnerinnen und Bewohner im geförderten Wohnbau, den sich wegen der hohen Einstiegskosten finanzschwache Haushalte nicht leisten könnten. Weitere Probleme ergeben sich, wenn die Beihilfe ausläuft, weil Kredite abbezahlt oder etwa Kinder ausgezogen sind.

Kritik an Sozialhilfe

Auch die Sozialhilfe sei reformbedürftig, so Martin Schenk von der Armutskonferenz. Sie sichere Menschen in Krisensituationen nicht ausreichend ab und tauge daher nicht. Für eine Reform brauche es Bund und Länder, aber auch im ohnehin „schlechten Sozialhilfegesetz“ würde das Land Niederösterreich die möglichen Spielräume zur Absicherung der Menschen weniger gut nützen als die anderen Bundesländer. Schenk nennt als Beispiele die Wohnkosten, den Unterhalt für Menschen mit Behinderungen und die Hilfe für Alleinerziehende.

Einmalzahlungen seien wichtig, aber sie würden nicht reichen, ergänzte Barbara Bühler, Obfrau des NÖ Armutsnetzwerks: „Im Wahlkampf wurde das Miteinander plakatiert. Wir appellieren jetzt, es auch lebbar und spürbar zu machen für die Menschen“, so Bühler, die stabile gesetzliche Regelungen fordert. Auch für jene, die sich am Arbeitsmarkt besonders schwer tun.