Kinder auf der Suche nach ihrem Vater

Nach 1945 wurden in Österreich etwa 20.000 „Besatzungskinder“ geboren. Sie waren die Folgen von Beziehungen österreichischer Frauen mit Besatzungssoldaten, aber auch die Folge von Vergewaltigungen. Viele von ihnen kennen ihren Vater nicht und suchen ihn seit Jahren.

Besatzungskinder waren - gemeinsam mit ihren Müttern - unterschiedlichen Formen der Diskriminierung und vielen Anfeindungen ausgesetzt. Sie galten als „Kinder des Feindes“, obwohl ihre Väter de jure keine Feinde mehr waren.

Mutter mit Kind

Barbara Stelzl-Marx

Ursula F. hatte eine Liebesbeziehung mit einem sowjetischen Besatzungssoldaten. „Im Oktober 1947 kam die gemeinsame Tochter Angelika auf die Welt. Als Erinnerung an ihren Vater sind ihr nur einige Fotos und Briefe geblieben. Die Suche nach ihm war bisher erfolglos“ (Barbara Stelzl-Marx).

„Die Besatzungskinder waren über Jahrzehnte hinweg eine unsichtbare Generation, die an den Rand der Gesellschaft und oft auch an den Rand der eigenen Familie gedrängt wurden. Sie waren umgeben von einer Mischung aus Tabuisierungen und Anspielungen“, erklärt Barbara Stelzl-Marx, stellvertretende Leiterin des Ludwig Boltzmann-Institues für Kriegsfolgen-Forschung in Graz. Die Historikerin beschäftigt sich seit Jahren mit diesem Thema und hat am 27. September 2012 eine Internationale Konferenz zu diesem Thema geleitet - mehr dazu in „Soldatenkinder“: Tabuthema seit 65 Jahren.

Köglberger: „Habe durch Sport Freunde gewonnen“

Helmut Köglbergers Vater war farbiger US-Soldat. Das dunkelhäutige Besatzungskind, geboren am 12. Jänner 1946, machte später Karriere als Fußballspieler - er war drei Mal österreichischer Meister (LASK 1964/65, Austria Wien 1968/69 und 1969/70), zweifacher Torschützenkönig (1968/69 und 1974/75), und Kapitän des österreichischen Nationalteam, dem er 28 Mal angehörte und für das er sechs Tore erzielte.

Helmut Köglberger

ORF

Helmut Köglberger: „Wir waren überall dabei, bei den Ministranten und beim Fußball.“

Helmut Köglberger erzählt über seine Kindheit: „Ich habe eigentlich wenig vermisst, und ich habe durch den Sport viele Freunde gewonnen. Wir haben auch viel unternommen, waren überall dabei, bei den Ministranten, bei der Katholischen Jugend, wir haben Tischtennis gespielt. Wir waren immer eine Gemeinschaft von sieben, acht Buben, wir sind auch alle zum Verein gegangen (SV Sierning, Anm.) und treffen uns heute noch.“

„Ich war stolz auf meinen Vater, den Rotarmisten“

Seinen Vater hat Helmut Köglberger jedoch nie kennengelernt. Er gab die Suche nach ihm nicht auf, ebenso wenig wie Eleonore Dupuis. Ihr Vater war Rotarmist, ihre Mutter hat sie über die wahre Herkunft ihres Vaters informiert, als das Mädchen neun Jahre alt war: „Ich war damals irgendwie froh und stolz. Meine Mutter hat mir vermutlich auch nur Gutes erzählt über meinen Vater. Er soll ein sehr guter Mensch gewesen sein, er hat immer Nahrungsmittel gebracht, als die Not am Allergrößten war, sie hat sich mit ihm gut verstanden, aber plötzlich musste er weg.“

Rotarmist mit Kleinkind

Barbara Stelzl-Marx

Eine der seltenen Aufnahmen eines sowjetischen Besatzungssoldaten mit seinem österreichischen Kind. Kurze Zeit später wurde der Rotarmist in die Sowjetunion versetzt.

Eleonore Dupuis’ Vater ist tot, das weiß sie heute. Die gebürtige Sankt Pöltnerin sucht aber weiter nach ihm, nach seinem Namen, nach seiner Geschichte, sie möchte ihrem Vater ein Gesicht geben.

Sendungshinweis: „Guten Morgen, NÖ“, 3.10.2012

Ö1-„Journal Panorama“, Sendung vom 3.10.2012

Wenn man nach langen Jahren der Suche endlich erfährt, wer der Vater war, was könnte das eigentlich persönlich bedeuten? „Das ist unbeschreiblich, das kann ich gar nicht in Worte fassen. Das wäre wie im Märchen, wenn ich jetzt plötzlich wissen würde, wo meine Wurzeln sind“, sagt eine 66-jährige Frau, die ihren Namen nicht nennen möchte. Auch sie ist seit Jahren auf der Suche nach ihrem Vater, der sowjetischer Besatzungssoldat in Österreich war.

Reinhard Linke, noe.ORF.at

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