Prozess: Holocaust-Leugner enthaftet

Das Landesgericht Krems hat am Montag in einem Prozess nach dem Verbotsgesetz einen Antrag der Staatsanwaltschaft auf Einweisung eines 67-Jährigen abgewiesen. Der Mann wird daher aus der Haft entlassen.

Die Geschworenen hatten zuvor einstimmig entschieden, dass der Mann nicht zurechnungsfähig sei. Das Urteil ist nicht rechtskräftig. Einem Antrag auf Enthaftung, den der Verteidiger des Beschuldigten gestellt hatte, wurde Folge gegeben. Laut der vorsitzenden Richterin liegen nicht alle im Gesetz geforderten Voraussetzungen für eine Einweisung vor. Die zu befürchtenden Taten würden keine mit Strafe bedrohten Handlungen mit schweren Folgen darstellen. Die Staatsanwaltschaft meldete Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung an. Damit ist das Urteil nicht rechtskräftig. „Ich hoffe auf nie mehr Wiedersehen“, meinte die vorsitzende Richterin in Richtung des 67-Jährigen.

Existenz von Gaskammern geleugnet

Der Mann hatte aus der Justizanstalt Stein Schreiben u.a. an den Justizminister, an Staatsanwaltschaften, Gerichte und die 183 Parlamentsabgeordneten verschickt, in denen er die Existenz von Gaskammern in der NS-Zeit bestritt. In den Briefen war u.a. von einer „Mauthausen-Betrüger-Clique“ zu lesen.

Der ehemalige Wiener Bezirksrat - er wurde 1994 aus der FPÖ ausgeschlossen - verwies in den Schreiben immer wieder auf ein von ihm in den 1990er-Jahren verfasstes Gutachten, demnach hätten mit Zyklon B keine Gaskammern betrieben werden können. Weil der Oberste Gerichtshof (OGH) das Urteil aus dem Jahr 2018 teilweise aufgehoben hat, mussten die Geschworenen am Montag erneut über die Zurechnungsfähigkeit des Mannes entscheiden.

Der Angeklagte wies fünf einschlägige Vorstrafen nach Paragraf 3h Verbotsgesetz im Zeitraum 2003 bis 2016 auf. Er saß seit 15 Jahren durchgehend in Haft und befand sich derzeit in der Justizanstalt Krems. Seine Zukunft stelle er sich „in Freiheit“ vor, meinte er am Vormittag auf Frage der vorsitzenden Richterin.

Widersprüchliche Gutachten

Die Staatsanwältin erklärte, ein weiterer Sachverständiger sei im Gegensatz zum ersten Gutachter zum Schluss gekommen, dass der Mann zurechnungsfähig sei. Daraufhin wurde ein „Obergutachter“ bestellt. Laut diesem liegt Zurechnungsunfähigkeit vor - der Mann leide an einer Wahnerkrankung und einer geistig-seelischen Abartigkeit höheren Grades.

Verteidiger Wolfgang Blaschitz sagte, sein Mandant sei „kein gefährlicher Straftäter“. Er könne nicht verurteilt werden, weil er nicht zurechnungsfähig sei. Es liege aber auch keine Gefährlichkeit vor, die eine Unterbringung rechtfertige. Die Republik müsse es „aushalten“, dass jemand seine wissenschaftliche Meinung verbreite, sagte der Rechtsanwalt.

Beschuldigter will sich „nicht davon distanzieren“

Auf die Frage der vorsitzenden Richterin, ob der Beschuldigte weiterhin Schreiben schicken werde, antwortete er: „Ich werde das nicht mehr machen“ und präzisierte später: „Ich werde mich nicht davon distanzieren, aber das auch nicht aktiv vorantreiben.“ Weiters meinte er: „Ich bin ja nicht der Don Quijote.“ Wenn er nicht mehr weiterkomme, werde er es vielleicht beim Europäischen Gerichtshof probieren.

Die Richterin hielt seinen Aussagen entgegen, dass er u.a. wenige Monate nach dem Prozess 2018 ein Schreiben an Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) geschickt, im November an einen der bestellten Sachverständigen sein Gutachten übermittelt und am 14. Februar 2019 eine als „Strafanzeige“ betitelte Eingabe an die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft gemacht habe.

In der teilweisen Neuverhandlung des Verbotsprozesses am Landesgericht Krems waren nach dem 67-Jährigen zwei Sachverständige am Wort. Insgesamt wurden drei Expertisen eingeholt, zwei davon stufen den Mann als nicht zurechnungsfähig ein. Laut dem „Obergutachten“ leidet der 67-Jährige an einer wahnhaften Störung und will „das gesamte Geschichtsverständnis Europas verändern“.

Laut Zweitgutachter keine Geisteskrankheit

Der Zweitgutachter kam zu einem anderen Ergebnis als der erste Sachverständige beim Prozess im März 2018: Seiner Ansicht nach liegt keine wahnhafte Störung vor, der Mann sei zurechnungsfähig. Ein Wahnkranker würde nicht sagen, dass er sich irren könne, sagte der Sachverständige am Montag. „Die Schwelle, dass er eine Geisteskrankheit erreicht, sehe ich nicht.“ Der Betroffene sei in der Lage, das Unrecht seiner Lage einzusehen und danach zu handeln. Es liege eine Persönlichkeitsstörung vor, aber keine geistig-seelische Abartigkeit höheren Grades.

Der „Obergutachter“ umriss die Biografie und Persönlichkeit des 67-Jährigen, der aus geordneten Verhältnissen stamme und früher erfolgreich als Techniker gearbeitet habe. „Dann sind Kränkungen passiert“, er habe sich mit seinem damaligen Arbeitgeber zerstritten. Nach Beendigung des Dienstverhältnis habe der Mann keine langfristigen Anstellungen mehr gehabt. Der 67-Jährige habe eine „sehr feste Grundüberzeugung“ und könne diese mit Fanatismus vertreten.

Den Anspruch des 67-Jährigen formulierte der Sachverständige folgendermaßen: „Er will das gesamte Geschichtsverständnis Europas verändern.“ Dieses „Lebensthema“ sei mittlerweile so stark verdichtet, dass er in der tiefsten Überzeugung sei, ein Opfer der Justiz zu sein. Der Sachverständige verwies dazu auf die Aussagen des 67-Jährigen, wonach er zu Unrecht nach dem Verbotsgesetz verurteilt worden sei und es sich laut Anwälten um den „größten Justizskandal der Zweiten Republik“ handle. „Er ist zutiefst von der Richtigkeit seines Gutachtens überzeugt“, hielt der Sachverständige fest und erwähnte hier auch die 17 Aktenordner an „Unterstützerschreiben“, die der 67-Jährige seiner Aussage zufolge hat.

Briefe sind „abgeschlossenes Kapitel“

„Ich kann Ihnen eines versichern: Dass es für mich ein abgeschlossenes Kapitel ist“, meinte der verheiratete 67-Jährige nach den Vorträgen der Gutachter zur vorsitzenden Richterin im Hinblick auf seine Schreiben. Er werde sich auch nicht mehr an den Europäischen Gerichtshof wenden.

In ihren Schlussworten verwies die Staatsanwältin auf die zwei Gutachten, wonach der 67-Jährige nicht zurechnungsfähig sei und eine geistig-seelische Abartigkeit höheren Grades habe. Im gegenständlichen Fall sei zu bejahen, dass bei Taten schwere Konsequenzen zu befürchten seien. „Wenn wir zulassen, dass das keine schweren Folgen sind, obgleich der Rechtsstaat massiv ge- und verstört wird, ist das nicht einzusehen“, sagte die Vertreterin der Anklagebehörde.

Die Gefährlichkeit werde dadurch erhöht, dass „je wissenschaftlicher eine angebliche Wahrheit verkauft wird, desto eher ist die Masse bereit, das zu glauben“, meinte die Staatsanwältin mit Hinblick auf Fake News. Der 67-Jährige wolle möglichst viele Menschen von seinen Ansichten überzeugen. Der Mann werde einzuweisen und in einer Anstalt zu behandeln sein. „Schützen Sie den Rechtsstaat. Schützen Sie die Menschlichkeit“, wandte sie sich an die Geschworenen.

Anwalt: Beschuldigter „partiell zurechnungsunfähig“

„Wir haben einen einzigartigen Fall hier vor uns“, meinte hingegen Verteidiger Wolfgang Blaschitz. Sein Mandant sei nicht zurechnungsfähig gewesen, er sei aber „nicht ein Geisteskranker“, sondern partiell zurechnungsunfähig. Der 67-Jährige „ist 100 Prozent überzeugt“, dass seine Ansichten richtig seien. Es gebe laut dem Obergutachter weder Eigen- noch Fremdgefährlichkeit. Wegsperren sei „völlig sinnlos“, meinte der Rechtsanwalt.

Von einer Einweisung sei Abstand zu nehmen bzw. sollte diese aus Sicht der Verteidigung bedingt nachgesehen werden - „unter strikten Auflagen“, etwa Bewährungshilfe und Therapie. Der 67-Jährige bot in seinen Schlussworten an, ein Gelöbnis zu unterschreiben, dass er keine derartigen Schreiben mehr verfassen werde. „Ich werde das Thema soweit wie möglich meiden.“