Der Greenpeace-Report zeigt, wie sich die Verkehrsinfrastruktur in Europa seit 1995 verändert hat. Während in den Jahren 1995 bis 2018 europaweit das Straßennetz um über 30.000 Kilometer gewachsen sei, sei das Schienennetz im gleichen Zeitraum um mehr als 15.000 Kilometer geschrumpft, hat Greenpeace berechnen lassen.
Das Wuppertal Institut und der T3 Transportation Think Tank untersuchte dafür die Infrastruktur des öffentlichen Verkehrs in der EU-27, Großbritannien, Norwegen und der Schweiz. Der Report zeigt, dass die untersuchten Länder seit 1995 um fast zwei Drittel mehr in den Ausbau und die Sanierung von Straßen investiert haben (1,5 Billionen Euro) als in den Ausbau des Bahnverkehrs (931 Milliarden Euro).
Österreich investierte mehr in Schienen als in Straßen
In den Jahren 2018 bis 2021 habe sich diese Schere etwas geschlossen: Die 30 europäischen Länder hätten in den Ausbau des Straßenverkehrs um ein Drittel mehr investiert als in den Bahn-Ausbau. Aber es gibt auch Gegenbeispiele: Österreich, Belgien, Dänemark, Frankreich, Italien, Luxemburg und das Vereinigte Königreich haben in diesen vier Jahren sogar mehr in den Bahnverkehr investiert als in den Straßenverkehr.
Dennoch findet die Umweltorganisation vor allem kritische Worte für Österreich. In den fast drei Jahrzehnten seien nämlich 655 Bahnkilometer und 230 Bahnhöfe stillgelegt worden.
Schlusslicht Niederösterreich
Von allen stillgelegten Bahnstrecken befand sich laut Greenpeace jede zweite in Niederösterreich. Die Steiermark und Kärnten stellten jeweils sechs Strecken ein. In den drei westlichsten Bundesländern Vorarlberg, Tirol und Salzburg wurde im Untersuchungszeitraum keine einzige Bahnstrecke stillgelegt.
Die längste stillgelegte Bahnstrecke war laut der Studie die Ybbstalbahn mit einer Länge von 50 Kilometern. Sie wurde größtenteils demontiert, mit Ausnahme eines kurzen Nahverkehrs und einer Museumsbahnstrecke. Die Stadt mit den meisten Einwohnern, die von der Schließung eines Bahnhofs betroffen sind, sei Zwettl.

„Nun sind die Landesregierungen gefordert: Vor allem im Schlusslicht Niederösterreich müssen stillgelegte Regionalbahnstrecken wieder reaktiviert werden“, meint Marc Dengler von Greenpeace Österreich. Dabei kommt es nach Ansicht der Umweltorganisation nicht darauf an, ob die Strecken rentabel sind. Viele Bahnen in Österreich könnten leicht reaktiviert werden, heißt es, da sie entweder für den Güterverkehr oder als Schaubahnen genutzt werden.
ÖBB: „Enorme Kosten“ für Wiedereröffnung
Die ÖBB wollen diese Kritik nicht auf sich sitzen lassen: In den Jahren 2023 bis 2028 werde die ÖBB-Infrastruktur AG rund 1,8 Mrd. Euro in die Modernisierung und Attraktivierung der Regionalbahnen investieren, heißt es in einer Stellungnahme. Man sei gesetzlich verpflichtet, mit den zur Verfügung gestellten Steuermitteln sparsam und wirtschaftlich umzugehen. Daher könnten nicht alle Strecken erhalten und modernisiert werden. Wenn keine entsprechende Nachfrage zu erwarten sei, dürften die ÖBB entsprechend den vom Verkehrsministerium vorgeschriebenen Wirtschaftlichkeitskriterien nicht investieren.
Die Wiedereröffnung eingestellter regionaler Zugverbindungen würde enorme Kosten verursachen und geringen Nutzen bringen, argumentieren die ÖBB. Neue regionale Verbindungen werde es dort geben, wo es verkehrspolitisch und im Interesse der Steuerzahler sinnvoll sei, etwa auf der neuen Koralmbahn oder wie heute schon auf der neuen Weststrecke aus dem Tullnerfeld.
Umweltministerin: „Trendwende geschafft“
„Die Bahn ist die Zukunft des klimafreundlichen Verkehrs – deshalb investieren wir aktuell Rekordsummen in den Bau und die Modernisierung von Bahnstrecken“, betonte Umweltministerin Leonore Gewessler (Grüne). Das bestätige auch die Studie: Österreich sei bei den Bahninvestitionen im europäischen Spitzenfeld. Außerdem gebe es „bei uns deutlich mehr Geld für Bahn als für die Straße“. „Wir haben beim Bahnausbau die Trendwende geschafft. Und das ist gut“, so die Ministerin.
„Nicht wer die meisten Schienenkilometer in der Landschaft verlegt, kommt seiner Verantwortung gegenüber den Menschen im Land nach, sondern wer die Mobilitätsbedürfnisse der Bürger ernst nimmt und sich um ein bestmögliches Angebot kümmert“, so Landeshauptfrau-Stellvertreter Udo Landbauer (FPÖ) zu dem von Greenpeace erhobenen „Schlusslicht“-Vorwurf gegen Niederösterreich.
FPÖ sieht Bundesland auf gutem Weg, SPÖ nicht
Der öffentliche Verkehr müsse abseits „ideologischer Grabenkämpfe“ den Bedürfnissen der Menschen im Land entsprechen. Mit einem konsequenten Ausbau des Bahn- und Busangebotes sowie innovativen Projekten (Stichwort letzte Meile) nehme Niederösterreich genau diesen Auftrag ernst, so Landbauer.
Zustimmung erntete Greenpeace indes vom niederösterreichischen SPÖ-Vorsitzenden. Landesrat Sven Hergovich forderte, dass stillgelegte Bahnverbindungen im Bundesland wieder reaktiviert werden, „insbesondere dort, wo sie für den Personenverkehr zwar geschlossen, für den Güterverkehr aber noch genutzt werden“. Diese Bahnkilometer hätten viel Potenzial, um optimale und klimafreundliche Verbindungen anbieten zu können. Niederösterreich müsse viel mehr in den Öffentlichen Verkehr investieren, so Hergovich.