Wöllersdorf: Sozis, Kommunisten und Nazis

Ab Februar 1934 wurden in Österreich immer mehr Menschen aufgrund ihrer politischen Einstellung inhaftiert. Zu diesem Zweck wurde von der Dollfuß-Regierung das Anhaltelager Wöllersdorf (Bezirk Wr. Neustadt) errichtet.

An das Anhaltelager Wöllersdorf erinnert heute nur mehr ein Mahnmal. Es steht auf dem Gelände des ehemaligen Lagers, es wurde 1974 zur Erinnerung an die Februarkämpfe im Jahr 1934 errichtet. Hunderte Schutzbündler und Sozialdemokraten wurden damals inhaftiert.

Ohne Gerichtsurteile monatelang in Haft

„Hier wurden Menschen ohne Gerichtsurteil eingesperrt, man musste gar keine Straftat begangen haben. Man spricht zum Beispiel davon, dass allein 400 Menschen in den Februartagen 1934 in St. Pölten verhaftet wurden, die teilweise gar nichts mit den Kämpfen zu tun hatten. Es genügte, Funktionär der Sozialdemokraten oder einer der Vorfeldorganisationen zu sein“, sagt Thomas Lösch, Leiter des Stadtarchivs St. Pölten.

Gefangene Anhaltelager Sankt Pölten 1934

Stadtarchiv St. Pölten

Gefangene im Anhaltelager St. Pölten

Ab September 1933 konnten sogenannte „sicherheitsgefährliche Personen“ ohne Gerichtsverfahren auf unbestimmte Dauer angehalten werden. Während der Dollfuß-Regierung war Wöllersdorf das erste Anhaltelager, in dem Oppositionelle vorbeugend interniert waren.

„Das einzige, was wir nicht hatten, war Freiheit“

„Das einzige, was wir dort nicht hatten, war die Freiheit, aber sonst haben wir alles gehabt: Eine glänzende Verpflegung, Besuch, du konntest Pakete empfangen, du konntest Briefe schreiben, die zensuriert wurden, du hast Zeitungen gehabt und konntest Sport betreiben. Es war kein Straflager“, sagte im Jahr 1986 Heinrich Dürmayer, der 17 Monate in Wöllersdorf inhaftiert war. Der Widerstandskämpfer und Kommunist war von 1945 bis 1947 Leiter der Staatspolizei.

Stefan Eminger, Historiker am Landesarchiv Niederösterreich in St. Pölten, relativiert die Schilderung Dürmayers: „Trotzdem war eine Anhaltung in Wöllersdorf eine sehr starke psychische Belastung, vor allem auch deshalb, weil die Häftlinge in der Regel nicht wussten, wie lange sie dort bleiben mussten.“ Bis zu 14.000 Anhaltehäftlinge waren von 1933 bis 1938 in Wöllersdorf interniert, inhaftiert waren Sozialdemokraten, Kommunisten und Nationalsozialisten.

Denkmal Anhaltelager Wöllersdorf

ORF

Mahnmal in Wöllersdorf

Das Anhaltelager Wöllersdorf diente der Zermürbung der politischen Gegner, die Dauer der Anhaltung konnte beliebig verlängert werden, Gefahr für Leib und Leben war aber nicht gegeben. „Es hat im Lager eine Atmosphäre der Solidarität und des gegenseitigen Zusammenstehens geherrscht, sodass Depressionen leichter überwunden werden konnten. Man darf jedoch nicht vergessen, dass Menschen nach Wöllersdorf kamen, die schon jahrelang in Gefängnissen waren“, so der Widerstandskämpfer Josef Meisel im Jahr 1989, der 16 Monate lang in Wöllersdorf war.

18. Februar 1938: Das Lager ist leer

In Wöllersdorf waren auch illegale Nationalsozialisten untergebracht. Ab dem Juliabkommen 1936 wurde deren Zahl aber verringert, Strafverfahren wurden eingestellt, Anhaltehäftlinge wurden entlassen. „Wenn später die Nazis von Märtyrern in ihren Reihen gesprochen haben, dann muss ich schon sagen, dass das ganz arge Übertreibungen waren. Das Anhaltelager Wöllersdorf war in keiner Weise mit den späteren Konzentrationslagern der Nationalsozialisten zu vergleichen“, sagte Kurt Hahn, der ebenfalls 16 Monate Haft in Wöllersdorf verbüßte, 1989 in einem ORF-Interview mit Andreas Novak.

Die letzten Häftlinge verließen Wöllersdorf am 18. Februar 1938, im März diente es den Nationalsozialisten kurzfristig als Schutzhaftlager, am 2. April wurde das Lager geschlossen, Teile des Anhaltelagers wurden von den Nazis in Brand gesetzt.

Reinhard Linke, noe.ORF.at

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