Jeder Neunte ist süchtig nach Arbeit

Ständige Erreichbarkeit und hohe Einsatzbereitschaft gehören heute in vielen Jobs dazu. Zu viel Arbeit kann aber krank machen: Laut Sozialministerium ist in Österreich jeder neunte Arbeitnehmer arbeitssüchtig. noe.ORF.at hat zwei Betroffene getroffen.

Für viele Menschen ist die heutige Arbeitswelt eine große Belastung. Wenn Menschen jedoch so viel arbeiten, dass sie gesundheitliche Schäden davontragen und nichts an ihrem Leben ändern, sprechen Expertinnen und Experten von Arbeitssucht.

Jeder neunte Arbeitnehmer ist laut aktuellen Zahlen des Sozialministeriums arbeitssüchtig. Früher als typische Managerkrankheit verschrien, sind die Betroffenen mittlerweile immer öfters Angestellte, Arbeiter und Selbstständige. Immer mehr Menschen arbeiten bis zum sprichwörtlichen Umfallen.

„Als erster in der Firma, als letzter zuhause“

So erging es auch Gerhard Trenker, Geschäftsführer einer Baufirma im südlichen Niederösterreich. Er kam vor drei Jahren zu dem Punkt, an dem er nicht mehr weiter konnte. „Man hat eine gewisse Antriebslosigkeit. Man kann in der Früh nicht mehr aufstehen, man fährt jahrelang arbeiten, ist als erster da, fährt als letzter nach Hause und plötzlich kann man nicht mehr“, sagt Trenker.

Etwa 100 Stunden arbeitete Trenker bis zum Zusammenbruch in der Woche. Plötzlich fand er keine Zeit mehr, um sich auszuruhen. „Solange ich konnte, habe ich gearbeitet. In der Anfangsphase mit starkem Kaffee, auch mit Alkohol zum Kaffee dazu, bis 3.00 Uhr in der Früh. Dann bin ich um 6.00 Uhr wieder aufgestanden. Für mich gab es immer eine Sieben-Tage-Woche. Ich war jeden Tag in der Firma.“

Unternehmer Gerhard Trenker

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Gerhard Trenker machte die Arbeitssucht vor drei Jahren antriebslos.

Auch Wolfgang, ein 47-jähriger ehemaliger Geschäftsführer aus dem südlichen Niederösterreich, kommt immer wieder zu dem Punkt der absoluten Erschöpfung. Mehrmals machte er schon ein Burn-Out durch. Er kann jedoch nicht aufhören zu arbeiten und denkt auch nicht daran, etwas anderes zu machen. „Bei mir war es so, dass ich einfach nicht mehr konnte. Ich habe auf den Knien gebettelt, dass ich zum Psychiater gebracht werde.“ Wolfgang war dann in Therapie, allerdings nur kurz. „Denn sobald es mir besser gegangen ist, musste ich wieder arbeiten.“

Urlaub geht meist nur kurz und mit Arbeit

Wenn arbeitssüchtige Menschen nicht arbeiten, werden sie meist von Schuldgefühlen geplagt. Urlaub gibt es so gut wie gar nicht, und wenn, dann nur mit Arbeit. „Urlaub gibt es seit vielen Jahren maximal drei Tage im Jahr. Das ist aber nicht wirklich Urlaub. Ich habe nämlich alles mit, um von dort aus schnell reagieren zu können“, so Trenker.

Er war im vorigen Jahr zum ersten Mal zwei Wochen alleine auf Urlaub. „Eine Woche lang wollte ich ohne Handy und ohne neue Kommunikationsmittel verbringen, vier Tage lang habe ich es geschafft. Ich nehme mir allerdings immer Arbeit mit in den Urlaub, weil mich das beruhigt. Es könnte ja sein, dass man einmal etwas anschauen kann oder etwas arbeiten kann.“

Psychotherapeutin Monika Spiegel

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„Die Arbeitssucht beginnt meist schleichend“, sagt Psychotherapeutin Monika Spiegel.

Süchtig nach dem Kick

Die Arbeitssucht ist eine der Verhaltenssüchte, zu denen auch die Spielsucht oder die Kaufsucht zählen. Der Kick kommt dabei von den „körpereigenen Drogen“, wie Adrenalin, Dopamin und Endorphine. Somit ist ein Betroffener süchtig nach diesem Kick, sagt die Psychotherapeutin Monika Spiegel, die seit vielen Jahren mit arbeitssüchtigen Menschen zusammen arbeitet.

„Es gibt Glücksgefühle, die Endorphine beruhigen und wecken auch auf. Genau nach diesem Kick ist man süchtig, so wie auch ein Spieler vor dem Spielautomaten. Und wenn es dann mal ruhig wird, kommt der Entzug, der Betroffene wird nervös und unruhig“, sagt Spiegel.

Alkohol und viel Arbeit hängen zusammen

Am neuen Standort der Sigmund Freud Privatuniversität (SFU) in Wien, am Campus der Wirtschaftsuniversität, gibt es ein neues Institut für Psyche und Wirtschaft. Die Badenerin Monika Spiegel leitet dieses Institut, bei dem es sich um das erste dieser Art in Europa handelt. Spiegel möchte in nächster Zeit ausführlich zum Thema Arbeitssucht forschen. Dabei sollen auch Unternehmen in Österreich und deren Verantwortung mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern analysiert werden.

Das größte Problem für Arbeitssüchtige ist, dass sie nicht mehr abschalten können. „Sie kommen nicht mehr runter“, sagt Spiegel. „Auch das Thema Alkohol ist ein großes Problem in Verbindung mit Workaholics. So hat sich der Begriff Workaholic auch einmal gebildet, weil es zwischen Alkohol und viel Arbeit häufig einen Zusammenhang gibt.“ Arbeitssucht beginnt laut der Expertin meist schleichend. Erst später treten schwerwiegende gesundheitliche Beschwerden und psychosoziale Störungen auf. So leiden Betroffene etwa unter Bluthochdruck, Herzbeschwerden, Schlaf- und Konzentrationsstörungen.

Therapie als Herausforderung

Die Therapie ist oft schwierig und kann mehrere Jahre dauern. „Es ist das gleiche wie bei einer Essstörung. Ich kann einem Menschen, der zu dick ist, auch nicht sagen, dass er oder sie nichts mehr essen soll. Man muss versuchen die alten Verhaltensmuster, die immer wieder schnell an den Tag gelegt werden, zu zügeln. Man muss damit zurecht kommen und sich den Tag besser einteilen.“

Gerhard Trenker ordnete sein Leben nach seinem Zusammenbruch vor etwa drei Jahren jedenfalls neu. Er arbeitet zwar weiterhin gerne und viel, aber er weiß jetzt, wann Zeit für eine Pause ist. „Wichtig war es Vertrauen aufzubauen und zu realisieren, dass alle anderen das Ganze auch weiterführen und machen können. Und meine Familie hat mir sehr geholfen.“

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