Mutmaßlicher Dschihadist „nicht schuldig“

In Krems läuft nach wie vor der Prozess gegen einen mutmaßlichen Dschihadisten. Dem tschetschenischen Asylwerber wird die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Er soll sich der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) angeschlossen haben. Er plädiert auf nicht schuldig.

Erstmals steht am Donnerstag ein mutmaßlicher Dschihadist in Österreich vor Gericht - ein Prozess unter besonders hohen Sicherheitsvorkehrungen. Die Polizeipräsenz in und rund um das Landesgericht Krems wurde verstärkt, mehrere bewaffnete Cobra-Beamte sind unter den Polizisten. Auch die Sicherheitskontrollen beim Eingang wurden verschärft, Journalisten mussten sich akkreditieren, für den Gerichtssaal wurden Platzkarten vergeben.

Bewaffnete Sicherheitsbeamte im Gerichtssaal

Der Angeklagte wurde in der Früh von fünf schwer bewaffneten und maskierten Justizwachebeamten mit kugelsicheren Westen zur Verhandlung geführt. Während der gesamten Prozessdauer steht ein bewaffneter Sicherheitsbeamter dicht hinter dem mutmaßlichen Dschihadisten. Selbst langjährige Gerichtsreporter sagten, dass sie noch nie eine so strenge Bewachung eines Angeklagten gesehen hätten. Am Vormittag trugen Staatsanwaltschaft und Verteidigung ihre Eröffnungsplädoyers vor.

Laut der Anklageschrift hatte der 30-Jährige Tschetschenien im Juli 2013 Richtung Syrien verlassen, um sich dort dem IS anzuschließen. Im Dezember war er nach Österreich gekommen und hatte einen Asylantrag gestellt. Aus Sicht der Staatsanwaltschaft hatte der Aufenthalt hier ausschließlich den Zweck, seine Sehschwäche medizinisch behandeln zu lassen - um danach wieder nach Syrien zu reisen, wo er bereits zuvor eine Kampfausbildung erhalten haben soll. Festgenommen wurde der Mann im August 2014 in Heidenreichstein im Waldviertel (Bezirk Gmünd).

Staatsanwältin: „Bombenbauanleitungen gefunden“

Die Staatsanwältin legte in ihrem Eröffnungsvortrag ausgedruckte Fotos und Chatnachrichten vor, die die Unterstützung der IS-Ideologie durch den Angeklagten beweisen sollen und die Verteidigungsstrategie - er sei zu karitativen Zwecken in Syrien gewesen - entkräften würden. Es sei eine Vielzahl an Material, darunter auch Bombenbauanleitungen, gefunden worden.

Wie in der Anklageschrift ausgeführt ergab sich der Anfangsverdacht gegen den Mann durch Informationen des deutschen Bundeskriminalamts (BKA). Im Nachbarland war sein Name im Zuge von Ermittlungen gegen einen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat Verdächtigen aufgetaucht.

Aus den Gesprächen über den Kommunikationsdienst ergab sich laut Staatsanwaltschaft, dass sich der Angeklagte zumindest am 27. November 2013 in Syrien im Kampf befunden hat. Überdies wurde sein russischer Reisepass bei einer Hausdurchsuchung in Deutschland gefunden, die Mobiltelefone des Mannes wurden in seiner Asylunterkunft in Niederösterreich sichergestellt und in der Folge ausgewertet.

IS finanziell unterstützt?

Der Anklageschrift zufolge hat sich der Beschuldigte in Syrien sofort einer Untergruppe angeschlossen. Er habe einen Kampfnamen und eine Kampfausbildung erhalten, sei im Umgang mit Bomben und Sprengstoffen unterwiesen worden und habe an bewaffneten Ausgängen sowie Kampfhandlungen teilgenommen. Von Österreich aus soll der Angeklagte den IS weiter unterstützt haben, indem er zumindest 800 US-Dollar an andere Mitglieder überwiesen habe.

Zudem vertiefte er laut Staatsanwaltschaft seine Kenntnisse im Umgang mit Sprengstoff und Überwachungseinrichtungen, indem er im Internet wiederholt Bauanleitungen herunterlud und studierte. Darüber hinaus ist der 30-Jährige des Besitzes von pornografischen Darstellungen mündiger Minderjähriger, die er sich im Internet besorgt haben soll, angeklagt.

Verteidiger: „Mandant ist kein Attentäter“

„Wir haben hier unbeeindruckt von der politischen Großwetterlage oder Zurufen Aktenkenntnisloser ohne Hysterie und ohne Dämonisierung Sachfragen zu klären“, sagte Anwalt Wolfgang Blaschitz im Eröffnungsplädoyer. Sein Mandant sei kein Attentäter, seine Persönlichkeit rechtfertige sicher nicht, dass er flankiert von vier Sicherheitsbeamten Rede und Antwort stehen müsse.

Kein vernünftiger Mensch heiße gut, was sich kürzlich in Paris zugetragen habe. Der Verteidiger bezog sich dabei auf den Terroranschlag auf die Redaktion des französischen Satiremagazins „Charlie Hebdo“. „Wir sitzen heute aber am Landesgericht Krems und haben über einen Angeklagten zu urteilen, ob er die ihm vorgeworfenen Straftaten begangen hat oder nicht.“ Als „zentralen Ausgangspunkt“ bezeichnete Blaschitz die körperliche Beeinträchtigung seines Mandanten durch dessen signifikante Sehschwäche.

Laut einem Sachverständigen ist der Mann ohne Brille funktionell blind, mit Brille liegt eine funktionelle Einäugigkeit vor. Dem Gutachten zufolge ist daher ein Schuss- und Nahkampftraining ohne Brille nicht möglich und mit Brille nur sehr eingeschränkt - das gelte auch für den Bau von Sprengsätzen. Der Tschetschene sei deshalb von Kindheit an deshalb gehänselt und verspottet worden: „Das zog sich durch sein ganzes Leben“, so der Anwalt. Der 30-Jährige habe deshalb wohl nur „männlich wirken“ wollen, als er insbesondere Frauen Handyfotos schickte, die ihn mit einer Waffe zeigen. Diese Geltungssuche sei moralisch nicht einwandfrei, er sei deshalb aber kein Todeskämpfer.

Anwalt: In Syrien für Flüchtlingshilfe tätig

Fakt sei, dass sich sein Mandant im Juli 2013 ins syrische Grenzgebiet zur Türkei begeben habe, um in der Flüchtlingshilfe tätig zu sein. Zu diesem Zeitpunkt sei das „Kalifat“ noch nicht ausgerufen worden, es habe noch keinen IS und daher auch keine entsprechende Kampfausbildung gegeben. Die Untergruppe, der er sich angeschlossen haben soll, sei erst 2014 auf die Terrorliste gesetzt worden. Im zweiten Halbjahr 2013 sei in den Grenzgebieten die Freie Syrische Armee (FSA) gewesen, vom Westen gelobt und finanziell unterstützt - dem Verhaltenskodex zufolge hatten Mitglieder die Menschenrechte zu achten.

Als der IS dann in der Gegend eingefallen sei, habe sich der Tschetschene nach Österreich schleppen lassen und seitdem keinerlei Handlungen gesetzt, die die Annahme rechtfertigen würden, er sei ein IS-Kämpfer. Die dokumentierten Chats erklärte Blaschitz damit, dass sein Mandant seine Kommilitonen in Syrien, denen er für seine Schleppung Geld schuldete, angeschwindelt habe, indem er vorgab, zurückkehren zu wollen.

Angeklagter wurde bis in die Abendstunden befragt

Die Befragung des Angeklagten zu seinen Äußerungen in Kommunikationsdiensten über seine Zeit in Syrien dauerte am Donnerstagnachmittag ohne Pause bis in den Abend hinein. Ein weiterer Zeitplan für den Verhandlungstag war daher zunächst nicht zu erfahren. Der Tschetschene musste zu jeder der unzähligen sichergestellten Mitteilungen Stellung nehmen. Seine damaligen Gedanken zum Dschihad klangen in den von den Ermittlern ausgewerteten Nachrichten konträr zur heutigen Darstellung seiner Sichtweise.

So wurden auf dem Mobiltelefon des seit Sommer 2014 in U-Haft befindlichen Asylwerbers Bilder sichergestellt, die nach seinen Angaben in Syrien entstanden waren und ihn in Waffen und Uniform zeigten. Auf weiteren Bilddateien seien laut der Anklageschrift u.a. getötete, teils enthauptete Menschen und Hinrichtungen zu sehen, auch soll er sich „Kampf-Naschids“ auf sein Handy geladen haben, welche in der salafistischen Islamistenszene als Propaganda- und Kampflieder für den gewaltsamen Dschihad gegen die Ungläubigen verbreitet würden.