Stille Ikonen zum Donaufestival-Auftakt

Die Gesellschaft mit ihren Problem und Chancen und das Thema „New Society“ steht seit Freitag im Zentrum des Donaufestivals in Krems. Gesellschaftspolitischen Ikonen und die große Geste des Rock gab es zum Auftakt.

Die Siegespose des frisch gewählten US-Präsidenten Donald Trump; die Foltergräuel von Abu Ghraib; ein fiktives Liebespaar am Bug der Titanic: Es ist erstaunlich, wie sehr sich bestimmte Bilder ins allgemeine kulturelle Gedächtnis eingeschrieben haben. Beim Kremser donaufestival, das am gestrigen Freitag eröffnet wurde, machte sich das Michiel Vandevelde mit fABULEUS zunutze.

Der belgische Regisseur und Choreograf hat mit dreizehn Jugendlichen „Paradise Now (1968-2018)“ erarbeitet und nimmt sich dafür einerseits des gleichnamigen, legendären Stücks des Living Theatre an, verknüpft aber dessen (für heutige Verhältnisse beinahe schon banal wirkende) Exaltiertheit mit gesellschaftspolitischen Ikonen, die sich in den vergangenen 50 Jahren abgespielt haben. In der weitläufigen Messehalle 1 brauchte es dafür letztlich nur die sportlich gekleideten Darsteller und einen im Hintergrund befestigten Perlenvorhang, der als Projektionsfläche diente.

Jugendliche bei der Performance "Paradise Now"

kurt van der elst | kvde.be

„Paradise Now“ war eine der Performances am Eröffnungstag beim Donaufestival

Schlagwörter wie „Arab Spring“, „Situation Room“ oder „Jane Fonda“ wurden darauf eingeblendet, während im Bühnenraum selbst die Jugendlichen mit schnellen und präzisen Schritten Formationen bildeten, die dem Betrachter merkwürdig bekannt erschienen. Schnell erkannte man: Diese Bilder sind schon zigfach an einem vorbeigezogen, wurden mal genau, dann wieder nur flüchtig betrachtet. Dazu erklang Musik, die aber eigentlich nur die Stille füllte. Eher waren es die quietschenden Sohlen der Schuhe, die für einen ganz besonderen Rhythmus sorgten.

Doch sukzessive entglitt dieser so stark wirkende Bilderreigen und rückte die Improvisationskunst des Living Theatre in den Fokus: Es wurde gesprungen und gerobbt, sich im Kreis gedreht, aggressiv anmutende Scharmützel gebildet, um einander dann im nächsten Moment in Harmonie und Eintracht in den Armen zu liegen. Und dann waren wir an der Reihe: Wir, das ach so desinteressierte Publikum, das doch endlich die Revolution starten solle! Befreit das Theater, befreit euch von Zwängen! „Die Revolution will nicht Macht, sondern Bedeutung“, wurde dem Auditorium entgegengebrüllt, bevor selbiges als Spielwiese für die Darsteller diente - Umarmungen und Entkleidung inklusive.

Zurück blieb dann, nach gut eineinhalb Stunden und einer abschließend leider zu hochtrabend geratenen Diskursrunde über Demokratie, Verzweiflung und die Hoffnung aus der Hoffnungslosigkeit, ein zwiespältiges Gefühl. So beeindruckend die körperliche Präzision der still inszenierten Ikonen gelang, so aufgesetzt wirkte beizeiten der philosophisch anmutende Überbau. Man würde sich wünschen, dass diese jungen Menschen ihre eigenen Worte finden für all die Dinge, die in unserer Gesellschaft schief laufen.

Orgelsounds und Rock mit großer Geste

Ihre persönliche Vision sehr pointiert umzusetzen weiß hingegen Anna von Hausswolff, die die abendlichen Konzerte im Stadtsaal eröffnete. Die zierliche Schwedin, von fünf Mitstreitern auf der Bühne begleitet, nutzte ihre mächtigen, von Orgelsounds getragenen Stücke, um größtmögliche Intensität zu erzeugen. Das war schon beim eingangs gesetzten „The Truth, The Glow, The Fall“ zu erkennen. Atmosphärische Zwischenspiele waren willkommene Gelegenheit zum Kräftesammeln, bevor die nächste Klangmauer zum Einsturz gebracht wurde.

Anna von Hausswolff

David Visnjic/donaufesitval

Anna von Hausswolff eröffnete die abendlichen Konzerte im Stadtsaal

Leider mit deutlich weniger Zuspruch als seine skandinavische Kollegin musste Kjetil Nernes auskommen: Der norwegische Musiker, der mit seiner Band Arabrot kürzlich das hervorragende „Who Do You Love“ veröffentlicht hat, ließ sich davon aber nicht beirren. Das Quartett exerzierte Rock in Reinform, mit großer Geste - die Gitarre wurde nicht nur einmal wie ein Gewehr im Anschlag gehalten - und angenehm transparentem Sound. Dabei waren Songs wie „The Gospel“ immer verschroben genug, um nicht beliebig zu wirken. Und sicher kann man jetzt schon sagen: Den Titel für den schönsten Hut des diesjährigen donaufestivals kann Nernes für sich beanspruchen.

Viele Hüte setzte sich Tyondai Braxton, ehemaliges Mitglieder der experimentierfreudigen Battles, auf: Beim elektronischen Set des US-Amerikaners wussten man oft nicht, von wo die Sounds kamen. Mal so leise, dass jedes Gespräch im Publikum überdeutlich zu vernehmen war, dann in Richtung kratzige Beats und verzerrte Effekte abzweigend, ließ sich Braxton auf vieles und doch nichts ein. Wie es geradliniger geht, zeigte abschließend das Technoduo Giant Swan. Keine Kompromisse, sondern immer auf die Zwölf schien die Devise. Immerhin: Endlich wurde ausgiebig und selbstvergessen getanzt. Was aber vielleicht auch an der Geisterstunde nach Mitternacht lag.

Christoph Griessner, APA

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