Bejubelt: Uraufführung von Mitterers „Glanzstoff“

Im Rahmen des partizipativen Projekts „Bürgertheater“ ist in St. Pölten am Donnerstag mit über 50 Laiendarstellern Felix Mitterers „Glanzstoff“ in der einstigen Fabrik des gleichnamigen Viskosegarnherstellers uraufgeführt und bejubelt worden.

„Externer Spielort“ steht auf dem Ticket, und etwas Extraterritoriales verströmt der Ort tatsächlich. Eigentlicher Hauptdarsteller des zwölfteiligen Stationenstücks ist denn auch das immer noch imposante Werksgelände beziehungsweise jener Restbestand, der seit der Schließung 2008 - noch - als Industriedenkmal übrig geblieben ist.

Theater über ein Stück kollektiver Identität

Es geht um die Darstellung der turbulenten 104-jährigen Geschichte des Betriebs, der das Image der Stadt jahrzehntelang vor allem olfaktorisch geprägt hat. „Die Glanzstoff“ ist mittlerweile beinahe ein Mythos in St. Pölten und bildet bei aller ambivalenten Wahrnehmung ein Stück kollektiver Identität. Autor Felix Mitterer und Regisseurin Renate Aichinger, die das „Bürgertheater“ seit drei Jahren leitet und neue Akzente im Landestheater Niederösterreich setzt, tragen zur Bewusstwerdung bei, rufen viel Historisches in Erinnerung.

Mitterer rückt die soziale Dimension in den Mittelpunkt, berichtet in chronologischer Szenenfolge unter anderem von der Eröffnung im Jahr 1906 über den Streik im Jänner 1918, Depression und Bürgerkrieg in den 30er-Jahren, von legendären engagierten Arbeitern wie Maria Emhart und Hubert Jani, vom Widerstand gegen das Nazi-Regime, vom Oktoberstreik 1950 bis zur unrühmlichen Schließung. Das gewinnt in teilweise erstaunlich überzeugend gestalteten Situationen immer wieder sehr lebendige Züge, schrammt aber auch mitunter hart am Pathos vorbei oder gleitet ins Schulfunkhafte ab, wenn das Geschehen kommentiert wird.

Die Laienschauspieler - zum Teil Menschen mit persönlichem biografischen Bezug zum Unternehmen - werden immer wieder mit Zwischenapplaus bedacht. Eindrucksvoll in ihrer unmittelbaren Authentizität sind die Berichte des ehemaligen Gastarbeiters Abdelhamid Essid und der langjährigen Arbeiterin Heidi Mondl („Die Glanzstoff ist für mich eine Firma, die immer da war“).

Weihevoller Schluss, großer Jubel

Kalt ist es, sowohl im Freien als auch in den Hallen. Entsprechende Bekleidung wird den Besuchern angeraten. Die erste und die letzte Szene erfolgen im Plenum, dazwischen wandert das Publikum in Gruppen aufgeteilt zu den einzelnen Stationen, fürsorglich geleitet von in blaue Arbeitsmäntel gehüllten Mitwirkenden, die ebenfalls Information weitergeben wie etwa „des G’fährliche is ois versickert“. Gegen Ende scheint der Abend zu zerfasern, wirkt zerfahren und mündet in Privatissima der Zeitzeugen, wodurch die Aufführung eher Führungscharakter annimmt. Als problematisch erweisen sich auch gelegentliche akustische Interferenzen zwischen benachbarten Spielbereichen.

Beim Finale in der Kesselhalle marschieren sämtliche Mitwirkende noch einmal auf und resümieren: „Wir waren alle die Glanzstoff-Familie“. Und als gerührte Dea ex machina erscheint noch Maria Urban, Enkelin des Firmengründers, auf der Tribüne. Weihevoller Schluss, großer Jubel.

Ewald Baringer, Austria Presse Agentur

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