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© European Union 2023 – Source : EP
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Politik

Karas: „Europa ist Teil unseres Lebens“

Europa ist „Teil unseres Lebens“, sagt Othmar Karas, erster Vizepräsident und einer der längstdienenden Abgeordneten im EU-Parlament. Der ÖVP-Politiker aus Ybbs (Bezirk Melk) fordert ein Ende der Einstimmigkeit und nimmt die heimischen Parteien in die Pflicht.

Für Othmar Karas ist Brüssel fast schon zur zweiten Heimat geworden, immerhin sitzt der Mostviertler seit 1999 für Österreich im Europäischen Parlament. Trotzdem sagt Karas über sich: „Europa ist mein Arbeitsplatz, ich bin ein niederösterreichischer Pendler in Europa.“ Das Wochenende verbringt der 65-Jährige zu Hause, unter der Woche – von Montag bis Donnerstag oder Freitag – ist er in Brüssel.

Diese Präsenz sei wichtig und notwendig: „Ich arbeite an einem besseren Europa und dazu muss ich da sein. Wenn ich nicht da bin, dann habe ich keinen Einfluss.“ Sein Optimismus rührt aus seiner Jugend – einer Zeit, die vom Eisernen Vorhang und einer Abwanderung der Bevölkerung und Betrieben geprägt war. Erst durch den Beitritt zur EU sei Niederösterreich aufgeblüht. „Daher ist es wichtig, dass wir Europa und die Europapolitik als Teil unseres Lebens verstehen.“

„Noch lange nicht am Ziel“

Karas ist Mitglied im Ausschuss für Wirtschaft und Währung sowie im Steuerausschuss. Hier geht es vor allem um das Thema Steuergerechtigkeit. Doch nach wie vor gehen in Ländern der EU jedes Jahr mehr als 800 Milliarden Euro an Einnahmen verloren – durch Steuerflucht, Betrug oder Steuervermeidung. „Hier sind wir noch lange nicht am Ziel.“

1990-1999 [13599], Brussels [5396], meeting [13335], Committee on Economic and Monetary Affairs [5447], ECON, KARAS, Othmar [5395], Scan Original
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Othmar Karas ist einer der längstdienenden EU-Abgeordneten und sitzt seit 1999 für Österreich im Parlament

Die Steuerpolitik ist derzeit Angelegenheit der Nationalstaaten. Karas kritisiert diesen „Fleckerlteppich“ von 27 Steuerregelungen, die „zu Wettbewerbsverzerrungen“ und „Ungerechtigkeit“ führen: „Weil sich jeder den billigsten Standort sucht, wo man am meisten bekommt, und am wenigsten zahlt.“ Das sei aber nicht immer mit Qualität verbunden. Karas plädiert deshalb bei grenzüberschreitender Steuerpolitik für europaweit gleiche Richtlinien.

Mitgliedsstaaten „blockieren“

Dafür braucht es aber ein Ende des Einstimmigkeitsprinzips, was Karas schon seit langem fordert, damit einzelne Mitgliedsstaaten Vorhaben „nicht blockieren und andere erpressen können“. 80 Prozent der EU-Gesetzgebung würden zwar schon mehrstimmig entschieden. Doch die Krisen der vergangenen Jahre hätten gezeigt, „dass uns die Einstimmigkeit weiter blockiert, in der Handlungsfähigkeit einengt.“ Nur so könne Europa „demokratischer werden“.

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In seiner Funktion als Erster Vizepräsident vertritt Karas oft die Parlamentspräsidentin bei offiziellen Anlässen

Seit dem Vorjahr ist Karas Erster Vizepräsident im Parlament. Zu seinen Aufgaben gehört etwa die Kommunikation des EU-Parlaments nach außen, wo es noch Verbesserungsbedarf gibt. Für Karas dürfe die Kommunikation „nicht von oben nach unten“ erfolgen, „sondern nur miteinander.“ Dazu gehöre aber auch, dass sich die Politiker nicht untereinander ausspielen, sondern die Wahrheit sagen und Kompromisse und Ziele erklären.

Starke Präsenz Niederösterreichs

Um eine gewisse EU-Skepsis abzubauen, müsse man den Bürgerinnen und Bürgern vermitteln, „dass es keine Entscheidung ohne Einbindung Niederösterreichs gibt“ – durch den Europäischen Rat oder das Parlament. Niederösterreich sei mit derzeit vier Abgeordneten „stark präsent, viel stärker als es der Größe unseres Landes entspricht.“ Dazu trägt auch Karas Funktion als Erster Vizepräsident bei.

In dieser Funktion vertritt Karas auch die Parlamentspräsidentin Roberta Metsola bei offiziellen Anlässen sowie u.a. die Weltbank und den Internationalen Währungsfonds. Abseits davon versucht er auch heimischen Initiativen, wie dem Projekt Bio-Bienen-Apfel, das sich den Schutz der Bienen zum Ziel gesetzt hat, in Brüssel eine Bühne bieten, etwa mit einem Treffen beim Vizepräsidenten der Kommission, Frans Timmermanns.

25.05.23 EU Schwerpunkt Othmar Karas ÖVP Parlament
ORF
Durch seine Funktion versucht Karas, auch heimischen Projekten in Brüssel eine Bühne zu bieten

Gegen Golden Plating

Im Wahlkampf vor vier Jahren kritisierte die ÖVP eine aus ihrer Sicht überbordende EU-Bürokratie. Karas hält dem entgegen, dass eine Fülle an Regelungen gibt (Stichwort Golden Plating), „die national, regional auf EU-Gesetze draufgepickt werden“. Karas spricht sich dafür aus, „dass wir nichts zusätzlich machen als das, wozu wir uns in Europa verpflichtet haben. Da gibt es viele Möglichkeiten.“

Bis zum Sommer sei die Kommission auch aufgefordert, einen Vorschlag zu machen, wie ein Viertel der Berichtsverpflichten reduziert werden kann. Karas ist diesbezüglich zuversichtlich, generell hält er fest: „Alles, was wir in Europa tun, ist im Interesse Niederösterreichs, weil Europa nur für jene Dinge zuständig sein darf, die wir im eigenen Land selbst nicht regeln können.“

2019: ÖVP kritisiert im EU-Wahlkampf Bürokratie

Doch egal ob Klimawandel, Teuerung oder Energieunabhängigkeit – all diese Themen würden sich nur auf europäischer Ebene lösen lassen: „Die Debatte darüber findet in jeder niederösterreichischen Gemeinde statt, aber sie lässt sich nur durch europäische Einigung und Maßnahmen lösen, und ich will lösen.“

Überhaupt sei Karas ein Gegner davon, dass man Europa gegen Niederösterreich ausspielt. „Wir sind Teil der EU und Niederösterreich liegt im Herzen der EU.“ Kritik übt er daran, dass die EU für innenpolitische Zwecke oder in Wahlkämpfen oft missbraucht bzw. als böse dargestellt wird: „Das schmerzt mich sehr, weil alle Halbwahrheiten, alle Schuldzuweisungen und Polarisierungen zu Desinteresse und zu Fake News führen.“

„Ich stimme nicht gegen etwas“

Auffällig an Karas ist, dass er oft gegen die Linie der ÖVP-Abgeordneten stimmt (Anm.: 18 Mal seit 2020). Der ÖVP-Mandatar bezeichnet sich als „europäischer Gesetzgeber“ und betont: „Ich habe immer für die Erreichung unserer Ziele gestimmt. Ich stimme nicht gegen etwas, sondern ich möchte Europa besser machen und weiterbringen.“ Deshalb werde er auch weiterhin so abstimmen, „wie ich es für richtig und notwendig halte.“

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Karas stimmt laut eigenen Angaben „nicht gegen etwas, sondern für die Erreichung unserer Ziele“

Als Mitglied im Ausschuss für Industrie, Forschung und Energie will Karas bis zur EU-Wahl im nächsten Jahr den grünen Wandel vorantreiben. Um das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen, müssten schon jetzt erste Maßnahmen umgesetzt werden. Auch die Pandemie sei noch „nicht verarbeitet“ – es gilt „unabhängiger zu werden“, etwa bei den Impfstoffen und Medikamenten.

Zudem gilt es, die Wettbewerbsfähigkeit zu erhöhen und die EU auch in sozialen und digitalen Fragen vorantreiben. „Die Ziele liegen am Tisch, es gilt täglich an den notwendigen Maßnahmen zu arbeiten. Die Themen sind die Themen der Menschen, in Niederösterreich, genauso wie in Belgien.“