Plaikner: „Inhalte haben im Wahlkampf gelitten“

ÖVP vor FPÖ und SPÖ lautet in Niederösterreich das vorläufige Ergebnis der Nationalratswahl. „Es waren im Wahlkampf mehr denn je die Personen wichtig“, sagt Politikanalyst Peter Plaikner, „Inhalte haben gelitten.“

„Es war im Grunde genommen kein inhaltlicher Wahlkampf, sondern einer voller versteckter Botschaften in Richtung Migration und Ausländer. Wirklich inhaltliche Unterschiede herauszuschälen, war den meisten Kandidaten und Parteien nicht möglich“, sagte Peter Plaikner, Politikanalyst von der Donauuniversität in Krems, nach der Nationalratswahl am 15. Oktober. noe.ORF.at hat mit ihm über mögliche Koalitionsvarianten, die Rolle von „dirty campaigning“ im Wahlkampf und das Spiel mit der Angst gesprochen.

noe.ORF.at: Wie beurteilen Sie das Wahlergebnis? War dieser Ausgang vorherzusagen?

Peter Plaikner: Vorherzusagen war dieses Ergebnis offenbar nicht. Die Meinungsforschung hat uns doch seit Mitte Mai in rund 45 Umfragen ein wesentlich deutlicheres beziehungsweise auch ein etwas anderes Ergebnis gezeigt. Dass es eng werden würde, war in den letzten Wochen aber erkennbar, unter anderem auch durch die Meinungsumfragen, die natürlich insbesondere bei den Sozialdemokraten, aber auch bei der FPÖ, für einen Mobilisierungseffekt gesorgt haben.

noe.ORF.at: Welche politischen Folgen lassen sich nun abschätzen?

Plaikner: Das kommt ganz darauf an, ob die FPÖ Zweiter oder Dritter wird. Wir können davon ausgehen, dass ihr - so seltsam es klingen mag - der dritte Platz der liebere ist, denn dann hat sie wirklich die Wahl, hinter wem sie den Juniorpartner machen kann. Wenn sie Zweiter wird, geht sich Rot-Blau sicher nicht aus, denn die FPÖ wird kein zweites Mal nach 1999/2000 den Kanzler hergeben. Wenn aber die derzeit wahrscheinlichere Koalitionsvariante von Schwarz-Blau kommen sollte, dann könnte dies wie ein Schneeballsystem auf die folgenden vier Landtagswahlen in Niederösterreich, Tirol, Kärnten und Salzburg wirken.

noe.ORF.at: Beobachter sehen eine Stärkung für Mitte-rechts, eine Stagnation bis Schwächung von Mitte-links. Wird man das auch anderwärtig spüren oder nur in den kommenden Wahlgängen?

Plaikner: Es ist seit einiger Zeit ein gewisser Trend - nicht nur österreichweit, sondern auch europaweit und global - in Richtung autoritärerer Staat spürbar. Manche reden schon davon, dass die liberale Demokratie ein Rückzugsgefecht führt. Soweit würde ich in Österreich nicht gehen.

Was aber durchaus sein könnte, ist, dass das, was sich deutlich abzeichnet - nämlich dass die Grünen nicht im Nationalrat bleiben werden - auf den regionalen Ebenen eine Fortsetzung findet. Sie sind derzeit Koalitionspartner in Vorarlberg, Tirol, Salzburg und Kärnten, und kämen auch als Regierungspartner in Niederösterreich in Frage, wo es nach wie vor das Proporzsystem gibt. Wenn auf Bundesebene allerdings Schwarz-Blau kommt, werden die Grünen dort wohl überall ausgetauscht, sogar in Kärnten. Andernfalls wäre eine schwarz-blaue Bundesregierung in Kärnten durchaus ein Feindbild, gegen das man versuchen würde, Rot-Grün zu etablieren.

Wahl Sujetfoto

ORF / Gernot Rohrhofer

„Das Interesse war enorm hoch“, analysiert Peter Plaikner den Wahlkampf

noe.ORF.at: Was war im Wahlkampf besonders wichtig: Waren es die Personen, die Inhalte, die wechselseitigen Attacken?

Plaikner: Es waren mehr denn je die Personen wichtig, und diese insbesondere in einem auch internationalen ganz, ganz außergewöhnlichen Fernseheinsatz. Wir haben es mit weit über 50 Fernsehauftritten der Spitzenkandidaten zu tun gehabt. Anders als etwa in Deutschland oder Großbritannien hat sich vom Kanzler abwärts jeder Spitzenkandidat auf diese Duelle eingelassen. Das hatte auch damit zu tun, dass wir es mit einem außergewöhnlich fähigen Personalangebot bei dieser Wahl zu tun hatten.

noe.ORF.at: Hatte diese Vielzahl an TV-Duellen Auswirkungen für die Entscheidungsfindung bei den Wählern?

Plaikner: Das Interesse war enorm hoch, höher denn je. Man muss neben dem ORF auch die Privatsender dazurechnen, das war außergewöhnlich. Es wurde ein Trend fortgesetzt, der anlässlich der Bundespräsidentenwahl schon ersichtlich war. Von Politikverdrossenheit keine Spur, das heißt, wir können davon ausgehen, dass diese Medienauftritte für viele Bürgerinnen und Bürger eine Hilfe bei der Entscheidungsfindung waren. Das gilt insbesondere für die bis zuletzt nahezu eine Million Unentschlossenen.

noe.ORF.at: Sie haben vorher angesprochen, dass sich die Wähler bei ihrer Entscheidung sehr intensiv an den Personen orientiert haben. Welche Rolle spielten dabei die Inhalte?

Plaikner: Die Inhalte haben aufgrund der Vielzahl an Medienauftritten und Wahlduellen, bei denen kaum Zeit für ausführliche Antworten blieb, nicht nur ein wenig, sondern sehr gelitten. Es war im Grunde genommen kein inhaltlicher Wahlkampf, sondern einer voller versteckter Botschaften in Richtung Migration und Ausländer. Wirklich inhaltliche Unterschiede herauszuschälen, war den meisten Kandidaten und Parteien nicht möglich.

noe.ORF.at: Erstmals war der Wahlkampf besonders von „dirty campaigning“ gekennzeichnet. Inwiefern war das entscheidend für den Ausgang der Wahl?

Plaikner: Wesentlich weniger, als es uns die Medienberichte glauben ließen. Es war vielleicht für die Journalisten und die Experten in dieser Form, also via Social Media, über Facebook, Twitter und ähnliche Kanäle, ungewöhnlich. Grundsätzlich aber hat es so etwas in dieser Art immer schon gegeben. Betrachten Sie etwa die Wahlplakate der 1950er- und 1960er Jahre in Österreich. Die standen dem in nichts nach.

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ORF / Gernot Rohrhofer

„Dirty campaigning“ war für die Wähler „weniger entscheidend, als uns die Medienberichte glauben ließen“, sagt Plaikner

noe.ORF.at: Im Wahlkampf wurde oft auf Ängste der Menschen angespielt und auf „bessere Zeiten“ in der Zukunft – in einem Land, das zu den reichsten und sichersten der EU zählt. Wieso dieses „Spiel mit der Angst“?

Plaikner: In diesem Falle, glaube ich, müssen auch sämtliche Massenmedien kritisch mit sich selbst Bilanz ziehen. Es wurde letztlich ja auch ein Bild vermittelt, das so etwas zulässt. Österreich liegt bei nahezu allen internationalen Vergleichen im globalen Spitzenfeld, von daher ist es eigentlich sehr schwer zu verstehen, wie sich solche Botschaften überhaupt verbreiten.

noe.ORF.at: Wie wird es nun am Tag nach der Wahl weitergehen?

Plaikner: Nach der Wahl ist vor der Wahl, in diesem Fall die Wahl der Koalition. Ich denke, es wird dann, wenn die SPÖ Dritter wird, sehr intensive und zähe Verhandlungen geben, welche Form der Koalition überhaupt kommen wird. Wenn die FPÖ Dritter wird, halte ich es nicht für selbstverständlich, dass Schwarz-Blau kommt. Dann hat die SPÖ auch sehr viel Spielraum, sowohl gegen als auch mit der Volkspartei.

noe.ORF.at: Wird es mit dieser Wahl ein anderes Österreich werden?

Plaikner: Es ist mit dieser Wahl bereits ein anderes Österreich geworden, aber ich glaube, weniger durch die Nationalratswahl 2017, sondern bereits durch die Nationalratswahl 2013. Wenn wir uns die politische Landkarte anschauen, so hatte die bis 2013 hauptsächlich eine schwarz-rote Farbe. Seit den Wahlen 2013 hat sich das Bild, beginnend in Niederösterreich und Kärnten und weiter über Tirol und Salzburg, verändert. Nun kommt es zu einer neuerlichen Veränderung: Es ist absehbar, dass, unabhängig der Koalitionsbildung, Blau in mehr Landesregierungen als bisher einziehen wird.

Das Gespräch mit Peter Plaikner führte Werner Fetz, noe.ORF.at.

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