Turrini: „Das Leben ist eine lustige Katastrophe“

Am Freitag wird der im Weinviertel lebende Dramatiker Peter Turrini 70 Jahre alt. „Das Biografische spielt in meiner Literatur immer eine Rolle“, sagt der Dichter. Und: „Es geht nicht um Wahrheit, sondern um Wahrhaftigkeit“, so Turrinis Conclusio.

Wolfgang Huber-Lang: Herr Turrini, welche Gefühle begleiteten Sie in den letzten Wochen vor Ihrem Geburtstag? Es wurden und werden ja jede Menge Veranstaltungen vorbereitet, Bücher und Filme publiziert und Stücke geprobt und aufgeführt.

Peter Turrini: Es ist doch fein, wenn die eigene Arbeit den Weg zu den Menschen findet. Aber Geburtstage und Namenstage und Ostern und Weihnachten machen mir weniger Freude. Ich feiere ja gerne, aber nicht nach dem Kalender. Das funktioniert bei mir nicht.

Wolfgang Huber-Lang: Ein Stück am Theater in der Josefstadt in Wien und ein soeben erschienenes Buch heißen gleich: „C’est la vie“. Kann, muss oder darf „C’est la vie“ autobiografisch gelesen werden? Was ist an der Person Peter Turrini von allgemeinem Interesse?

Peter Turrini: Das Biografische spielt in meiner Literatur immer eine Rolle, mehr oder weniger. Aber es ist nur eine Vorfindung, aus der ich dann meine Erfindungen mache. Schriftsteller sind Ausdenker, Fantasierer, Lügner und keine Kopisten des wirklichen Lebens. Es geht nicht um die biografische Wahrheit, sondern - wenn es gelingt - um Wahrhaftigkeit. Also um etwas, das auch für andere Menschen von Bedeutung ist. Der Schriftsteller als Person ist uninteressant und ich kann nur jedem von einer Begegnung mit mir abraten.

Wolfgang Huber-Lang: Sie werden in der Josefstadt nicht von einem, sondern von mehreren Darstellern bzw. Darstellerinnen gespielt. Dürften sie sich einen absoluten Wunsch-Darsteller aussuchen, eine Hollywoodgröße, ja sogar einen Toten: Wer wäre der Turrini-Darsteller Ihrer Träume?

Peter Turrini: Robin Williams. Der hatte ein Leben lang Depressionen und ist in seinen Filmen immer so lustig. Dem fühle ich mich sehr nahe. Das Leben ist ja tatsächlich eine lustige Katastrophe, und in den meisten meiner Stücke geht es ebenso zu.

Peter Turrini

Astrid Bartl

Wolfgang Huber-Lang: Das neue Stück beginnt mit dem Satz: „Wenn man auf die Welt kommt, weiß man nicht, ob man glücklich oder unglücklich wird.“ Was von beidem sind Sie geworden?

Peter Turrini: Ich glaube, ich habe zu beidem ein nachdrückliches Talent.

Wolfgang Huber-Lang: Sie beschreiben die sehr schöne Szene, dass Sie bei Ihrem ersten Schlussapplaus von der Bühne gar nicht mehr herunterwollten. War der unerwartete Buhorkan bei „Da Ponte in Santa Fe“ später dann so etwas wie die Vertreibung aus dem Paradies?

Peter Turrini: Kein Orkan kann mich aus diesem lebenslänglichen Ort der Zuflucht, dem Theater, vertreiben. Ich habe immer wieder das Gefühl, dass ich das Leben nicht ertrage, aber im Theater kann ich alle Bedrängnisse nachstellen und mir eine Spur erklärlicher machen. So etwas gebe ich doch nicht wegen einer Salzburger Auspfeifung auf. Außerdem hatte ich schon mehrere Buhorkane.

Wolfgang Huber-Lang: „Ich bin nicht Dichter geworden, damit ich geehrt, sondern damit ich gelesen werde“, heißt es im Stück. Macht Ihnen keine Auszeichnung Freude? Und nach den Nobelpreisen für Dario Fo und Harold Pinter - hat sich da nie ein klitzekleiner Gedanke im Hinterkopf festgesetzt: Das könnte sich ja vielleicht auch einmal für mich ausgehen?

Peter Turrini: Wenn ich im Hinterkopf an den Nobelpreis denken würde, dann müsste ich ja im Vorderkopf bescheuert sein. Natürlich freue ich mich über Literaturpreise, vor allem wenn sie mit Kohle verbunden sind. Von Orden, wie sie in den letzten Jahren auf meine Künstlergeneration niedergehen, halte ich mich allerdings fern. Die erinnern mich an eine verfrühte Grablegung.

Wolfgang Huber-Lang: Seit längerer Zeit gibt’s ja ein penibel verwaltetes Turrini-Archiv und einen Vorlass. Wie verändert das Wissen, dass jede Kleinigkeit sozusagen für die Ewigkeit ist, Leben und Schreiben? Wie geht man mit der eigenen Klassikerwerdung um?

Peter Turrini: Sie kennen mich ja schon sehr lange und wissen, wie viele Etiketten auf mir kleben. Früher wurde ich als „Orang Utan, der aus den Kärntner Wäldern hervorgebrochen ist“ apostrophiert, und jetzt bin ich halt ein „Klassiker“. Mich erreicht das alles nicht. Über das Archiv freue ich mich, aber ansonsten sitze ich seit mehr als 50 Jahren an meiner schon etwas klapprig gewordenen Schreibmaschine und versuche, mich mit Wortbauten und Satzbrücken über den täglichen Abgrund hinweg zu turnen, das ist mein Leben.

Peter Turrini

Astrid Bartl

Wolfgang Huber-Lang: Nach 92 Szenen kommt das Stück dem Lebensende sehr nahe. Udo Jürgens, der in Kürze seinen 80er feiert, hat sein neues Album dagegen „Mitten im Leben“ genannt. Wie sehr nagen die 70 Jahre an Ihnen?

Peter Turrini: Wenn man 70 Jahre oder gar 80 wird, da steht man nicht mitten im Leben, da kann man noch so viel singen. Von jetzt an geht es zügig abwärts, alles andere ist Selbsttäuschung. Natürlich kann man joggen, Seniorenturnen und gesunde Ernährung betreiben, aber das kehrt die Talfahrt nicht um. Ich versuche, der Situation mit Humor zu begegnen, bleibt mir ja auch nichts anderes übrig.

Wolfgang Huber-Lang: Michael Köhlmeier hat in seinem neuen Buch Churchill und Chaplin als lebenslange Kämpfer gegen Depressionen geschildert, die von den beiden als „Der schwarze Hund“ beschrieben werden. Setzt er auch Ihnen zu? Und wie bekämpfen Sie ihn?

Peter Turrini: In diesem letzten Winter hat er besonders laut gebellt, dieser „schwarze Hund“. Ich bekämpfe ihn, indem ich schreibe, ein Theaterstück nach dem anderen, und dabei versuche, meinen Figuren das Unglück umzuhängen. Das funktioniert ganz gut, zeitweise.

Wolfgang Huber-Lang: Den „großen Roman“ - gibt es den noch in Ihrer Schublade, oder hat er Sie nie gereizt?

Peter Turrini: Den „großen Roman“ habe ich schon mit 20 geschrieben. Er hieß „Erlebnisse in der Mundhöhle“ und ist bei Rowohlt erschienen. Er war literarisch besonders misslungen und hat mir die Erkenntnis gebracht, dass ich ein Dramatiker bin und nichts anderes. Selbst meine Kinderbücher und Novellen und Gedichte und Interviewbände spielen sich letztendlich in meinem Kopf als Dialog ab.

Wolfgang Huber-Lang: Sie haben sich in Ihrer Nestroy-Preisrede heftig gegen den Umgang mit Ihren Stücken gewehrt und dabei junge Regisseure und Dramaturgen angegriffen. Gab es da ein Schlüsselerlebnis?

Peter Turrini: Ich habe in meiner Rede den Kern des Theaters verteidigt, die Sprache. Natürlich ist die Aufführung ein Produkt der Gemeinsamkeit, aber wenn man die Worte zu gering achtet und an ihnen herumfummelt, und es mehr um eine Regiekunst geht, die sich selbst genügt, dann hebt man das Wesen des Theaters auf. Was bleibt ist ein Event, großartig oder nicht großartig, aber der bleibt nicht lange in der Erinnerung der Menschen.

Wolfgang Huber-Lang: Haben Sie das Gefühl, dass „Ihr“ Theater ein anderes ist als das vieler Künstler und Zuschauer der heutigen jungen Generation?

Peter Turrini: Ich kann nur versuchen, die menschliche Figur mit meinen Methoden auf die Bühne zu bringen, ich habe zu mir selbst keine Alternative. Das Theater unterliegt ja der Mode, wie so vieles. Manchmal marschiert der theatralische Fortschritt im Gleichschritt, dann „casdörfelt“ es von Kiel bis Klagenfurt. Ich war schon an der Spitze der Karawane, also werde ich es aushalten, wenn sie zwischendurch einmal an mir vorbeizieht. Über einen Mangel an Zuschauern kann ich mich nicht beklagen.

Wolfgang Huber-Lang: Ein allgemeines Ohnmachtsgefühl gegen Institutionen, gegen „die Politik“ scheint heute so weit verbreitet wie selten zuvor. Hatten Sie je das Gefühl, dass Ihre Stücke etwas bewirkt haben?

Peter Turrini: Bei den Aufführungen meiner ersten Stücke in den 70er Jahren habe ich mir heiß gewünscht, dass die Menschen als Verwandelte das Theater verlassen. Heute sitze ich manchmal hinten oben in der Beleuchterloge, schaue auf das Publikum und habe keine Ahnung, was in ihnen vorgeht. Denken sie über etwas nach, erreicht eine Szene die Tiefe des Gemüts, oder sinnieren sie darüber, in welches Lokal sie nach der Vorstellung essen gehen werden? Ich weiß es nicht.

Wolfgang Huber-Lang: Leben Sie selbst soziales Engagement abseits des Schreibens?

Peter Turrini: Ja, ich versuche Menschen zu helfen, aber manchmal wird es mir einfach zu viel.

Wolfgang Huber-Lang: Nimmt die soziale Kälte der Gesellschaft zu? Besteht Hoffnung auf eine Trendwende - oder kommt jene Katastrophe, die der Nachkriegsgeneration aufgrund von Frieden und Wirtschaftswachstum bisher erspart geblieben ist?

Peter Turrini: Ach, ich erlebe so viele Zeichen von Kälte und Gleichgültigkeit und ebenso von Hilfsbereitschaft und Hingabe, ich will nicht verallgemeinern. Was sich jedoch generell sagen lässt, ist Folgendes: In dieser digitalisierten Welt gerät die Sprache in den Würgegriff, besteht manchmal nur noch aus hervorgepressten, einzelnen Worten und stotternden Halbsätzen. Wenn auch dieser letzte Rest von Sprache ausbleibt, dann sieht man ein Smiley. Aber das finde ich nicht zum Lachen.

Die Fragen an Peter Turrini stellte Wolfgang Huber-Lang, Austria Presse Agentur.

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