Staatsanwalt: „Sexualität“ als Tatmotiv

Unter großem Medien- und Publikumsinteresse ist heute in Korneuburg der Prozess im Fall Kührer in den ersten von sieben Verhandlungstagen gestartet. Im Eröffnungsplädoyer ortete der Staatsanwalt die Sexualität des Angeklagten als Tatmotiv.

Pünktlich um 9.00 Uhr wurde der des Mordes an der 16-jährigen, fünf Jahre vermissten Schülerin aus Pulkau im Weinviertel Angeklagte von Justizwachebeamten in den Schwurgerichtssaal geführt. Nach wenigen Minuten verwies Richter Helmut Neumar die Fotografen des Saals und begann mit der Aufnahme der Personalien des Beschuldigten Michael K. (51).

Prozessauftakt Kühler

ORF / Gernot Rohrhofer

Staatsanwalt Christian Pawle sprach in seinem fast halbstündigen Eröffnungsvortrag von einem umfangreichen Ermittlungsverfahren. Er ersuchte die Geschworenen um Unvoreingenommenheit, auch wenn der Fall aufgrund seiner Tragik einer der medienträchtigsten der jüngeren Vergangenheit sei. Die Laienrichter mögen auch außer Acht lassen, dass der Angeklagte nicht gerade ein „Sympathieträger“ sei. Der Angeklagte, seit 5. Dezember 2012 in U-Haft, sei der einzige Verdächtige, betonte der Ankläger.

Angeklagter soll Kührer Drogen verkauft haben

2004 hatte der Beschuldigte das von Gebäuden und Mauern umschlossene Grundstück in Dietmannsdorf erworben, der in den Hang gegrabene Erdkeller - wo Kührers Leiche gefunden wurde - sei ausschließlich über das Objekt zugänglich gewesen, so Pawle. Im Oktober 2005 eröffnete der Mann eine Videothek in Pulkau und habe durch seine „prahlerische und extrovertierte“ Art rasch Kontakt zu Jugendlichen geschlossen, das Geschäft habe sich zum Treffpunkt entwickelt, auch Kührer sei öfters dort gewesen.

Dann beleuchtete der Staatsanwalt den Tag des Verschwindens der Schülerin: Sie sei demnach am 27. Juni 2006 nach der Schule um 12.45 Uhr in Horn in den Bus gestiegen und um 13.33 Uhr am Hauptplatz ihres Heimatortes Pulkau angekommen und sei, so Pawle, nicht direkt nach Hause, sondern zur Videothek gegangen. Dort habe sie Suchtgift vom Angeklagten erwerben wollen - sie soll unter der zwei Tage zurückliegenden Trennung von ihrem Freund gelitten und in der Früh Streit mit ihrer Mutter gehabt haben, weil sie einen Psychologen aufsuchen sollte.

Der Angeklagte habe ihre emotionale Zwangslage ausgenutzt, um ihr sein sexuelles Interesse zu zeigen. Als Kührer ihn abwies, habe er ihr einen heftigen Faustschlag auf den Mund versetzt, durch den ein Schneidezahn abgebrochen sei, verwies der Ankläger auf die am Skelett festgestellten Verletzungen des Oberkiefers. Der Schneidezahn wurde allerdings trotz intensiver Suche im Erdkeller nicht gefunden.

Leiche verbrannt

Im Anschluss soll K. das Mädchen „auf nicht mehr feststellbare Weise“ getötet haben. Aus Angst vor Entdeckung habe er dann auf den Einbruch der Dunkelheit gewartet, um die Leiche im Pkw nach Dietmannsdorf zu bringen. Dort habe er die Tote, wie in der Anklage vermerkt, „in einer Schiebetruhe“ zum Erdkeller gebracht - postmortale Verletzungen u. a. der Wirbelsäule könnten laut Pawle durch eine Schaufel entstanden sein. Im Erdkeller habe er die Tote in Jutesäcke und eine Decke gewickelt und sie mit einem Molotowcocktail in Brand gesetzt und dann im hinteren Bereich verscharrt. Um seine durch den Verwesungsgeruch angelockten Hunde abzuhalten, habe er den Kellereingang in der Folge mit einem Brett verbarrikadiert.

Als Tatmotiv ortete der Staatsanwalt die „hochgradige, nach außen getragene Sexualität“ des Angeklagten, der zu diesem Zeitpunkt unter keiner sozialen Kontrolle gestanden sei und sein sexualisiertes Verhalten auch nicht ausleben habe können. Zuvor sei eine junge Tschechin vor ihm geflohen, eine andere Frau habe ihn Mitte Juni 2006 verlassen. Abgesehen von seiner Affinität zu jungen Frauen habe Kührer ganz seinem bevorzugten Typ - schlank, dunkelhaarig - entsprochen. Es gebe „eine Reihe von Zeugenaussagen, dass sie ihm sehr gefiel und er Sex mit ihr wollte“, sagte Christian Pawle.

Angeklagter und Verteidiger bei Kührer-Prozess

APA/HELMUT FOHRINGER

So habe der Angeklagte etwa in den Osterferien 2006 einer Zeugin an die Brust gefasst und auch Partnerinserate aufgegeben. Seinen Behauptungen, junge Mädchen würden ihn nicht interessieren, wurden durch Internetabfragen widerlegt.

Überdosis als Todesursache ausgeschlossen

Der Staatsanwalt führte zu den vorliegenden Indizien weiter aus, dass die Sachverständigen neben den prä- und postmortalen Verletzungen an der Leiche den Einsatz von Brandbeschleunigern nachwiesen. Es fand sich zunächst kein Hinweis auf Drogen - eine Überdosis sei als Todesursache ausgeschlossen, so Pawle. Bei einer weiteren Untersuchung der sterblichen Überreste des Mädchens wurden Metamphetamine nachgewiesen. In dem von der Straße aus nicht einsehbaren Erdkeller wurden Jutereste der gleichen Machart gefunden wie bei Hundeskeletten auf dem Grundstück - außerdem wurden dort Gegenstände entdeckt, die das Mädchen am Tag ihres Verschwindens bei sich hatte.

Landesgericht Korneuburg außen

APA/HELMUT FOHRINGER

Spurfasern der blauen Decke, in der die Leiche eingewickelt war, fanden sich in der Wohnung des Angeklagten, DNA von Kührer auf den verkohlten Resten. Bis zuletzt habe der Beschuldigte geleugnet, die Decke zu kennen. Auch dessen Erklärung, sein Grundstück sei unversperrt gewesen, stimme nicht, so Pawle. Während K. bisher ausgesagt hatte, am 27. Juni 2006 in Tschechien gewesen zu sein, sei sein Handy um 13.14 Uhr in Pulkau eingeloggt gewesen, betonte Pawle das räumliche und zeitliche Naheverhältnis zum Verschwinden des dem Mann bekannten Mädchens.

Laut Polizei wurde ein Fahrzeug des Angeklagten tags darauf, am 28. Juni 2006, an der Grenze nach Tschechien gesichtet. Aufgrund der gesamten Spurenlage sei daher mit höchster Wahrscheinlichkeit vom dargestellten Tathergang auszugehen, auch wenn Todesart und -ursache nicht mehr feststellbar waren.

Verteidiger will Lokalaugenschein

Verteidiger Farid Rifaat forderte in seinem Eröffnungsplädoyer einen Freispruch für seinen Mandanten. Der von Pawle geführte Eröffnungsvortrag sei zwar „sachlich und ruhig“, allerdings auch „löchrig“ und „unvollständig“ gewesen und habe in „wesentlichen Passagen Dinge ausgelassen“. Weder Todesursache noch Tatzeitpunkt sowie Tathergang stünden fest. Rifaat forderte zu diesem Zweck einen Lokalaugenschein in Pulkau und Dietmannsdorf.

Blaue Decke mit der Aufschrift "Borbo"

Polizei

Dass die auf der blauen Decke gefundene, von K. stammende DNA-Spur als „stichhaltigster Beweis“ der Staatsanwaltschaft herhalte, ließ der Anwalt so nicht gelten. Er erweiterte den Sachverhalt um ein weiteres Faktum: „Es gibt eine weitere, nicht zuordenbare DNA-Spur.“ Es sei aber nicht verwunderlich, dass auf der Decke, die offenbar vom Anwesen des Verdächtigen stammte, eine DNA-Spur des 51-Jährigen gefunden wurde. Vielmehr sei fraglich, wie diese zweite Spur darauf kam.

Rifaat führte den Geschworenen vor Augen, dass sein Mandant immer nur billige Decken für seine Hunde gekauft habe und niemals eine der Marke „Borbo“ wie jene, in die Kührers Leiche eingewickelt war. „Die Polizei hat alle Einkäufe nachvollzogen, es wurde kein einziger Verkauf einer ‚Borbo‘-Decke an ihn gefunden“, so der Anwalt. Ergo müsse jemand anderer dieses Stück erworben und auf sein Anwesen gebracht haben.

Rifaat brachte weiters vor, dass man im Erdkeller, wo die Leiche Kührers entdeckt wurde, zwei Zigarettenfilter gefunden hatte - wieder mit nicht zuordenbaren DNA-Spuren: „Mein Mandant raucht aber seit 20 Jahren nicht mehr, es muss also jemand anderer im Keller gewesen sein. Er ist daher nicht der Einzige, der Zugang zu diesem hatte.“

Prozessauftakt unter Polizeischutz

Das Medien- und auch das Publikumsinteresse an dem Prozess ist groß. Schon um 8.00 Uhr - eine Stunde vor Prozessbeginn - standen die ersten Gerichtskiebitze vor dem Landesgericht. „Wenn man den Fall verfolgt hat, hat man dazu natürlich auch eine Meinung. Und mich interessiert jetzt, wie das Gericht das entscheidet“, sagte einer der Wartenden. „Wir sind aus dem Bezirk und haben den Fall verfolgt, weil wir auch selbst Kinder haben. Wir hoffen, dass der Fall nun zu einer Aufklärung kommt“, meinte eine Frau, die den Prozess mitverfolgen wird.

Dass viele Menschen zum Prozessauftakt kommen werden, war auch dem Landesgericht klar. Deshalb wurden diverse Vorbereitungen getroffen. „Wir haben den Sicherheitsdienst verstärkt, wir haben auch Polizeipräsenz hier und um Verkehrsüberwachung angesucht“, sagte die Mediensprecherin des Landesgerichts, Christa Zemanek. Der Prozess wird sieben Tage lang dauern und ist für nahezu drei Wochen anberaumt - mehr dazu in Prozessfahrplan im Fall Kührer. Ein Urteil könnte am 24. September fallen.

2006 kam Kührer nicht mehr von der Schule nach Hause. Jahrelang galt die 16-Jährige als vermisst, bis vor zwei Jahren in einem Erdkeller in Dietmannsdorf nahe ihrem Heimatort die sterblichen Überreste des Mädchens entdeckt wurden - mehr dazu in Julia Kührer: Chronologie des Falles.

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