Eine Spinnerei als Prestigewohnobjekt

In Teesdorf (Bezirk Baden) wurde aus einem 30 Jahre lang leerstehenden wichtigen Fabriksgebäude der niederösterreichischen Industriegeschichte ein Wohnareal mit Swimmingpool auf dem Dach.

Jahrzehntelang war die alte Spinnerei am Rand von Teesdorf ein beliebter Tummelplatz für Hobbyfotografen, Kinder, die das Abenteuer suchten und jungen Menschen, die sich als Sprayer übten. „Wir haben schon als Kinder in dieser alten Fabrik gespielt, als alles hier noch leer stand und verwachsen war, und jetzt, hier zu wohnen, das ist schon einzigartig“, erzählt die junge Studentin über ihre Beweggründe in dieses große Wohnhaus einzuziehen. „Es hat sich so viel verändert hier, das ist schon ganz besonders“, ergänzt sie verschmitzt und kopfschüttelnd.

Das Gebäude hatte nach der endgültigen Schließung 1976 oft den Besitzer gewechselt. Niemand wagte sich daran, das Haus wieder zu beleben, das Gebäude verfiel. Nach einer langen Phase der Gebäudereinigung und der Planung machte sich die Baufirma Wien-Süd als Spezialist für die Revitalisierung historischer Gebäude vor drei Jahren daran, die Baumwollspinnerei in ein zeitgemäßes Wohngebäude mit 69 Genossenschaftswohnungen zu verwandeln.

Fabrik in Stahlbetonskelettbauweise

Die Herausforderung bestand darin, den Auflagen des Bundesdenkmalamtes gerecht zu werden und dennoch zu einer finanzierbaren Lösung zu kommen. Es galt, die Fassade mit den charakteristischen großen, mehrfach unterteilten Fenstern zu erhalten.

Im Inneren sollte das historische Konstruktionsprinzip weitgehend einbezogen bleiben. Denn der renommierte Industriearchitekt Bruno Bauer hat für das von 1908 bis 1910 errichtete Gebäude die damals noch neue Stahlbetonskelettbauweise eingesetzt. Daher steht das Haus auch bis heute unter Denkmalschutz. Alle Umbauten geschahen unter Begleitung des Bundesdenkmalamtes.

„Grundsätzlich konnten wir das Stahlbetonskelett erhalten, das war auch eine Vorgabe des Denkmalamtes. Im Kern wurde allerdings bis auf ein paar Unterzüge und Säulen alles für den Lichthof abgebrochen. Die Fenster sind unterteilt. Aufgrund der Wohnungsgrößen, die sich zwischen 50 und 90 Quadratmeter bewegen, ist eine Raumhöhe von vier bis fünf Metern nicht sinnvoll. Wir haben daher Zwischendecken eingezogen, um die Raumhöhen entsprechend anzupassen. Die Fenster sind mit einer Oberlichte unterteilt“, erläutert der Bauleiter der Wohnanlage, Alexander Höfler. Der prognostizierte moderate Preis von 8,50 pro Quadratmeter - alles inklusive - konnte laut Höfler gehalten werden.

ehemalige Spinnerei

Hermann Broch Museum Teesdorf

Hermann Broch

Ein Schriftsteller als Unternehmer

Eine Tafel mit historischen Fotos und erklärenden Texten soll den Bewohnern bewusst machen, in welch einem bedeutenden Industriebau der niederösterreichischen Wirtschaftsgeschichte sie sich eingemietet haben. 1856 gründeten Arbeiter der Spinnerei Teesdorf die erste Arbeiter-Konsum-Vereinigung Österreichs. Sie erreichten mit ihren Arbeitskämpfen zahlreiche Verbesserungen ihrer Lebens- und Arbeitsbedingungen. So musste die alte Fabrik nach einem Streik geschlossen werden. Die Firma ging in Konkurs.

Eine Aktiengesellschaft unter der Leitung von Josef Broch übernahm das Unternehmen. Im Jahr 1909 folgte ihm sein Sohn Hermann nach. Er musste sie 1927 gegen den Widerstand seiner Familie wegen der Weltwirtschaftskrise verkaufen. Hermann Broch widmete sich danach nur noch seiner großen Leidenschaft, dem Schreiben. Er verfasste unter anderem die Romane „Die Schlafwandler“ und „Der Tod des Vergil“, mit denen er große Berühmtheit erlangte.

ehemalige Spinnerei

Hermann Broch Museum Teesdorf

Ansichtskarte „Spinnfabrik Teesdorf“

Im Gemeindeamt von Teesdorf ist das sehenswerte Hermann-Broch-Museum untergebracht. Hier kann man anhand vieler Fotos, Dokumente und Objekte die Geschichte der Fabrik und den Lebensweg Hermann Brochs studieren. Die jüngste Geschichte der ehemaligen Baumwollspinnerei als Wohnanlage mit großflächiger Photovoltaikanlage und Swimmingpool auf dem Dach muss nun ergänzt werden.

Hannes Steindl, noe.ORF.at

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