Semmering Basistunnel Baustelle Gloggnitz Tunnelöffnung
ORF/Tobias Mayr
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Landwirtschaft

Streit über versiegte Quellen am Semmering

Im Raum Göstritz (Bezirk Neunkirchen) wird gegenwärtig das letzte Teilstück des Semmering-Basistunnels gegraben. Quellen, die seit Jahrhunderten landwirtschaftlich genutzt wurden, versiegen nun. Die Bauern geben dem Tunnelbau die Schuld, die ÖBB dem Klimawandel.

„Man gibt ja die Hoffnung nicht auf“, sagt Erwin Haider, während er einmal wieder einen prüfenden Blick in seine Quelle wirft. Sein Hof in der Nähe von Raach im Hochgebirge (Bezirk Neunkirchen) nutzt seit Hunderten von Jahren das hofeigene Quellwasser. „Die Quelle versorgt die komplette Landwirtschaft“, sagt Haider. Präziser ausgedrückt: hat versorgt. Denn seit 2020 ist das Wasser weg.

Wenn der Landwirt von seiner Quelle erzählt, dann spricht er in Jahrzehnten und Jahrhunderten. „Wir haben immer Wasser gehabt“, sagt er. Selbst in den 1990er Jahren, als es sechs Jahre in Folge um 19 Prozent weniger Niederschläge als im Durchschnitt der vorangegangen 30 Jahre gegeben hätte, führte die Quelle Wasser. Auch ein alter Brunnen ist nun trocken. „Der ist schon Hunderte Jahre alt.“

Leitungs- statt Quellwasser

Haiders Rinder trinken seit neuestem Leitungswasser. Es sei nicht mehr anders gegangen, sagt der Bauer, er habe Geld in die Hand genommen und seinen abgelegenen Hof an die Wasserleitung der Gemeinde anschließen lassen. Dazu kommen nun die laufenden Wasserkosten: „Ich muss einige 100 Kubikmeter jedes Jahr kaufen, das ist schon beträchtlich.“

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Erwin Haider Quelle
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Der Blick in die Quelle: Der Hof hat seit Jahrhunderten Wasser aus den eigenen Quellen bezogen …
Quelle Haider
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… seit 2020 ist die Quelle schrittweise vertrocknet.
Landwirt Erwin Haider Rinder
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Den Hof hat Landwird Erwin Haider an das Wassernetz der Gemeinde anschließen müssen

Eine Erklärung für das plötzliche Fernbleiben des Wassers hat Haider auch: Der Semmering-Basistunnel wird etwa 1,5 Kilometer entfernt von seinem Grundstück in den Berg getrieben. Haider glaubt, dass durch die Grabungsarbeiten das Wasser seiner Quelle aus dem Berg abgelassen wird.

Komplizierte Wasserwege

Man arbeite streng im Rahmen der behördlichen Vorgaben, betont Gerhard Gobiet, ÖBB-Projektleiter des Semmering-Basistunnels und in dieser Funktion sozusagen der oberste Tunnelbauer. Es stimme zwar, dass zum Tunnelbau Wasser abgeleitet werden muss, allerdings wisse man durch jahrelanges Monitoring sehr genau, welche Wasserwege davon betroffen sind, und welche nicht – Haiders Hof nicht.

Dabei ist die Geologie des Semmerings höchst kompliziert. Denn der Semmering liege am Rand zweier Erdkrusten, sagt Rudolf Schwingenschlögl, Geologe an der Universität für Bodenkultur Wien. Gestein werde bei Erdbeben zwischen den Krusten zerrieben, einmal mehr, einmal weniger stark. Dadurch können wasserdurchlässige und wasserundurchlässige Schichten in unmittelbarer Nähe entstehen, erklärt der Geologe. Umso schwieriger sei es festzustellen, wie die Wasserwege im Berg verlaufen. Schwingenschlögl hält aber auch fest: „Man kann nicht alles auf den Klimawandel schieben.“

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Tunnelbaustelle Zwischenangriff Göstritz
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Die Tunnelbaustelle „Zwischenangriff Göstritz“: Hier wird Schutt und Wasser aus dem Stollen abgeleitet
Semmering Basistunnel Verlauf
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95 Prozent des Semmering-Basistunnels (rot) sind gebaut, 2029 sollen die ersten Züge rollen
Störungsmaterial Erdbebenzone Semmering Bohrkopf
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Durch die Erdbebenzone ist das Gestein mal stärker, mal schwächer zerkleinert und damit unterschiedlich wasserdurchlässig

ÖBB: Klimawandel führt zu trockenen Quellen

Den Klimawandel sieht man bei den ÖBB allerdings in der Verantwortung. Das Monitoring habe ergeben, dass sich Erwin Haiders Quelle aus Hangwasser speise, erklärt Gobiet. Und Hangwasser reagiere äußerst empfindlich auf Klimaveränderungen. Weniger Niederschläge, schneeärmere Winter und höhere Verdunstung wegen höherer Temperaturen – diese drei Faktoren würden die Hangquellen austrocknen, so Gobiet. Der Tunnelbau habe laut ÖBB keinen Einfluss auf Haiders Quelle.

Rückendeckung erhalten die ÖBB in ihrer Argumentation anscheinend durch den Fall eines weiteren Landwirts und dessen Quelle: Franz Eckhardt lebt mit seinen 60 Kamerunschafen in der Nähe von Schottwien (Bezirk Neunkirchen) auf 760 Meter Seehöhe. Im Herbst vergangenen Jahres fiel seine Quelle plötzlich trocken, auch er machte den Tunnelbau dafür verantwortlich. Die Tunnelbaustelle Göstritz liegt in Sichtweite zu seinen Weiden. Doch seit einer Woche sprudelt Eckhardts Quelle überraschend wieder.

Semmeringbahn und Grundwasser

Beeinträchtigt der Bau des Semmering-Basistunnels den Grundwasserspiegel? Es ist nicht das erste Mal, dass das Milliardenprojekt für hitzige Diskussionen sorgt. Läuft alles nach Plan, sollen dort in sechs Jahren die ersten Züge durchbrausen. Und während derzeit das letzte Stück bei Göstritz im Bezirk Neunkirchen gegraben wird, versiegen bei zwei Landwirten die Grundwasserquellen.

Streitpunkt Kostenübernahme

„Da sehen wir uns zu hundert Prozent bestätigt, weil in den letzten Wochen durch die hohen Niederschläge Quellen wieder anspringen“, sagt Gobiet. Eckhardt sieht das anders, zwar sei die Quelle jetzt voller Regenwasser, doch mit dem Bergwasser, das seinen Hof verlässlich seit Jahrhunderten gespeist hat, habe das nichts mehr zu tun. Auch er musste an die Gemeindewasserleitung anschließen.

quelle Eckhardt
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Franz Eckhardts Quelle führt nach den Niederschlägen wieder Wasser

Eckhardt und Haider finden, die ÖBB sollten für die Anschlusskosten aufkommen. „Ich brauche nur das, was die ÖBB damals gesagt haben: ‚Sollte etwas mit dem Wasser passieren, dann werden wir uns darum kümmern.’“ Der Antrag auf Kostenübernahme sei aber abgelehnt worden, auch bei Haider. „Wir arbeiten mit öffentlichen Geldern“, hält Gobiet dagegen, „wir können und dürfen nur das bezahlen, was wir auch wirklich beeinträchtigt haben.“

Für die Landwirte bleibt somit nur die Hoffnung, dass das Wasser langfristig zurückkommt. Das würde ihnen zumindest die laufenden Kosten für das Gemeindewasser ersparen. Laut Schwingenschlögl bestehe die Chance, sobald der Tunnel fertig ist und sich das Gestein um den Tunnel abdichtet. „Es kann sein, dass das Bergwasserniveau dann zum alten Grundwasserspiegel zurückfindet, aber das kann Jahre dauern“, so der Geologe.