Österreichs Einstieg in die Atomenergie

Mit dem Bau des Reaktorzentrums Seibersdorf (Bezirk Baden) 1958 ist Österreich in die Atomenergie eingestiegen. Die Abstimmung gegen das AKW Zwentendorf besiegelte zwar das schnelle Ende, doch frei von Radioaktivität ist das Areal nicht.

Silberne Fässer stapeln sich meterhoch übereinander, an den Wänden stehen Regale mit Arbeitsgeräten, und in der Mitte der gut 50 Meter großen, runden Halle parkt ein Bagger - kurzum ein riesiger Lagerraum. Doch genau hier begann vor 60 Jahren Österreichs Einstieg in das Zeitalter der Kernenergie.

Seibersdorf Forschungsreaktor AIT Atomenergie

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Die ehemalige Reaktorhalle wird heute als einfacher Lagerraum genutzt

In den 1950er Jahren galt die Kernenergie weltweit als die große Leittechnologie der Zukunft, auf die man auch in Österreich nicht verzichten wollte. „Man hatte damals sehr große Hoffnungen in die Atomkraft gesetzt“, sagte Franz Meyer, ehemaliger Mitarbeiter im Reaktorzentrum. Hans Grümm, wissenschaftlicher Geschäftsführer der Studiengesellschaft für Atomenergie, sprach sogar von „qualitativ hochwertiger, umweltfreundlicher Energie“.

Aufbruch in neue Epoche

Im August 1958 wurde deshalb der Grundstein für diese angeblich neue Epoche gelegt, von der sowohl Wissenschaftler als auch Politiker überzeugt waren. Am Rande von Seibersdorf - auf einem 110 Hektar großen Areal - wurde daraufhin der erste Forschungsreaktor errichtet. Das Ziel war es, den Einstieg in die Atomenergie vorzubereiten.

Grundsteinlegung für eine neue Epoche

Der Bau des Reaktorzentrums dauerte zwei Jahre. Die Inbetriebnahme 1960 wurde sogar live im Fernsehen übertragen.

Die Inbetriebnahme zwei Jahre später durch Bundespräsident Adolf Schärf wurde sogar live im ORF übertragen. Bundeskanzler Julius Raab (ÖVP) zeigte sich über die neuen Möglichkeiten der friedlichen Nutzung von Kernenergie begeistert: „Ich wünsche diesen jungen Kräften, dass sie durch ihre Arbeit in diesen modernen Anlagen nicht nur gute Ergebnisse erzielen, sondern durch ihre Tätigkeit und ihren Enthusiasmus auch zum Wohle Österreichs und der mit uns kooperierenden Länder und Organisationen beitragen mögen.“

„War an der Technik vorne mit dabei“

Einer dieser jungen Kräfte war Franz Mayer, der als Reaktoroperator unter anderem für die Steuerung des Forschungsreaktors verantwortlich war. Vor allem der Beginn sei für den heutigen Pensionisten sehr spannend gewesen: „Damals gab es eine Aufbruchsphase, man war an der Technik vorne mit dabei, die Leute waren motiviert, es gab keine große Bürokratie, und man konnte mit den Chemikern oder Physikern jedes Problem besprechen, und man bekam Antworten.“

Seibersdorf Forschungsreaktor AIT Atomenergie

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Rund um den Reaktor siedelten sich die wissenschaftlichen Institute an

Rund um den Reaktor entwickelten sich verschiedene Institute, etwa für Chemie, Physik, Landwirtschaft und Biologie. Geforscht wurde unter anderem daran, wie sich radioaktive Strahlen auf Organismen auswirken oder wie dadurch Früchte konserviert werden können. Der Reaktor war für bestimmte Forschungen schicht- oder tageweise im Einsatz, erzählte Meyer: „Es gab Strahlrohre, an denen physikalische oder chemische Experimente angeschlossen waren.“ Viele Vorrichtungen und Geräte mussten jedoch erst geplant und gebaut werden. „Dort ist natürlich auch alles hier geschehen.“

Volksabstimmung war ein „Dämpfer“

Ursprünglich wurde vor allem Grundlagenforschung betrieben. Durch die negative Volksabstimmung - gegen die Inbetriebnahme des Atomkraftwerkes Zwentendorf 1978 - sei es aber zu einem Bruch gekommen, sagte Meyer, auch weil damit die Kernenergie in Österreich plötzlich Geschichte war: „Sorge um meinen Arbeitsplatz hatte ich nicht, aber es war natürlich ein Dämpfer. Früher hat man als Forschungszentrum von jeder Firma jede Unterstützung bekommen, danach ist das eher abgeklungen, und die Tätigkeit wurde immer mehr kommerzialisiert.“

Das Zentrum habe sehr schnell die industrialisierte Anwendung des Reaktors gesucht, erklärte Roman Beyerknecht, Geschäftsführer der Nuclear Engineering Seibersdorf: „Zum Beispiel hat man radioaktive Stoffe produziert, die für zerstörungsfreie Werkstoffprüfung gebracht werden, da geht es um sicherheitstechnische Untersuchungen.“ Zudem sei teilweise auch noch in Sicherheitsforschungen investiert worden. „Von diesen Forschungen ist man aber immer mehr zurückgegangen“, sagte Beyerknecht.

Bis heute internationaler Meilenstein

1999 wurde der Reaktor schließlich stillgelegt und rückgebaut. Für Mayer, der dafür verantwortlich war, war es vor allem eine logistische Herausforderung: „Weil nicht nur die Reaktoreinbauten, sondern jedes Ding - vom Sessel bis zum Bleistift - eine behördlich Freigabe gebraucht hat.“ Das heißt, alle Gegenstände mussten zuvor entsprechend vermessen und vom Gutachter kontrolliert werden.

Der Rückbau gilt bis heute als Meilenstein

Sowohl bei den Kosten als auch bei der Zeit wurden beim Rückbau neue Maßstäbe gesetzt, die bis heute internationale Beachtung finden.

Der Rektor selbst wurde in mehrere Betonblöcke zerschnitten und dann Stück für Stück abgetragen. Der Rückbau gelang so innerhalb von sechs Jahren. Die Arbeit gelte bis heute - auch international - als Meilenstein, sagte Beyerknecht, „weil sowohl beim Zeitaufwand als auch bei den Kosten international Benchmarks gesetzt wurden, die auch von der Internationalen Atomenergiebehörde oft als Vorbild für andere Länder dargestellt werden.“

Zwischenlager für Atommüll

Heute ist die Nachfolgegesellschaft der einstigen Studiengesellschaft für Atomenergie - das Austrian Institut of Technology (AIT) - noch mit einigen Abteilungen in Seibersdorf vertreten. So werden auf dem Areal mehr als 11.000 Fässer mit nieder- bis mittelradioaktivem Abfall, der vor allem in der Industrie und Medizin anfällt, zwischengelagert. Zudem sind dort die Strahlenschutzausbildung sowie Labore der Weltantidopingagentur angesiedelt. Rundherum siedelten sich neue Unternehmen an.

Atommüll Seibersdorf

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Mehr als 11.000 Fässer mit radioaktivem Müll lagern derzeit in Seibersdorf

Vom ehemaligen Forschungsreaktor sind - neben der ausgehöhlten Halle - heute nur noch Einzelteile erhalten, festverschlossen in etwa 200 Fässern, die nun selbst hinter dicken Betonwänden sicher gelagert werden.

Stefan Sailer, noe.ORF.at

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