Soldaten der ABC-Abwehr arbeiten mit UV-Licht
ORF/Werner Fetz
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Wissenschaft

Neue Methode zum Nachweis von Nervengift

Die in Korneuburg stationierte ABC-Abwehr des Bundesheeres hat eine neue Methode entwickelt, um Nervengifte der Nowitschok-Gruppe nachweisen zu können. Erst 2020 war der russische Kreml-Kritiker Alexei Nawalny mit der Substanz vergiftet worden.

Bei Nowitschok handelt es sich um eine Gruppe von stark wirksamen Nervengiften. Die Angriffe auf den russischen Oppositionspolitiker Nawalny im Jahr 2020 auf einem Flug nach Moskau sowie auf den ehemaligen russischen Doppelagenten Sergej Skripal und seine Tochter Julia im Jahr 2018 in der südenglischen Kleinstadt Salisbury werden damit in Verbindung gebracht.

Wegen ihrer speziellen Eigenschaften seien die Nervengifte und Kampfstoffe aus der Nowitschok-Gruppe bisher schwer zu entdecken gewesen, sagt Gerald Bauer, Chemieexperte des Bundesheeres. „Die Nowitschok-Substanzen sind sehr schwerflüchtig, haben einen geringen Dampfdruck und man kann sie mit Gasmessgeräten quasi nicht wahrnehmen. Man muss daher, wenn man einen Verdacht hat, sehr material-, zeit- und personalaufwendig Wischprobenahmen machen und Oberflächen untersuchen, und das ist sehr mühsam“, so Bauer.

Spezielles Licht macht Nervengift sichtbar

Anstelle der unzähligen Oberflächenproben haben Expertinnen und Experten im ABC-Abwehrzentrum des Bundesheeres in Korneuburg nun eine Möglichkeit der großflächigen Untersuchung mit einem speziellen forensischen Licht entwickelt, das die gefährlichen Nervengifte sichtbar macht, erklärt der Kommandant des ABC-Abwehrzentrums, Jürgen Schlechter, exklusiv gegenüber dem ORF Niederösterreich.

„Wie wenn man in einem dunklen Zimmer das Licht einschaltet, können wir jetzt auf einen schnellen Blick Hinweise finden, wo sich diese Substanzen befinden können“, so Schlechter. Somit könne man den Aufwand und einen möglichen wirtschaftlichen Schaden reduzieren. „Das nimmt damit auch ein bisschen die Gefährlichkeit dieses Kampfstoffes“, sagt Schlechter.

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Soldaten der ABC-Abwehr bestrahlen Kaffeehäferl mit UV-Licht
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Mit einem speziellen Licht können die gefährlichen Nervengifte der Nowitschok-Gruppe sichtbar gemacht werden
Kaffeehäferl in UV-Licht
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Die Stoffe leuchten in dem speziell abgestimmten Licht deutlich auf
Handschuh mit Pinzette beim Sichern von Spuren an einem Kaffeehäferl
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Bisher musste man Zentimeter für Zentimeter Oberflächenproben nehmen, was sehr aufwendig war
Kaffeehäferl in UV-Licht
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Die einfachere Detektionsmethode für Stoffe der Nowitschok-Gruppe soll nun weltweite Verbreitung finden

Die Untersuchungsreihen wurden mit echten Stoffen der Nowitschok-Gruppe im Speziallabor Spiez in der Schweiz durchgeführt. „Wir haben gesehen, dass es gewisse Lichtwellenlängen gibt, bei denen diese Substanzen stark reagieren und es einen Lumineszenzeffekt gibt. Das bedeutet, dass man diese Verbindungen viel einfacher nachweisen kann“, sagt Christophe Curty, Chemiker im Labor Spiez.

Im ABC-Abwehrzentrum des Bundesheeres spricht man von einem „Gamechanger“ und einem „sehr großen Schritt“. Die Ergebnisse seien bereits wissenschaftlich publiziert worden, so Bauer. „Wir haben bereits Feedback unter anderem aus den USA, wo man uns zu diesem Ergebnis gratuliert hat. Wir gehen davon aus, dass andere Nationen auf diesen Zug aufspringen und dort weiterarbeiten. Die Frage ist immer, wie öffentlich sie das machen. Im ‚Military Research‘ (Militärische Forschung; Anm.) ist das immer mit Vorsicht zu genießen.“ Ziel der ABC-Abwehr ist es, das neu entwickelte Hilfsmittel zur Detektion des hochtoxischen Kontaktgifts rasch weltweit zu verbreiten und bekannt zu machen.

Gift aus Zeit des Kalten Krieges

Nowitschok wurde zwischen 1970 und 1980 auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges in einem staatlichen Forschungsinstitut in Moskau von sowjetischen Forschern entwickelt. Der Name bedeutet auf Russisch „Neuankömmling“. Nervengifte sind Kampfstoffe, welche die Nervensysteme angreifen – insbesondere Enzyme, die für die Kommunikation zwischen Nervenzellen und Muskeln wichtig sind.

Der russische Oppositionspolitiker und Kreml-Kritiker Alexei Nawalny hatte am 20. August 2020 während eines Flugs von Sibirien nach Moskau das Bewusstsein verloren. Sein Team ging sofort von einer Vergiftung aus, russische Ärzte betonten jedoch zunächst, dass in Urin- und Blutproben kein Gift gefunden worden sei. Nawalny wurde zur Behandlung in die Universitätsklinik Charite nach Berlin geflogen. Dort stellte man fest, dass er mit einem chemischen Nervenkampfstoff vergiftet worden war.

Die Substanz aus der Nowitschok-Gruppe wurde demnach durch ein Speziallabor der Bundeswehr nachgewiesen. Speziallabore in Frankreich und Schweden bestätigten die deutschen Befunde zur Vergiftung Nawalnys mit Nowitschok-Nervengift. Später bestätigte auch die Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) das Ergebnis.

Nawalny seit zwei Jahren in Haft

Nach seiner Genesung kehrte Nawalny im Jänner 2021 nach Russland zurück und wurde direkt bei seiner Ankunft auf dem Flughafen festgenommen – zunächst wegen angeblicher Verstöße gegen Bewährungsauflagen aus einem früheren Urteil. Im vergangenen Jahr wurde er wegen Betrugs zu weiteren neun Jahren Gefängnis unter besonders harten Haftbedingungen verurteilt. Er sitzt im Straflager Meletschowo im Gebiet Wladimir etwa 260 Kilometer nordöstlich von Moskau.

Derzeit bereiten die Behörden ein neues Verfahren gegen den Politiker wegen mutmaßlicher Bildung einer extremistischen Vereinigung vor. Damit drohen Nawalny weitere 15 Jahre Haft. International gelten die Vorwürfe gegen Nawalny wie auch bei den vorangegangenen Verfahren als politisch motiviert. Auch die EU hat seine Freilassung gefordert.