EU-Flaggen vor der EU-Kommission in Brüssel
ORF.at/Peter Prantner
ORF.at/Peter Prantner
Politik

Wie Niederösterreich EU-Politik mitgestalten kann

Ob Milchquoten, Bargeldobergrenzen oder Green Deal – Beschlüsse, die auf EU-Ebene in Brüssel getroffen werden, wirken sich auf Niederösterreich aus. Das Bundesland beschäftigt daher eigene Beamte in Brüssel. Vier EU-Abgeordnete kommen aus Niederösterreich.

Rue Montoyer 40 im Herzen der belgischen Hauptstadt Brüssel. Vor einem Fenster im vierten Stock weht eine blau-gelbe Fahne – hier hat das Niederösterreichische Verbindungsbüro seinen Sitz. Das Team bestehend aus fünf Personen ist in erster Linie Verbindungsglied des Landes zu den Europäischen Institutionen wie Kommission und Parlament.

Die Hauptaufgabe ist laut Büroleiter Victor Vaugoin, „das Gras wachsen zu hören“, um die Landesregierung frühzeitig über europapolitische Entwicklungen informieren zu können, ebenso wie mit europarechtlicher Expertise „falls notwendig Gewehr bei Fuß zu stehen“. Immerhin werden von der Europäischen Kommission jedes Jahr dutzende Verordnungen und Richtlinien erlassen.

Zugleich vertritt man auch die Interessen des Landes auf Brüsseler Ebene. Das gilt speziell für die Bereiche Land- und Forstwirtschaft, Jagd oder Umwelt. Dafür sind die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter jeden zweiten Tag in der Kommission, nehmen an Hearings, Expertengruppen oder Ausschusssitzungen teil und stimmen sich auch mit Diplomatinnen und Diplomaten anderer Staaten und Regionen ab.

Energie und Inflation zurzeit auf der Tagesordnung

„Wir müssen draußen bei den Leuten sein, wenn wir nur hier im Büro sitzen würden, würden wir unseren Job falsch machen“, erklärt Vaugoin. Schließlich gilt es, Strömungen frühzeitig zu erkennen. Zuletzt war man etwa mit der neuen EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur beschäftigt. Deren Ziel ist es, Lebensräume so zu gestalten, dass sich die Artenvielfalt wieder ausbreiten kann. Auf der Tagesordnung stehen derzeit aber oft auch Energiepolitik und Inflation.

NÖ Verbindungsbüro Brüssel
ORF
Beinahe täglich informieren die Mitarbeiter des Verbindungsbüros die Landesregierung über die Arbeit der EU

„Beinahe täglich“ werden die wichtigsten Entwicklungen an die Landesregierung bzw. die Fachabteilungen des Landes übermittelt. Diese Briefings beinhalten aber auch neue Förderangebote der EU für Gemeinden, Vereine oder Unternehmen. Die laufenden Kosten des Verbindungsbüros seien durch diese gezielte Förderakquise nach nur einem Quartal gedeckt, sagt Vaugoin.

Wissen aus erster Hand

Der Büroleiter hält eine eigene Vertretung in Brüssel generell für sinnvoll: „Wer nicht dabei ist, kann auch nicht an den aktuellen Entwicklungen und Diskussionen partizipieren und erfährt das Wissen stets nur aus zweiter Hand. Wir hingegen sind dazu da, dass wir es aus erster Hand aufbereiten.“ Das Büro würde zudem fraktionsübergreifend allen Landespolitikerinnen und -politikern bzw. der Landesregierung mit Expertise zur Verfügung stehen.

Die EU im Blickpunkt

In einem EU-Schwerpunkt widmet sich der ORF NÖ von 22. bis 27. Mai in allen Medien der politischen Arbeit der Abgeordneten in Brüssel und den Gestaltungsmöglichkeiten der Regionen.

In Blickweite bzw. nur zwei Straßen vom Verbindungsbüro entfernt befindet sich das Europäische Parlament – der zweite Einflussbereich Niederösterreichs. Denn nur mit Zustimmung des Parlaments – sowie des Rats der Europäischen Union (die Ministerinnen und Minister der 27 Mitgliedsstaaten) – können Vorhaben der Kommission am Ende beschlossen werden.

Vier Abgeordnete aus Niederösterreich

Von den 705 Abgeordneten kommen derzeit vier aus Niederösterreich. Für die ÖVP sitzen Othmar Karas aus Ybbs (Bezirk Melk) – zugleich Erster Vizepräsident –, Lukas Mandl aus Gerasdorf (Bezirk Korneuburg) und Alexander Bernhuber aus Kilb (Bezirk Melk) im Parlament. Die SPÖ ist mit Günther Sidl aus Petzenkirchen (Bezirk Melk) vertreten.

EU Parlament
Gabor Kovacs/EU Parlament
Von den 705 Abgeordneten im EU-Parlament kommen derzeit vier aus Niederösterreich

Offiziell vertreten die vier, wie auch die anderen 15 heimischen Abgeordneten, zwar die Interessen von ganz Österreich. Doch alle vier sind nach wie vor in parteipolitischen Organisationen in Niederösterreich, leben auch im Land und bekommen somit direkt Herausforderungen oder Anliegen mit. Das betrifft etwa die Diskussion um den Wolf. Bereits im Vorjahr hatte das Parlament die Kommission aufgefordert, den EU-weit geregelten Schutzstatus zu überdenken.

Hitzige Diskussionen gibt es derzeit auch über die von der EU vorgegebenen Klimaschutzziele, strengere Vorgaben für die Verwendung von Pestiziden in der Landwirtschaft oder das Asylsystem. Einblicke in das Tagesgeschäft der Abgeordneten in Brüssel gibt es in den nächsten Tagen im Rahmen eines EU-Schwerpunkts des ORF Niederösterreich. Mit vier Abgeordneten ist das Bundesland derzeit auch eine der am stärksten vertretenen Regionen im EU-Parlament.

Symbolischer Ausschuss mit Gewicht

Apropos Regionen: Auch hier kann sich Niederösterreich einbringen und zwar im Ausschuss der Regionen. Im Gegensatz zu Kommission, Parlament und Rat ist dieses Gremium zwar keine offizielle EU-Institution, sondern nur eine beratende Einrichtung – Beschlüsse haben somit eher symbolischen Charakter –, trotzdem können sie oft nicht ignoriert werden, weiß Vaugoin. Immerhin hat der Ausschuss, der die Interessen der Regionen in der EU vertritt, derzeit 329 Mitglieder – und damit Gewicht.

2018: Regionaler Schulterschluss bringt EU-Pläne zu Fall

Ein Beispiel dafür sind laut Vaugoin etwa Budgetvorschläge der Europäischen Kommission bzw. die Regionalpolitik, die 35 Prozent des EU-Budgets ausmacht. Niederösterreich stellt einwohnermäßig derzeit etwa nur 0,3 Prozent der EU-Bevölkerung (knapp 450 Millionen Menschen). Umso wichtiger sei es, „sich mit gleichgesinnten Regionen, frühzeitig strategisch zu positionieren. Nur dann schafft man es auch, als relativ kleine Einheit schlagkräftig in Brüssel aufzutreten“.

Regionaler Schulterschluss

2016 stand etwa im Raum, dass die Regionalförderung, die Niederösterreich pro Jahr etwa 150 Millionen Euro bringt, für reichere Regionen komplett gestrichen wird. Das Land versammelte daraufhin mehr als 300 Regionen aus 22 Staaten hinter sich, in denen mehr als 70 Prozent aller EU-Bürgerinnen und Bürger leben. Mit diesem Schulterschluss brachte man den Vorschlag zu Fall. Geld gibt es bis heute für alle Regionen.

NÖ Brüssel Regionalpolitik Schulterschluss Regionen
NLK Burchhart
Mit dem gemeinsamen Schulterschluss sendeten die mehr als 300 Regionen 2016 ein klares Signal an die EU-Institutionen

Im Verbindungsbüro hält man deshalb – neben der täglichen Arbeit für die Landesregierung – auch regelmäßig Kontakt zu anderen Regionen. Eine „enge Zusammenarbeit“ gibt es derzeit vor allem mit deutschen Regionen, ebenso wie Vertreterinnen und Vertretern aus Schweden, Finnland oder Dänemark, erzählt Vaugoin, „wo immer wir thematische Überschneidungen sehen“.

Mit dieser Strategie sei es Niederösterreich in der Vergangenheit – auch als Leichtgewicht in der Europäischen Union – gelungen, der europäischen Politik seinen Stempel aufzudrücken. Abhängig ist man dabei aber immer von den im Parlament vertretenen Abgeordneten bzw. den für die EU-Agenden zuständigen Mitgliedern der Landesregierung und inwiefern diese die EU-Politik mitgestalten wollen.