Grenzüberschreitendes Theater: „Hin und Her“

Ödön von Horvaths „Hin und Her“ über das Schicksal eines Staatenlosen ist eine groteske Posse über die Grenzpolitik. Ein grenzübergreifendes Theaterprojekt zeigt das Stück in Angern (Bezirk Gänserndorf) und Zahorska Ves (Slowakei).

Regisseurin Christina Gegenbauer inszeniert Horvaths 1933 entstandenes Stück direkt an der österreichisch-slowakischen Grenze. Die Premiere dieser Produktion, die vom Viertelfestival Niederösterreich präsentiert wird, ist am 3. August. Um 18.30 Uhr gibt es bei der Zollstation in Angern eine Einführung, dann geht es mit einer Fähre, die als „Behelfsbrücke“ eingerichtet ist, über die March. Im Kulturhaus in Zahorska Ves beginnt dann um 20.15 Uhr die Aufführung. Weitere Vorstellungen sind am 4., 10. und 11. August, es wird in deutscher Sprache mit slowakischen Übertiteln gespielt.

„Diese österreichisch-slowakische Grenze ist ein Schauplatz europäischer Zuwanderungspolitik und als Spielort für ‚Hin und Her‘ prädestiniert“, so die Regisseurin, die gemeinsam mit der Dramaturgin Stefanie Fröhlich dieses Theaterprojekt realisiert.

Wo ist das Heimatland eines Staatenlosen?

Worum geht es in „Hin und Her“? Der Protagonist des Stücks, Ferdinand Havlicek, geht „mit seiner Firma in Konkurs, der Migrant ist für den Staat wertlos geworden, darum wird er abgeschoben. In sein Herkunftsland, das er als kleines Kind verlassen hat, darf er nicht einreisen, da seine Staatsbürgerschaft abgelaufen ist. Der Staatenlose ist im rechtsfreien Raum verloren, läuft zwischen den Grenzübergängen hin und her. Dabei ist er der Willkür der Grenzorgane ausgeliefert und wird in politische Machenschaften, Schmuggelei und Liebesgeschichten verwickelt“, heißt es auf der Website der Produktion.

Viertelfestival 2017 Horvath Hin und Her Angern Zahorska Ves Ensemble

Ina Aydogan

Das „Hin und Her“-Ensemble: Helge Salnikau, Gabriela Garcia Vargas, Morteza Tavakoli und Julia Plach (v.l.)

noe.ORF.at: Warum haben Sie sich für dieses Stück entschieden?

Christina Gegenbauer, Regisseurin: Horváths Grenzgroteske passt hervorragend zu „Metamorphose“, dem diesjährigen Motto des Viertelfestival Niederösterreich. Die Grenzregion unweit von Wien hat sich seit dem Fall des Eisernen Vorhangs verändert, die durchlässige Grenze ist alltäglich geworden, trotzdem wird die Grenze bewusst aufrecht erhalten - samt Vorurteilen gegenüber dem Nachbarland.

Horváth schafft eine groteskes Grenzbiotop, bevölkert von Gestalten, die selbst hin und her gerissen sind: Etwa das Grenzorgan Konstantin, das angesichts der menschlichen Tragödie des Ausgewiesenen „sein Herz vor lauter Pflicht“ verbeißt und ihn trotzdem nicht herein lässt. Die junge Eva, von der anderen Seite des Grenzflusses, die sich in Konstantin verliebt hat und nicht nachvollziehen kann, warum ihre Mutter die Menschen aus dem Nachbarland hasst. Ein Ehepaar aus der Stadt auf der Suche nach Erholung, das sich vom Schicksal des Staatenlosen in ihrem Urlaub gestört fühlt.

noe.ORF.at: Was ist das Zeitlose, das Aktuelle an „Hin und Her“?

Gegenbauer: In den letzten Jahren haben Staatsgrenzen wieder an Bedeutung gewonnen und somit auch welchem Staat man angehört - hierfür ist nicht relevant, welchem Staat man sich zugehörig fühlt. Diese Diskrepanz finde ich spannend und zeigt sich am Protagonisten, der selbst als Baby in jenes Land gekommen ist und dort sein ganzes Leben verbracht hat, welches ihn plötzlich abschiebt. Als Begründung wird der Konkurs seiner Firma genannt. Die Fragen, wer ein „wertvolles“ Mitglied der Gesellschaft ist und unter welchen Bedingungen man eine Staatsbürgerschafft erlangt oder behält, stehen somit im Raum.

Hin und Her Horvath Angern Zahorska Ves

Ina Aydogan

Havlicek: „Wohin gehör’ ich denn dann, bitte?“ Konstantin: „Dann nirgends.“ Havlicek: „‚Nirgends‘ – Unfug. Man ist doch immerhin vorhanden.“

noe.ORF.at: Welchen Nachdenkprozess kann „Hin und Her“ in der derzeitigen Flüchtlings- und Asylfrage in Europa auslösen?

Stefanie Fröhlich, Dramaturgin: Bei der Regisseurin Christina Gegenbauer und mir hat es einen Nachdenkprozess über das Thema „Heimat“ ausgelöst. Was bedeutet für uns Heimat? Ein Land? Eine Sprache? Menschen, die uns viel bedeuten? Und im nächsten Schritt dann: Was passiert, wenn ich meine Existenzgrundlage verliere und meine Heimat verlassen muss?

Ich würde mir wünschen, dass sich mehr Österreicherinnen und Österreicher dem Privileg ihrer Geburt bewusst werden, denn sie sind nicht nur in ein europäisches Land hineingeboren worden, sondern auch noch in eines der reichsten. Jenen Menschen, die dieses Glück nicht hatten, mit Empathie und Menschlichkeit oder zumindest mit Verständnis für ihre Situation zu begegnen, ist für mich essentiell.

noe.ORF.at: Nehmen Sie konkret auch Bezug auf die aktuelle Situation von Flüchtlingen und Asylsuchenden in Europa?

Gegenbauer: Ich transferiere die Handlung in ein sportliches Setting, das weder auf eine bestimmte Zeit noch eine konkrete Nation Bezug nimmt. Dennoch assoziiert man Bilder von gestrandeten Geflüchteten, die warten müssen und ihrem Umfeld schutzlos ausgeliefert sind. Man entdeckt Menschen, die nicht helfen wollen und jene, die Zivilcourage beweisen, sowie die Ohnmacht der Individuen gegenüber Bürokratie und den (notwendigen) geltenden Gesetzen - viele Momentaufnahmen, die uns durch Medien gezeigt werden oder die wir im Alltag miterleben.

Hin und Her Horvath Angern Zahorska Ves

Ina Aydogan

„Wissen’S denn nicht, dass wir da aufhören und dass dort drüben ein anderer Staat beginnt?“

noe.ORF.at: Was könnte denn die bzw. eine Lösung der derzeitigen Situation sein?

Gegenbauer: Fluchtgründe aus der Welt schaffen und Geflüchteten mit Empathie und Menschlichkeit begegnen.

noe.ORF.at: Seit vielen Jahren wird in Angern der Bau einer Brücke über die March diskutiert, bis jetzt ohne Erfolg. Ist das auch eine Art von Horváth’scher Grenzziehung, die man heute nicht nachvollziehen kann?

Fröhlich: Natürlich ist der Widerstand gegen die Brücke ein Zeichen für Abgrenzung und zeigt wie viele Vorurteile immer noch im Raum stehen. Ich glaube jedoch nicht, dass alleine der Brückenbau dies verändern würde. Auch mit einer räumlichen Verbindung kann man nebeneinander leben. Aus meiner Sicht sind es grenzübergreifende Initiativen, die eine Annäherung forcieren, sei es im schulischen, wirtschaftlichen oder wie bei diesem Projekt im kulturellen Bereich.

noe.ORF.at: Was soll der Grenzübertritt der Besucherinnen und Besucher in die Slowakei auslösen?

Gegenbauer: Die slowakische Grenze ist nur eine Stunde von Wien entfernt und liegt direkt bei Angern an der March. Die von der österreichischen Seite kommenden Zuschauerinnen und Zuschauer werden durch den Grenzübertritt zu Ausländern, quasi zu Fremden vor ihrer eigenen Haustür.

noe.ORF.at: Was soll „Hin und Her“ beim österreichischen Publikum ausgelöst haben, wenn es dann wieder nach Hause fährt?

Gegenbauer: Das Bewusstsein, dass sich nur ein paar Parameter ändern müssen, wodurch sie nicht mehr die Freiheit haben in ihre Heimat zurückzukehren.

Hin und Her Horvath Angern Zahorska Ves

Ina Aydogan

„Hin und Her“ in Angern an der March und Zahorska Ves: Vorstellungen am 3., 4., 10. und 11. August

noe.ORF.at: Was war die Schwierigkeit bzw. Herausforderung, „Hin und Her“ als zweisprachige Aufführung (mit slowakischen Übertiteln) zu machen?

Fröhlich: Wir haben das Stück mit Unterstützung des österreichischen Kulturforums in Bratislava übersetzen lassen, da es bis dato noch keine Übersetzung ins Slowakische gab. Eine Übertitelung bedeutet natürlich einen großen Aufwand auch in finanzieller Hinsicht - eine Herausforderung, die wir jedoch sehr gerne angenommen haben, da es für uns eine besondere Gelegenheit darstellt, dieses Stück in der Slowakei zu spielen.

noe.ORF.at: Warum gibt es erst jetzt die Slowakische Erstaufführung?

Fröhlich: Das Stück ist generell nicht sehr bekannt. Im deutschsprachigen Raum erlebt es zurzeit eine Wiederentdeckung, die mit Sicherheit der Aktualität des Themas geschuldet ist. Es wäre schön, wenn auch slowakische Bühnen das Stück für sich entdecken würden.

noe.ORF.at: Ist Ödön von Horváth als Dramatiker in der Slowakei ein Begriff?

Fröhlich: Ödon von Horváth ist in der Slowakei ein bekannter Autor. Im Theater Astorka Korzo´90 in Bratislava wurden seine bekannteren Stücke wie „Geschichten aus dem Wienerwald“ und „Kasmir und Karoline“ zur Aufführung gebracht. Horváth hat auch eine biografische Verbindung zur Slowakei, denn er verbrachte einen Teil seiner Schulzeit in Bratislava.

noe.ORF.at: „Hin und Her“ wird nur viermal gezeigt. Gibt es Pläne für weitere Aufführungsorte?

Fröhlich: Wir würden sehr gerne auch an anderen Orten spielen. Gespräche gibt es bereits, wir suchen jedoch auch noch nach weiteren potentiellen Spielstätten.

Die Fragen an Christina Gegenbauer und Stefanie Fröhlich stellte Reinhard Linke, noe.ORF.at.

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