12. März 1938: Der Tag des Einmarsches

Vor 80 Jahren wurde der „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich militärisch vollzogen, Österreich verschwand von der politischen Landkarte. Auch in Niederösterreich lagen damals Jubel und Entsetzen nahe nebeneinander.

Zuerst besetzten im Morgengrauen deutsche Fliegerverbände die österreichischen Flughäfen. Ab 5.30 Uhr rollten dann die Truppentransporter und Panzerwagen über die Staatsgrenze bei Passau, Schärding und Kufstein. Es gab keine Gegenwehr durch österreichische Soldaten. Über Linz bewegten sich die Nazi-Truppen in Richtung Wien. Am Straßenrand empfingen sehr viele Menschen die Deutschen mit Jubel und erhobenem Arm zum Hitlergruß.

Um die Mittagszeit des 12. März 1938 erreichten die deutschen Soldaten St. Pölten. Zwei Tage später kam der deutsche Reichskanzler Adolf Hitler mit seinem Tross nach Sankt Pölten. Ernst Pfabigan, ein ehemaliger Lehrer und Kulturpolitiker in St. Pölten, war damals elf Jahre alt.

Völkischer Beobachter Ausgabe 16 März 1938

Landesarchiv Niederösterreich

„Völkischer Beobachter“ vom 16. März 1938

„Da ist eine Wagenkolonne gekommen, zuerst Militär, dann wieder Militär, dann haben alle Leute zu schreien begonnen, da wusste ich, jetzt ist der Führer persönlich da. Das Brüllen war irgendwie ansteckend, da hab’ ich auch den Arm gehoben. Meine Mutter hat meine Hand genommen und runtergedrückt und gesagt: ‚Wir wissen nicht, was uns der bringt‘. Daraufhin haben uns einige Leute böse angeschaut“, erinnert sich Pfabigan.

Mit Jubel ins Verderben

Der Jubel beim Einmarsch wirkte wie ein Sog. Er riss viele Menschen mit. Für die Historiker heute bleibt die Euphorie trotz vieler Erklärungsmuster dennoch ein wenig rätselhaft, gesteht Ernst Bruckmüller, emeritierter Professor für Wirtschafts- und Sozialgeschichten an der Universität Wien: „Es gibt Interpretationen, die sagen, dieser plötzliche Jubel, der dem Hitler entgegenbrandet, hat etwas Religiöses an sich: ‚Der Erlöser kommt.‘“

Es gibt viele Gründe für diesen begeisterten Empfang. Eine der Ursachen ist, dass sich eine große Zahl von Österreichern seit dem Ende des Ersten Weltkriegs als Teil Deutschlands gesehen haben. Ernst Bruckmüller erläutert: „Der Anschluss-Wunsch war in Österreich ab 1918 lebendig, er wurde auch von der Politik immer lebendig erhalten. Das darf man nicht übersehen, denn es ist nicht so, dass man von 1918 bis 1933 einen Österreich-Patriotismus entwickelt hätte. In der Politik gab es den Anschluss als Fernziel.“

Antisemitismus als verbindendes Element

Nach den Wirren des Bürgerkriegs 1934 und dem wirtschaftlich wenig erfolgreichen Ständestaat wirkte der „Anschluss“ befreiend. Vielen Österreichern und Österreicherinnen dürfte nicht klar gewesen sein, was da auf sie zukommt, die meisten trugen die Inhalte der deutschen Nationalsozialisten bedingungslos mit.

Synagoge St. Pölten

ORF

Die ehemalige Synagoge in St. Pölten: Ein Gotteshaus ohne Gemeinde

Der Antibolschewismus und der Antisemitismus waren wichtige Verbindungspunkte zu den Nationalsozialisten, erläutert Stefan Eminger, Historiker am Niederösterreichischen Landesarchiv in St. Pölten. „Im März 1938 - und da glaube ich, dass Niederösterreich keine Ausnahme bildete - sind Dämme gebrochen“, führt Eminger aus. „Plötzlich waren Dinge erlaubt, die man vorher nicht machen konnte. Plötzlich wurden Personengruppen ausgegrenzt, die vorher noch Teil des staatlichen Konsenses waren, besonders betroffen war natürlich die jüdische Bevölkerung.“

Verhaftungen und Terror gegen Juden

Im ganzen Land erfolgten bereits am Tag des Einmarsches Verhaftungen politischer Gegner, wie Leopold Figl, Josef Reither, Alfons Gorbach oder Viktor Matejka. Franz Planetas Vater hatte als Gendarmerie-Postenkommandant von Ernstbrunn (Bezirk Korneuburg) vor dem „Anschluss“ illegale Nazis verhaftet, die Bombenanschläge verübt hatten. Nun wurde er selbst verhaftet, ein Schock für die Familie: „Da habe ich meinen Vater zum ersten Mal weinen gesehen“, schilderte Planeta seine Erlebnisse.

Mit dem Einmarsch begann auch der Terror gegen die jüdischen Mitbürger. Walter Fantl-Brumlik war in jenen Tagen 14 Jahre alt, die jüdische Familie betrieb ein Lebensmittelgeschäft in Bischofstetten (Bezirk Melk): „Ich ging damals in St. Pölten zur Schule. Ich musste sie aber sofort verlassen und habe sie nicht wieder besuchen können.“ Im Lebensmittelgeschäft seines Vaters ließen die Kunden nur noch anschreiben, weil sie ahnten oder wussten, dass es diese Familie nicht mehr lange hier geben wird. Walter Fantl-Brumlik überlebte als einziger seiner Familie die NS-Konzentrationslager.

Hannes Steindl, noe.ORF.at

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