Mutmaßliche Schlepper enthaftet

Knalleffekt im Prozess gegen acht mutmaßliche Schlepper in Wiener Neustadt: Richterin Petra Harbich enthaftete am Donnerstag sechs Angeklagte, alle Beschuldigten sind somit auf freiem Fuß, den Antrag auf Enthaftung stellte die Staatsanwältin.

Nur fünf Minuten nach Verhandlungsbeginn beantragte Staatsanwältin Gunda Ebhart überraschend die Enthaftung aller Beschuldigten, wie die Austria Presse Agentur (APA) berichtet, sah sie sich „aus Gründen der Verhältnismäßigkeit“ zu diesem Schritt veranlasst. Sechs der acht Angeklagten waren seit Juli in Untersuchungshaft, zwei wurden bereits vor Beginn des Prozesses entlassen.

„Fortsetzung der Untersuchungshaft nicht zuzumuten“

Die Enthaftungen waren „geboten“, weil das Gericht die Vertagung des Verfahrens auf unbestimmte Zeit angekündigt habe, „um Fakten zu prüfen“, verteidigte Erich Habitzl, Sprecher der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt, die Vorgangsweise. Unter diesen Umständen sei den Beschuldigten, die schon acht Monate lang in Untersuchungshaft waren, eine Fortsetzung der Haft nicht zuzumuten, so Habitzl. Er betonte aber auch, dass aus Sicht der Staatsanwaltschaft der dringende Tatverdacht gegen die der Schlepperei Angeklagten weiter gegeben sei.

Unter den Angeklagten befinden sich mehrere Flüchtlinge, die an der Besetzung der Wiener Votivkirche teilgenommen haben und anschließend im Servitenkloster untergebracht waren. Ihnen wird vorgeworfen, als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung andere Flüchtlinge gewerbsmäßig nach oder durch Österreich geschleust zu haben - mehr dazu in Schlepperprozess in Wr. Neustadt. Vorerst ist der Prozess aber zu Ende. Die vorsitzende Richterin vertagte auf 6. Mai, ursprünglich hätte es an diesem Tag ein Urteil geben sollen. Alle im April geplanten Verhandlungstage wurden abgesagt.

Harbich traf diese Entscheidung, weil nach der Vernehmung der aller acht Angeklagten Zweifel an der Stichhaltigkeit der Anklageschrift aufgekommen waren. „Das wäre eigentlich ein Fall für die Rückleitung des Aktes zu einem Untersuchungsrichter. Aber das sieht die neue Strafprozessordnung nicht mehr vor“, so die Richterin. Auch an den Übersetzungen von 10.000 Telefonüberwachungsmitschnitten kamen Zweifel auf. Die Richterin wird die Dolmetscher als Zeugen laden. Hingegen sieht die Staatsanwaltschaft „keinen nachvollziehbaren Grund“ für die Vertagung, so seien für die Vorbereitung der Hauptverhandlung vier Monate lang Zeit gewesen.

Anwälte sprechen von „taktischem Rückzug“

Clemens Lahner aus der Anwaltsriege der Männer aus Pakistan, Indien und Afghanistan wertete die Entscheidung über die Enthaftung als „taktischen Rückzug der Staatsanwaltschaft“. Nach der formellen Enthaftung der sechs Beschuldigten wurde am Donnerstag als letzter Angeklagter ein 39-jähriger Pakistaner einvernommen. Er soll „eines der in Österreich übergeordneten Mitglieder der kriminellen Schlepper-Vereinigung“ gewesen sein und 39 Schleppungen organisiert haben. „Zirka 21, aber keine 39“, so seine Verantwortung. „Aber das war kein Business. Ich habe Freunden oder Freunden von Freunden geholfen.“

Das Verfahren gegen die acht Männer hatte am 17. März begonnen und sollte nach dem ursprünglichen Plan nach 14 Verhandlungstagen zu Ende gehen. Als „zutiefst beunruhigend" bezeichnete unterdessen der Generalsekretär der Caritas der Erzdiözese Wien, Klaus Schwertner, die Vorwürfe gegen die Männer. Der Prozess werfe außerdem mehr Fragen auf, als er bisher Antworten geben konnte - mehr dazu in Carits nimmt zu Schlepperprozess zu Stellung (religion.ORF.at).

Heftige Kritik von SOS-Mitmensch und Grünen

Mit heftiger Kritik reagierte in einer Aussendung auch SOS-Mitmensch auf die Enthaftung. Diese „kommt symbolisch einer Anklageerhebung gegen das Innenministerium und Teile der Staatsanwaltschaft gleich“, sagte der Sprecher der Menschenrechtsorganisation, Alexander Pollak. SOS mutmaßte, dass es bei der Verhaftung der Angeklagten im vergangenen Sommer „auch und vor allem darum ging, die Flüchtlingsprotestbewegung nachhaltig zu beschädigen.“ Alev Korun, Menschenrechtssprecherin der Grünen, begrüßte die Enthaftung und kritisierte dabei Innenministerin Johanna Mikl-Leitner (ÖVP). Laut Korun enthält die Anklage kaum konkrete belastende Fakten: „Dass die Männer, ein paar von ihnen ehemalige Servitenkloster-Flüchtlinge, trotzdem seit Juli 2013 in U-Haft angehalten wurden, wirft ein bestimmtes Schlaglicht auf die Aussagen und auch das Vorgehen der Innenministerin.“

Links: