Expertin: Integration als Prävention für Terror

Gudrun Biffl von der Donau-Universität Krems ist Expertin für Migration und Deradikalisierung. Seit langem befasst sie sich damit, wie man einer Radikalisierung zuvorkommen kann. Der wichtigste Schritt sei eine „echte Integration“, sagt sie.

Nach den Terroranschlägen in Brüssel am Dienstag herrscht nach wie vor Fassungslosigkeit. 31 Menschen wurden getötet und 270 weitere verletzt. An der Donau-Universität Krems befindet sich der österreichweit einzige Lehrstuhl für Migration. Die Leiterin Gudrun Biffl beschäftigt sich schon lange mit den Gefahren, die durch eine Radikalisierung drohen, aber auch mit den Möglichkeiten, wie man diese verhindern kann. Laut Biffl wissen auch in Österreich integrierte Moslems viel über die Strukturen der Terrorgruppe „Islamischer Staat“, allerdings würden sie aus Angst schweigen. Im Gespräch mit noe.ORF.at sagt die Expertin, dass man dem nur durch eine „echte Ingetration“ entgegenwirken könne.

Gudrun Biffl Donau-Universität Krems Migration Expertin Radikalisierung

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Gudrun Biffl von der Donau-Universität Krems beschäftigt sich schon seit langem mit Migration und Radikalisierungstendenzen

noe.ORF.at: Frau Biffl, was sind das für Menschen, die scheinbar plötzlich radikal werden. Lässt sich das irgendwie festmachen?

Biffl: „Sie kommen aus unterschiedlichen Regionen und sie kommen aus allen Mileus. Sie kommen von Marokko, Algerien, Tunesien, Ägypten bzw. der Kern natürlich aus dem Irak oder aus Syrien, aber sie kommen auch aus Bosnien und Herzegowina oder auch zum Teil aus der einheimischen Bevölkerung. Sie haben alle möglichen Bildungshintergründe, von geringer Bildung bis zu höchster Qualifikation, also Universitätsausbildung. Eines haben sie aber sicher gemeinsam: Sie haben ein qualifiziertes Verständnis für die modernen Medien. Es läuft wahnsinnig viel über Twitter und Co.“

noe.ORF.at: Gibt es Anzeichen, woran man erkennen kann, dass jemand zur Radikalisierung neigt?

Biffl: „Es gibt Anzeichen und diese könnten von einer Organisation oder von einem Verein festgestellt werden, etwa wenn Mitglieder nicht mehr kommen oder wenn sie sich gewalttätige Videos anschauen. Diese Vereine brauchen Informationen, wie sie eine Radikalisierung erkennen können, und diese Vereine müssen auch kontrolliert werden können. Daher ist es extrem wichtig, dass es für die Öffentlichkeit sichbare Zusammenkünfte in Moscheen und Vereinen gibt. Man hat schon verloren, wenn in Haushalten und in Wohnungen eine Radikalisierung stattfindet, denn dort ist sie sehr schwer zu erkennen.“

noe.ORF.at: Wie kann man diesen radikalen Kräften den Nährboden entziehen?

Biffl: „Eine Art und Weise, wie wir diese meist jungen Leute von einer Gewaltszene wieder herunterbringen können, ist die Sicherstellung von Zukunftsperpektiven. Das muss jedes Land machen. Es kommt auch dazu, dass wir eine sehr heterogene Zusammensetzung der Gesellschaft haben, also eine Vielfalt der Sprachen, der Kulturen der Religionen. Diese müssen eingebunden werden.“

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Migrationsexpertin Gudrun Biffl sagt, dass viele Muslime in Österreich über die Strukturen des „Islamischen Staates“ Bescheid wüssten, aber aus Angst schweigen würden.

noe.ORF.at: Besteht die Gefahr, dass in Österreich integrierte Moslems mit den radikalen IS-Kräften sozusagen in einen Topf geworfen werden?

Biffl: „Das ist eine sehr, sehr große Gefahr. Meines Erachtens ist die Lösung des Problems nur mit Hilfe von Migrantinnen und Migranten zu erreichen. Das heißt, die Migranten sind nicht das Problem, sondern sie sind Teil der Lösung. Mit ihnen und ihrer Unterstützung kann man die Radikaliserungstendenzen sehen, erfassen und ihnen dann auch begegnen.“

noe.ORF.at: Sind die Moslems in Österreich über die Strukturen des Islamischen Staates informiert?

Biffl: „Sie sind zum Teil sehr gut informiert. Wichtig ist nur zu wissen, wie man an diese Informationen herankommt, die muslimsiche Familien über andere Gruppierungen haben. Aber dazu braucht es eben, wie gesagt, eine Einbindung der muslimischen Vereine und Familien in die Gemeinden.“

noe.ORF.at: Warum gibt es dann keine Meldungen an die Polizei von den integrierten Moslems in Österreich?

Biffl: „Weil man wahrscheinlich Angst hat, selbst dann verfolgt zu werden, wenn man seine Stimme erhebt. Vielleicht kommt auch dazu, dass das Vertrauen in den österreichischen Staat, dass dieser sie schützen kann, nichts so wahnsinnig ausgeprägt ist. Wir haben hier Menschen, die aus Ländern kommen, wo sie nicht unbedingt ein großes Vertrauen in den Staat haben können. Und dann erwarten sie eventuell auch hier, dass sie sich selbst schützen müssen und dann sind sie ruhig.“

Das Interview führte Otto Stangel, noe.ORF.at

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