donaufestival spürt einer „New Society“ nach

Das donaufestival in Krems spürt einer „New Society“ nach: Der Performance- und Musikreigen wird ab Freitag erneut zum Tummelplatz für ungewöhnliche Ansätze im weiten Feld einer gesellschaftspolitisch aufgeladenen Popkultur.

Am ersten Wochenende des von Thomas Edlinger geleiteten donaufestivals begegnet man etwa dem „Paradise Now“. Unter diesem Titel versucht Michiel Vandevelde mit seinem Kollektiv fABULEUS kurzerhand, eine 50 Jahre umfassende Zeitspanne einzufangen. Der Belgier bezieht sich einerseits auf das gleichnamige Stück der Theatergruppe The Living Theatre aus dem Jahr 1968, greift aber andererseits mit jugendlichen Laiendarstellern politische Ereignisse auf, die die Jahrzehnte seither bestimmt haben. Entstehen sollen so „ikonische Bilder“ und „politisches Theater ohne Nostalgie“, wie es in der Programmbeschreibung heißt. Premiere für diesen ungewöhnlichen Blick ist Freitagabend am Messegelände.

Ebendort wird beim US-amerikanischen Performer Bully Fae Collins der eigene Körper zur Verhandlungssache: Brauchen wir wirklich alle Organe? Können wir uns vielleicht optimieren, indem wir uns von bestimmten Dingen trennen? Hintergrund ist eine von seiner Kunstfigur Shandy imaginierte kosmische Verschwörung, die es auf unsere Körper abgesehen hat. „Plight Notions with Shandy“ kündigt sich als intensiver Trip zwischen sprachlichem Wahn und tänzerischer Direktheit an. Im Forum Frohner gehen indes Karin Pauer und Aldo Giannotti unterschiedlichen Netzwerken auf den Grund: „this is where we draw the line“ holt das Publikum mitten hinein, bringt gesellschaftliche Verbindungen zum Vorschein und entspricht dem Festivalmotto im besten Sinn.

Rhythmisch pointiert und atmosphärisch aufgeladen

Aus musikalischer Sicht geht es am Eröffnungstag ebenso rhythmisch pointiert wie atmosphärisch aufgeladen zu: Die österreichische Schlagzeugerin Katharina Ernst bittet in der Minoritenkirche zum akzentuiert gestalteten Tanz, während das britische Technoduo Giant Swan seine Beats mit allerlei Lärm vermengt. Laut wird es sicher auch bei der Schwedin Anna von Hausswolff, die sich ausgehend von mächtigen Orgelsounds stimmtechnisch in die Höhe schraubt. Norwegischer Artrock, der gerne mal in unterschiedliche Genres ausfranst, serviert hingegen Arabrot.

Tags darauf dehnt die US-Amerikanerin Lingua Ignota das klassische Songformat aus, nutzt Feedback und Hall zur Erzeugung eigenwilliger Stimmungen und gefällt sich als düstere Seelenverwandte von PJ Harvey. Pop im besten Sinn liefert Sängerin Lafawndah, die ihr überzeugendes Debüt „Ancestor Boy“ präsentiert. Neues Material hat auch eine alte Bekannte des Festivals im Gepäck: Holly Herndon hat „Proto“ mit der von ihr konzipierten künstlichen Intelligenz „Spawn“ geschrieben. Wem das zu verkopft erscheint, der kann sich am Sonntag bei Nadja ausufernden Drones hingeben und im Rausch der Klänge aufgehen. Irgendwo zwischen Lo-Fi und Dreampop haben es sich die Insecure Men gemütlich gemacht, Planningtorock wechselt neben Stilen auch Gender-Zuschreibungen nach Belieben.

Installative Ergründung von Propaganda und Trauer

Im Ausstellungsprogramm sticht Jonas Staals Projekt zu Steve Bannon hervor: Dem Ex-Berater von US-Präsident Donald Trump und Posterboy der Alt-Right-Bewegung ist eine „Propaganda Retrospective“ gewidmet, die im Museum Krems als Adaption der ursprünglich in Rotterdam gezeigten Schau die Wirkung von „Propaganda-Kunst“ dechiffrieren und Auswirkungen auf den aktuellen politischen Zeitgeist aufzeigen soll. Einen Beitrag zur Trauerarbeit leistet Felix Blume mit „Death in Haiti“: Der Soundkünstler hat für sein so betiteltes Album Trauermärsche auf der Karibikinsel aufgenommen, die im Kapitelsaal am Minoritenplatz als raumgreifende Installation präsentiert werden.

Einen Ausschnitt seines Langzeitprojekts bringt Bogomir Doringer nach Krems: Für „I Dance Alone“ filmt er seit bald fünf Jahren Dancefloors aus der Vogelperspektive. Die tanzende Menge tritt dabei in Konkurrenz zum Individuum, wie sich auf verschiedenen Bildschirmen verfolgen lässt. Und den Bogen zwischen Netzdiskurs und politischem Kontext versucht James Bridle zu spannen: Der Brite lässt die Festivalbesucher mittels „Citizen Ex“ ihre digitale Staatsbürgerschaft nachvollziehen, wenn die besuchten Webseiten einen algorithmisch aufgebauten Ausweis anhand ihrer tatsächlichen Standorte erzeugen. So thematisiert er die Fragen: Woher kommen Inhalte, und wo sind die damit verknüpften Daten angesiedelt?

Ergänzt wird das Programm vom Diskursangebot (so ist am Samstag Ausstellungsmacher Staal für eine Diskussion zu Gast), Filmen von Roberto Minervini oder Cesar Vayssie sowie dem Überraschungsformat „Stockholm Syndrom“. Dafür kann man sich immer am Aufführungstag anmelden und wird dann für eine Stunde entführt - Orte und Künstler werden vorab nicht bekanntgegeben. Nur die Titel geben einen Vorgeschmack auf das zu Erwartende: „Wiedergeboren unter Strom“ und „Die Lücke, die der Teufel lässt“ lauten sie für das erste Wochenende.

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