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Wissenschaft

Sprechender Wald: Wie Bäume warnen können

In gesunden Ökosystemen können Bäume miteinander kommunizieren. Wesentlich dafür sind Totholzvorkommen am Waldboden. Bei Schädlingsbefall oder Trockenstress etwa warnen Bäume einander untereinander und reagieren darauf mit Schutzreaktionen.

Rund 40 Prozent der Fläche Niederösterreichs ist bewaldet, davon werden 85 Prozent forstwirtschaftlich genutzt. Vom Menschen unberührte Wildnis herrscht lediglich auf einer Fläche von 7.000 Hektar im steirisch-niederösterreichischen Wildnisgebiet Dürrenstein-Lassingtal (Bezirk Scheibbs), davon liegen 3.500 Hektar in Niederösterreich.

Die Natur ist sich hier seit zwei Jahrzehnten selbst überlassen, das Wildnisgebiet wird seither nicht mehr forstwirtschaftlich genutzt. Lediglich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben Zutritt zu dem Gebiet, um zu erforschen, wie das Zusammenspiel der Arten in der unberührten Natur funktioniert.

Käfer geben Aufschluss über Waldgesundheit

Eine Schlüsselrolle in der aktuellen Forschung kommt dabei den Totholzkäfern zu. Sie fühlen sich dort wohl, wo abgestorbene Bäume und Äste als Totholz auf dem Waldboden liegen bleiben. „Die Käfer sind gute Indikatoren dafür, wie hoch die Artenvielfalt ist“, erklärt Waldökologin Nina Schönemann gegenüber noe.ORF.at.

Von den Tieren ausgehend könne man darauf schließen, wie gesund das Ökosystem ist. In Wildnisgebieten, in denen viel Totholz vorkommt, sei die Käferdichter besonders hoch. „Man kann sich als Faustregel mitnehmen: Wenn es den Käfern gut geht, dann geht es dem Wald gut“, so Schönemann.

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Wildnisgebiet Dürrenstein Lassingtal
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Totholz bietet die Grundlage für ein funktionierendes Ökosystem
Wildnisgebiet Dürrenstein Lassingtal
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Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des Wildnisgebiets nutzen zur Bestimmung der Käferdichte solche Käferfallen
Wildnisgebiet Dürrenstein Lassingtal
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Je höher die Artenvielfalt und die Vorkommen der Käfer, desto stabiler ist das Ökosystem

Warnungen vor Hitzestress und Schädlingen

Ein gesundes Ökosystem basiere auf einem ausgeklügelten internen Kommunikationssystem zwischen den verschiedenen Pflanzen-, Pilz- und Tierarten. „Man darf den Wald nicht als die Summe der Bäume verstehen, sondern als ein Ökosystem, in dem alles miteinander agiert“, erklärt die Waldökologin. Über stofflichen Austausch können die Lebewesen miteinander interagieren und einander so unter anderem auch warnen.

Zum Beispiel bei Hitzestress oder Schädlingsbefall: Wird bei einem Baum eine Stressreaktion ausgelöst, dann erhalten die umliegenden Bäume über das Ökosystem im Totholz eine Warnung. „Die anderen Bäume können sich dann schon darauf vorbereiten, dass ihnen dasselbe vielleicht auch widerfährt“, erklärt Schönemann. In solchen Fällen würden sie dann etwa verstärkt Harz produzieren oder Nährstoffe austauschen.

Mehr Totholz führt zu gesünderem Wald

Dass dieses Warnsystem im Wildnisgebiet funktioniert, zeigt sich exemplarisch an den noch in Zeiten der Forstwirtschaft angepflanzten Fichtengruppen. Der Borkenkäfer hat einige Bäume abgetötet, Fichten in unmittelbarer Nachbarschaft konnten dem Schädling jedoch widerstehen.

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Wildnisgebiet Dürrenstein Lassingtal
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Einige Fichten sind vom Borkenkäfer zerstört worden, Bäume in unmittelbarer Nähe konnten sich jedoch vorbereiten
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Der Wald hat so den Schaden insgesamt gering halten können

Schönemann appelliert, in Waldgebieten mehr Totholz liegen zu lassen, damit die natürlichen Kommunikationskanäle nicht unterbrochen werden und die Pflanzen und Arten gemeinsam auf Herausforderungen wie beispielsweise auf den Klimawandel reagieren können.

Langfristig würden wir eher mehr als weniger Wildnisgebiete brauchen, ist Schönemann überzeugt. „Wildnisgebiete bieten gewisse Leistungen, die wir als selbstverständlich nehmen, die aber unsere Lebensgrundlage sind.“ Dazu zähle etwa gereinigtes Trinkwasser, saubere Luft sowie ein mildes Klima. Je stärker das Ökosystem eines Waldes sei, desto besser könne die Natur Leistungen erbringen, von denen die Menschen abhängen.