Nitsch: „Bin der Mittelpunkt der Schöpfung“

Anlässlich seines bevorstehenden 80. Geburtstags ist Hermann Nitschs Lebenswerk in Mistelbach eine Ausstellung gewidmet. „In großen Augenblicken habe ich das Gefühl, ich bin der Mittelpunkt der Schöpfung“, sagt Nitsch im Interview.

„Hermann Nitsch - Leben und Werk“ - die neue Ausstellung im nitsch museum in Mistelbach, beschäftigt sich mit Meilensteinen der künstlerischen Laufbahn und Details des Privatlebens von Hermann Nitsch - mehr dazu in Hermann Nitsch: Ein Enfant terrible wird 80 (noe.ORF.at; 17.5.2018). „Wir zeigen hier eine biografische Werkschau“, erklärte Michael Karrer, künstlerischer Leiter des nitsch museums, am Tag der Ausstellungseröffnung.

Hermann Nitsch Eröffnung Ausstellung

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Hermann Nitsch in „seiner“ Ausstellung

„Für mich zeigt sich hier ein Leben auf von einem mehrfach inhaftierten Künstler bis zum Staatspreisträger“, so Karrer. Nitsch sei nach allen Anfeindungen heutzutage eine Marke und eine Kunstikone, der schließlich schon zu Lebzeiten zwei Museen gewidmet seien, in Mistelbach und in Neapel. „Das ist ein diametrales Leben, das seinen Vergleich sucht“, so Karrer.

Die Ausstellung im Video

In der neuen Jahresausstellung sind im nitsch museum ab sofort Nitschs berühmte Schüttbilder, Collagen, Zeitungsausschnitte und mehr zu sehen

Bei der Gestaltung der Ausstellung habe man ein Jahr lang eng mit dem Vertreter des „Wiener Aktionismus“ zusammengearbeitet, sagte Karrer gegenüber noe.ORF.at. Bei der Aufarbeitung des Lebenswerkes sei man an die eigenen strukturellen Grenzen gestoßen: „Wir haben Hunderte externe Leihgaben und Dokumente zwischen dem Jahr 1957 bis heute selektiert und das wäre ohne dieser Zusammenarbeit mit dem Künstler und der Zusammenarbeit mit den vielen externen Leihgebern nicht möglich gewesen.“

Mikl-Leitner: „Man darf polarisieren“

Die Ausstellungseröffnung zeigte, dass Nitschs Kunst längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist. Spitzenpolitiker und Wirtschaftsvertreter waren ebenso anwesend wie Nitsch-Freunde der ersten Stunde. Dessen Kunst müsse nicht jedem gefallen, sagte Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) am Podium: „Man darf in der Kunst polarisieren, ja man muss letztendlich auch polarisierend sein, weil das dazu führt, dass auch wir uns mit gewissen Themen beschäftigen, dass wir offen werden für Neues.“

Nitsch führte am Tag der Eröffnung persönlich durch die Ausstellung, gab im Gespräch mit Kurator Karrer Anekdoten zum Besten und erklärte Hintergründe. Im Interview mit noe.ORF.at sprach der Künstler zuvor über seine Anfänge, seine Ziele und „falsche verlogene Urlaubsfreude“:

noe.ORF.at: Sie sind einer der bedeutendsten Künstler Österreichs und weit über Österreich hinaus bekannt. Wenn Sie zurückblicken: Sind Sie auf Ihr Lebenswerk stolz oder gehören Sie zu jenen Künstlern, die mit ihrem Werk niemals zufrieden sind?

Hermann Nitsch: Ich bin stolz und ich glaube es gehört zum Wesen des Künstlers, dass er gar nicht zufrieden sein darf. Wir wollen immer mehr und uns immer verbessern. Was nicht heißt, dass mich nicht viele meiner Resultate sehr freuen, aber es gibt immer weitere Visionen und man versucht, sich zu vervollkommnen.

noe.ORF.at: Ihre Themen sind seit Jahrzehnten die wahrscheinlich grundsätzlichsten Themen, die es gibt...

Nitsch: ...das würde ich auch behaupten.

noe.ORF.at: ...Leben und Tod, Liebe und Schmerz...

Nitsch: ...mir geht es um die ganze Schöpfung und um alles, was in ihr vorkommt und sich ereignet.

noe.ORF.at: ...wann hat denn diese Faszination für das Grundsätzlichste begonnen?

Nitsch: Als ich etwa 18 Jahre alt war. Ich habe viel gemalt, alte Meister kopiert. Habe mich anregen lassen von aller Kunst, von der Primitivsten bis zur Gegenwart, hab mich mit Musik beschäftigt, mit Lyrik, mit Sprachkunst, mit dem Drama. Ich würde sagen, alles was ich erfahren konnte, hat mich eigentlich in die Richtung getrieben, in die ich mein ganzes Leben gegangen bin.

noe.ORF.at: Religion spielt in Ihrem Werk ja eine große Rolle. Würden Sie sich als religiösen Menschen bezeichnen?

Nitsch: Welche Rolle spielt Religion in meinem Werk? Mich haben alle Religionen interessiert, aller Kulturbereiche und aller Entwicklungsstadien. Ich glaube an keine Religion, glaube aber, dass viele Religionen grundsätzliche Weisheit in unser Sein gebracht haben. In dem Sinn habe ich mich viel mit der vergleichenden Religionswissenschaft beschäftigt.

Wichtig ist: Ich gehöre keiner Religion an, bin keiner irgendwie verpflichtet und meine religiöse Überzeugung ist: Ich glaube an das Sein, ich glaube an die Schöpfung und in großen Augenblicken habe ich das Gefühl, ich bin der Mittelpunkt der Schöpfung. Ich spreche oft auch von Seinsmystiken. Es gibt nicht nur die Mystik der Verneinung des Lebens. Es gibt auch eine Mystik der Bejahung des Lebens. Ich möchte zusammen mit meinem Werk und auch als lebendiges Ereignis ‚Ja, Ja, Ja‘ zur Schöpfung sagen.

Hermann Nitsch Eröffnung Ausstellung

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noe.ORF.at: Um auf die Ausstellung zu kommen: Wie sehr ist es denn möglich, acht Jahrzehnte Ihres Lebens und sechseinhalb Jahrzehnte künstlerischer Tätigkeit in einem Raum zu versammeln?

Nitsch: Ich sage immer wieder, ich möchte mit meiner Arbeit eigentlich alles zeigen, was es gibt. Passion, den Tod, Leid, Wollust, innigste Freude, Seinsmüßigkeit, eben auch den Schmerz. Man kann das Leben nicht bejahen, wenn man nicht bereit ist, auch den Schmerz zu bejahen. Wir wissen alle, wir werden unter Schmerzen geboren und - ich werde das bald einmal erfahren - auch das Sterben hat wahrscheinlich etwas mit Schmerzen zu tun.

noe.ORF.at: Diese Ausstellung zeigt Ihr Lebenswerk oder versucht es zumindest. Sie haben in Ihrem Leben viel erreicht. Was sind denn jetzt Ihre Ziele?

Nitsch: Mein Hauptwerk, mein ‚Work in Progress‘, ist mein Sechs-Tage-Spiel. Das habe ich immer vorstufenmäßig teilweise erreicht. Ich habe immer Teile meines Projektes realisiert und gezeigt. ’89 im vergangenen Jahrhundert ist es mir gelungen, das Sechs-Tages-Spiel tatsächlich zu realisieren und es ist eben ein ‚Work in Progress‘. Ich arbeite permanent daran. 2020 möchte ich in Prinzendorf, in meinem Theater, noch einmal das Sechs-Tage-Spiel in vielleicht vollkommener Form realisieren. Die Musik wird diesmal eine sehr große Rolle spielen. Das möchte ich noch gerne, wenn es meine finanzielle Situation und meine Gesundheit erlauben.

noe.ORF.at: Abschließend möchte ich generell über die heutige Zeit reden. Ich hatte bei Ihrem Werk immer den Eindruck, dass es auch um Reizüberflutung geht. Ist das heute schwieriger?

Nitsch: Ich weiß natürlich nicht, wie Sie Reizüberflutung meinen. Reizüberflutung durch meine Arbeit oder Reizüberflutung durch die Gesellschaft?

noe.ORF.at: Beides.

Nitsch: Was die Gesellschaft bietet, ist vielfach extrem oberflächlich. Jene Reize, um die es auch nicht ankommt, die meine ich nicht. Von dem möchte ich mich distanzieren. Dieses Skifahren, falsche verlogene Urlaubsfreude, Disko, Missbrauch des Sports und weiß Gott was alles. Ich meine intensives Erleben eben auch durch mein Theater, durch das Zelebrieren sinnlicher Erlebnismöglichkeiten. Das meine ich und dann erfahren ich und meine Spielteilnehmer das Sein. Darum geht es mir. Ich würde sagen, von Seite meines Theaters wäre Reizüberflutung sogar die größte Schmeichelei, die man der praktischen Wirkung meines Theaters zutraut.

Das Gespräch führte Felix Novak, noe.ORF.at