Bachinger: „Gesundheitszentren sind die Zukunft“

Für den niederösterreichischen Patientenanwalt Gerald Bachinger ist der drohende Ärztemangel nur durch neue Versorgungsangebote zu lösen. Den Landarzt müsse es weiter geben, die Zukunft gehöre aber Gesundheitszentren.

Derzeit stehen lediglich 15 Landarztpraxen in Niederösterreich leer. Sie sind nicht zu besetzen. Auf den ersten Blick ist das keine alarmierende Zahl. Doch tatsächlich steckt dahinter eine andere Problematik, denn von den jetzt tätigen Allgemeinmedizinern sind 46 Prozent älter als 55 Jahre und 26 Prozent älter als 60 Jahre.

Das bedeutet, dass die Hälfte der jetzt tätigen Allgemeinmediziner in den kommenden zehn Jahren in Pension gehen wird. Schon jetzt werde es zusehends schwieriger, Praxen nachzubesetzen, betont die Ärztekammer - mehr dazu in Durch Pensionierungen droht Ärztemangel (noe.ORF.at; 14.7.2018). Was das bedeuten wird, dazu nahm am Samstag der niederösterreichische Patientenanwalt Gerald Bachinger im „NÖ heute“-Studio Stellung.

Gerald Bachinger

ORF

Patientenanwalt Gerald Bachinger (r.) im „NÖ-heute“-Studio im Gespräch mit Moderator Thomas Birgfellner

noe.ORF.at: Es wird immer schwieriger, die Ordinationen zu besetzen, hat die Landarztpraxis im klassischen Sinn über kurz oder lang ausgedient?

Gerald Bachinger: Es wird sicher in den nächsten Jahren die klassischen und traditionellen Landarztpraxen weiterhin geben, sie werden aber nach und nach durch neue Versorgungsmodelle ersetzt werden. Das geht etwa in Richtung Gruppenpraxis, aber das ist aus meiner Sicht auch nur eine Zwischenlösung. Die Lösung, auf die wir viel stärker als bisher hineinarbeiten müssen, sind die Gesundheitszentren.

noe.ORF.at: Kommen wir noch einmal zu den Gruppenpraxen. Da hat man schon den Eindruck, dass es da einen großen Widerstand, vor allem aus der Ärzteschaft, gibt. Wie kann man sich das erklären?

Bachinger: Die Widerstände, die derzeit gegen diese neuen Versorgungsmodelle laufen, sind aus meiner Sicht durchaus verständlich. Wenn ich mich in einen Arzt hineindenke, der Jahrzehnte lang eine Landarztordination führt, so hat der natürlich kein Interesse, wenn in fünf Kilometer Entfernung ein Gesundheitszentrum aufmacht, das 50 Stunden durchgehende Betriebszeiten hat und viel mehr an Versorgung anbieten kann. Das ist für ihn natürlich eine massive Konkurrenz.

noe.ORF.at: Jetzt beobachtet man diese Entwicklung natürlich auch in den Spitalsambulanzen besorgt, denn man will ja eigentlich die Patienten zum Hausarzt bringen. Was geschieht aber, wenn keine Ordination mehr besetzt werden kann?

Bachinger: Das Strömen in die Ambulanzen ist ja nicht deshalb, weil es den Patienten so gut gefällt, dass sie vier oder fünf Stunden in der Ambulanz sitzen, sondern das ist deswegen, weil der niedergelassene Bereich seine Hausaufgaben nicht erfüllt und nicht die entsprechenden Strukturen anbietet. Wenn die Patienten längere Öffnungszeiten bei den Hausärzten haben, wenn es Samstag- und Sonntagdienste gibt und auch zu Tagesrandzeiten geöffnet ist, dann werden die Patienten nicht in die Ambulanzen, sondern in das nahegelegene Gesundheitszentrum gehen.

noe.ORF.at: Jetzt hat es Anfang des Jahres ein Paket gegeben, das Ärzte auf das Land locken sollte, zum Beispiel eine Prämie von 50.000 Euro. Das hat offenbar keinen großen Erfolg gehabt, wie erklären Sie sich das?

Bachinger: Wir sehen das aus vielen Umfragen unter Jungärztinnen und Jungärzten: Es wird nichts nützen, Ordinationen zu „vergolden“, denn auch dann wird das entsprechende Gesundheitspersonal nicht gefunden werden. Man muss die Rahmenbedingungen attraktiver machen. Jungärzte wollen eine Work-Live-Balance haben, wollen im Team zusammenarbeiten, wollen eine ordentliche Freizeit haben. Natürlich wollen sie auch ordentlich honoriert werden, aber das ist nur ein kleiner Teil von dem, was wirklich notwendig ist.

noe.ORF.at: Wenn man sich die Entwicklungen im Ausland ansieht, dort ist man einen Schritt weiter. Da spielt die Digitalisierung eine wichtige Rolle, etwa eine virtuelle Ordination. Wird es so etwas auch bei uns in Zukunft geben?

Bachinger: Ich erwarte mir davon sehr viele Vorteile für die Patienten, denn die Gesundheitsdienstleistungen werden zunehmend zeit- und ortsunabhängiger werden. Wenn wir in Gesundheitszentren - mit Applikationen verbunden - auch virtuelle Arztordinationen anbieten, dann ist das ein Riesenschritt nach vorne.

Das Gespräch mit Gerald Bachinger führte Thomas Birgfellner, noe.ORF.at.