Wirtschaft

Mehrwertsteuersenkung hilft Reichen am meisten

Lebensmittel waren zuletzt um 15 Prozent teurer als vor einem Jahr. Über Hilfsmaßnahmen wird derzeit heiß diskutiert. Eine Mehrwertsteuersenkung würde den Reichen am meisten bringen, meint der Experte – es brauche zielgerichtete Unterstützungen für die Ärmsten.

Einige Gründe für die Preissteigerungen liegen auf der Hand, einige sind strittig. Am Montag beschäftigte sich ein „Lebensmittelgipfel“ vor allem mit Preistransparenz, Wettbewerb und der Streitfrage Mehrwertsteuersenkung. Im Sozialministerium kamen Vizekanzler Werner Kogler (Grüne), Sozialminister Johannes Rauch (Grüne), Landwirtschaftsminister Norbert Totschnig (ÖVP), Vertreter von Lebensmittelhandel und Industrie sowie Experten zusammen.

Es war eine große Runde, in der diskutiert wurde – aber mehr als dass man in den nächsten Wochen prüfen will, welche Maßnahmen gesetzt werden sollen, kam am Ende nicht heraus. noe.ORF.at sprach mit Josef Baumgartner, Ökonom am WIFO, über die Gründe für die Preissteigerungen, mögliche Lösungsansätze und wie es in puncto Preisentwicklung weitergeht.

Ökonom Baumgartner im Interview
ORF
Josef Baumgartner, Ökonom am WIFO, im Interview mit Nadja Mader

noe.ORF.at: Der Gipfel wurde groß angekündigt. Nach dem Gipfel hat man das Gefühl, dass wenig bis nichts herausgekommen ist. Die Meinungen, wer an den Preissteigerungen Schuld ist, gehen auseinander. Warum kommt es denn da zu keiner Einigung?

Josef Baumgartner: Naja, der Gipfel hat über zwei Stunden gedauert. Es waren mehr als 40 Teilnehmer dabei und fast alle haben sich zu Wort gemeldet. Das heißt, da ist jetzt einmal ein Prozess in Gang gekommen und da wird es jetzt noch weitere vertiefende Treffen geben müssen, um hier auch etwas weiterzubringen.

noe.ORF.at: Dennoch, wenn wir uns die Fakten anschauen: Der Handel sagt, er ist es nicht. Die Landwirte sagen, sie sind es aber auch nicht, weil sie leiden selber unter den hohen Energiepreisen. Irgendwoher müssen die Preissteigerungen ja kommen?

Baumgartner: Wenn man jetzt nur die Preissteigerungen ansieht, dann sind sie in Österreich seit 2020 niedriger als in der Eurozone. Sie sind sehr hoch, aber wir sind etwas unter dem Euroraum-Durchschnitt – und wir sind auch unter den Preissteigerungen, die es in Deutschland gegeben hat. Aber was in Österreich der Fall ist, ist, dass das Preisniveau höher ist als in Deutschland. Da gibt es ein paar strukturelle Gründe, die schon ins Treffen zu führen wären.

Lebensmittelpreisentwicklung grafik
Grafik: APA/ORF; Quelle: Eurostat

Bei uns ist die Mehrwertsteuer höher als in Deutschland, um drei Prozentpunkte. Vor allem in den Ballungsräumen ist die Struktur des Handels anders als in Deutschland: Bei uns ist die durchschnittliche Fläche eines Geschäftes niedriger und es gibt eine höhere Filialdichte. Das führt schon insgesamt zu höheren durchschnittlichen Kosten. Sie brauchen eine Mindestbesetzung an Personal, die Mieten sind pro Quadratmeter höher je kleiner das Geschäft ist und auch in der Versorgung haben sie geringere Lagerflächen und damit müssen sie öfter mit kleineren Lkw versorgen. Das heißt, sie haben logistische Probleme, die schon auch einen bestimmten Beitrag des Preisunterschiedes erklären können. Was wir nicht sehen ist, ob es in Österreich höhere Gewinne gibt für die Lebensmittel-Einzelhändler als in Deutschland, da haben wir einfach keine Daten zur Verfügung.

noe.ORF.at: Sie haben es ja angesprochen, die Mehrwertsteuersenkung wird ja auch heiß diskutiert. Im Raum steht die Mehrwertsteuer auf Lebensmittel temporär zu senken, wie sie in der Pandemie auch für die Gastronomie gesenkt wurde. Man müsste natürlich darauf schauen, dass das auch wirklich eingehalten wird und weitergegeben wird an den Konsumenten. Wie ist denn Ihre Meinung dazu?

Baumgartner: Das kommt darauf an. Wenn man einen sehr eingeschränkten Warenkorb hernimmt, auf den man sozusagen die Mehrwertsteuer senkt für Grundnahrungsmittel, dann wäre das von der Verteilungsseite her durchaus akzeptabel, in dem sozusagen zumindest alle Haushalte relativ gleich hoch unterstützt werden. Aber es ist trotzdem das Problem, dass es nicht zielgerichtet ist in dem Sinne, dass man eigentlich nur die untere Einkommenshälfte unterstützen sollte, weil das sind die, die mit der Teuerung Probleme haben.

Die obersten Einkommen sollten das aus ihren laufenden Einkommen stemmen können. Je größer Sie diesen Korb machen, also wenn Sie ihn auf die gesamten Nahrungsmittel ausweiten, dann haben Sie auf das Jahr gerechnet eine Ersparnis bei der Mehrwertsteuer bei den untersten zehn Prozent der Einkommensskala von knapp 250 Euro. Bei den obersten Einkommen, also den obersten zehn Prozent der Einkommen, beträgt die Entlastung aber 660 Euro. Das heißt, Sie würden die Haushalte mit den größten Einkommen am stärksten unterstützen. Das kann nicht Sinn der Sache sein.

Lebensmittelpreisentwicklung grafik
Grafik: APA/ORF; Quelle: Eurostat

noe.ORF.at: Jetzt argumentieren natürlich manche, dass trotzdem alle essen müssen und jetzt warten wir so lange bis eigentlich nichts passiert. Was müsste denn rasch passieren, damit den Menschen, die es sich wirklich nicht mehr leisten können, geholfen wird?

Baumgartner: Es müsste ihnen so geholfen werden, dass sie noch weitere Einkommensunterstützungen bekommen, aber eben zielgerichtet – maximal in der unteren Einkommenshälfte auslaufend. Das heißt, dass die niedrigsten Einkommen am meisten bekommen und diese Unterstützungen dann bis zur Einkommensmitte auslaufen. Eben nicht so wie es in der Vergangenheit war, dass diese Unterstützungen mit der Gießkanne ausgeschüttet werden. Wenn man eben eine Mehrwertsteuersenkung hernimmt, dann würden die obersten Einkommen, die reichsten Haushalte, insgesamt am meisten bekommen. Das ist nicht zielgerichtet.

noe.ORF.at: Wenn nichts passiert in den nächsten Wochen was die Preise betrifft: Was wird dann tatsächlich passieren, was die Preissteigerungen betrifft?

Baumgartner: Wir gehen davon aus, dass der Preisauftrieb heuer nachlässt. Wir hatten in den ersten Monaten ungefähr elf Prozent Inflation. Wir gehen davon aus, dass es im Laufe des Jahres vor allem bei den Waren, aber auch bei den Lebensmitteln eine Entspannung des Preisauftriebs gibt und wir dann auf insgesamt über alle Produkte und Dienstleistungen gerechnet eine Inflationsrate in der Gegend von sieben bis siebeneinhalb Prozent haben werden. Das ist nach wie vor sehr hoch, aber die Tendenz ist sinkend. Zum Ende des Jahres erwarten wir Inflationsraten in der Gegend von fünf Prozent.