Jedes fünfte Schulkind wird gemobbt

Mobbing unter Kindern und Jugendlichen nimmt zu. Das zeigen Studien. Anlässlich des Tages der seelischen Gesundheit warnt der Niederösterreichische Landesverband für Psychotherapie, denn schon jedes fünfte Schulkind ist betroffen.

Etwa 33.000 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen sechs und 15 Jahren sind in Niederösterreich von Mobbing betroffen. Experten raten, das als Eltern nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, denn Mobbing kann zu schweren gesundheitlichen und psychischen Problemen führen.

Weil viele Jugendliche ständig online sind, sind sie nicht nur in der Schule, sondern auch zuhause oft Mobbing ausgesetzt, warnt Maria Werni, die Vorsitzende des Landesverbandes für Psychotherapie. Einen „sicheren Ort“ gebe es nicht mehr. Eltern sollten deshalb auch erste Anzeichen ernst nehmen, sagt sie im Gespräch mit noe.ORF.at.

Mädchen geht allein den Weg entlang

APA/dpa/Caroline Seidel

noe.ORF.at: Frau Werni, Mobbing unter Kindern und Jugendlichen nimmt zu. Die Formen des Mobbings ändern sich aber. Wie sieht die aktuelle Situation aus?

Maria Werni: Zum klassischen Mobbing, das wir immer schon gekannt haben, kommt jetzt auch das sogenannte Cybermobbing dazu - das heißt Mobbing über Smartphone und Internet. Dadurch bekommt es eine ganz andere Qualität. Es wird viel schneller, das Publikum wird größer, die Anonymität steigt und damit sinkt die Hemmschwelle der Mobbingtäter. Die Zahl der Mobbingopfer steigt stark an.

noe.ORF.at: Steigt dadurch auch die Belastung der Mobbingopfer, wenn etwas im Internet erscheint?

Werni: Natürlich. Früher ist man aus der Schule rausgegangen, ist nach Hause gegangen und war wieder an einem sicheren Ort. Diesen sicheren Ort gibt es gar nicht mehr. Das Internet und die Smartphones sind rund um die Uhr im Einsatz. Und über diese Medien ist Cybermobbing permanent gegenwärtig. Die Fälle, die wir kennen, sind dann oft schon sehr gravierend. Es gab eine Studie in Deutschland, die zeigt, dass jedes fünfte Mobbingopfer sogar an Selbstmord denkt. Das heißt, das bekommt schon eine massive Dynamik und die Kinder und Jugendlichen sind sehr belastet.

noe.ORF.at: Ab welchem Zeitpunkt sollte ich als Mutter oder als Vater hellhörig werden, dass mit meinem Kind etwas nicht stimmt und es womöglich gemobbt wird?

Maria Werni

ORF

Maria Werni

Werni: Kinder und Jugendliche zeigen nicht gleich, dass sie gemobbt werden. Sie würden das lieber mit sich selbst ausmachen und deshalb dauert es oft sehr lange bis sich ein Mobbingopfer aktiv an jemanden wendet. Die Verhaltensänderungen beginnen jedoch schon früher. Wenn Eltern aufmerksam und sensibel sind, dann können sie das zum Beispiel daran beobachten, dass Kinder ruhiger werden, sich zurückziehen, mehr in die Isolation gehen, vielleicht weniger oft den Computer oder das Smartphone benutzen, oder dass sie in der Früh nicht mehr in die Schule gehen wollen, weil sie über Kopfschmerzen oder Bauchschmerzen klagen. Alles das sind Anzeichen, die man ernst nehmen sollte.

noe.ORF.at: Wie kann man als Eltern helfen?

Werni: Das Kind will Ernst genommen werden. Wenn die Eltern sagen „mach dir nichts draus, es wird schon vergehen“, dann fühlt sich das Kind nicht wirklich Ernst genommen und geschützt. Wenn Kinder zu Hause einen sicheren Hafen haben, dann ist das schon einmal viel Wert, wenn das ein Ort ist, wo sie über ihre Belastung erzählen dürfen. Es kann aber auch sein, dass man professionelle Hilfe braucht, weil die Eltern überfordert sind.

noe.ORF.at: Wo findet man diese?

Werni: In den Schulen gibt es Schulpsychologen. Kinder und Jugendliche können sich anonym an „Rat auf Draht“ wenden. Oft suchen sich Jugendliche auch untereinander Hilfe.

Hilfe bei Mobbing

Rat auf Draht bietet unter der Telefonnumer 147 eine kostenlose Telefonberatung für Kinder, Jugendliche und deren Bezugspersonen. Mehr Informationen dazu: www.rataufdraht.at

Auf der Homepage des Landesverbands für Psychotherapie findet man die Kontaktdaten aller Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten in Niederösterreich: www.psychotherapie.at

noe.ORF.at: Wann ist Psychotherapie anzuraten?

Werni: Wir wissen, dass sich starkes Mobbing in der Seele abbildet und wenn man da nichts dagegen tut, dann wächst sich das nicht einfach so aus. Das kann bis zu Persönlichkeitsveränderungen gehen, die sich auch im Erwachsenenalter fortsetzen. Wenn ein Kind mit Schulverweigerung reagiert, dann ist man schon sehr weit fortgeschritten und dann muss man etwas tun. Wenn man eben allein nicht mehr weiterkommt, dann ist professionelle Hilfe angesagt.

noe.ORF.at: Gibt es in Niederösterreich genug Plätze für Kinder und Jugendliche, die eine Psychotherapie brauchen?

Werni: Wir hätten gerne viel mehr. In manchen ländlichen Regionen sind Psychotherapeuten noch sehr spärlich gesät. Da gibt es vielleicht vier bis fünf Kassentherapeutinnen, die zur Verfügung stehen, und sie sind nicht immer Expertinnen für Kinder und Jugendliche. Wir würden uns eine deutliche Aufstockung dieses Fachs wünschen.

Das Gespräch führte Claudia Schubert, noe.ORF.at