1. Mai 2004: Als die Nachbarn zur EU kamen

Am Mittwoch jährt sich zum 15. Mal die Erweiterung der Europäischen Union. Die EU hat am 1. Mai 2004 zehn neue Mitglieder aufgenommen, u.a. auch Niederösterreichs Nachbarländer Tschechien und Slowakei.

Am 1. Mai 2004 war - knapp 15 Jahre nach dem Fall der Berliner Mauer und des „Eisernen Vorhangs“ - das einst zerrissene Europa wieder fast vereint. Die Europäische Union nahm an diesem Tag zehn neue Mitglieder auf. Es war die größte Erweiterungsrunde in der Geschichte der EU. In den nun 25 Staaten feierten Millionen Menschen das Ereignis ausgelassen mit Feuerwerken und Konzerten. Politiker würdigten die Erweiterung als einen historischen Moment für den Kontinent, der Frieden und Wohlstand stärken wird.

EU Fahnen

APA/Georg Hochmuth

Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Slowenien, Malta und Zypern traten am 1. Mai 2004 der Europäischen Union bei

Mit dem Beitritt der zehn neuen Mitglieder festigte die EU ihre Position als zweitstärkste Wirtschaftsmacht der Erde. Etwa 74 Millionen Bürger kamen hinzu. In der EU lebten im Jahr 2004 fast 455 Millionen Menschen. Die Zahl der offiziellen Amtssprachen erhöhte sich von 11 auf 20. Es war seit den Römischen Verträgen von 1957, welche die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft begründeten, die fünfte Erweiterungsrunde.

Acht Staaten Mittel- und Osteuropas - Estland, Lettland, Litauen, Polen, Tschechien, Slowakei, Ungarn und Slowenien - sowie die zwei Mittelmeerinseln Malta und Zypern traten der Europäischen Union bei. Das Territorium der EU wuchs um etwa 23 Prozent auf 710.600 Quadratkilometer an, die Bevölkerungszahl stieg um 20 Prozent (74,1 Millionen) auf knapp 455 Millionen Menschen. Weil das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in den neuen Mitgliedsländern aber nicht einmal die Hälfte des EU-Durchschnitts erreichte, nahm die EU-Wirtschaftsleistung durch die Erweiterung nur um circa fünf Prozent zu. Dagegen verdoppelte sich fast die Zahl der Amtssprachen: Von elf auf 20.

Niederösterreich richtete ein Drei-Länder-Fest aus

Mit einem Drei-Länder-Tag in Hohenau an der March (Bezirk Gänserndorf) und damit im Dreiländereck feierte das offizielle Niederösterreich am 1. Mai 2004 die vollzogene EU-Erweiterung. Der feierliche Akt in einem 1.000 Menschen Platz bietenden Festzelt wurde gemeinsam mit den Nachbarn Tschechien und Slowakei begangen, der ORF Niederösterreich übertrug live. Die Veranstaltung stand unter dem Motto „Ein Blick auf drei Länder - drei Kulturen - drei Identitäten“.

Dreiländerfest in Hohenau Erwin Pröll Magda Vasaryova Jiri Grusa

NLK/Raimund Boltz

Beim Drei-Länder-Tag: Erwin Pröll, Magda Vasaryova und Jiri Grusa (v.l.)

Als Vertreter der unmittelbaren Nachbarn Niederösterreichs, Tschechien und Slowakei, traten beim Drei-Länder-Fest ehemalige Botschafter in Wien der beiden Länder ans Rednerpult. Jiri Grusa meinte, dass Humor eine der Eigenschaften sei, die von Tschechien ins größere Europa eingebracht werde. Die Slowakei sei „voll von Energie“, betonte Magda Vasaryova.

Die Rolle der Regionen in Europa bezeichnete Grusa, der auch ehemaliger Bildungsminister Tschechiens war, als „immer schon wichtig gewesen“. Selbst in Zeiten des „Eisernen Vorhanges“ sei der Kontakt „nie abgebrochen“. Sie habe „ein bisschen Tränen in den Augen“, gestand Vasaryova. „Wir waren 50 Jahre getrennt, sie können sich nicht vorstellen, wie froh wir sind“, sagte Vasaryova, die 2004 slowakische Botschafterin in Warschau war, zum Vollzug der EU-Erweiterung.

Der 1. Mai 2004 sei für die Menschen, die Regionen und für Europa ein historischer Tag, sagte der damalige Landeshauptmann Erwin Pröll (ÖVP) in seiner Festrede. Nachbarn würden zu Partnern, die Nachbarländer hätten wieder eine Perspektive. Nicht zuletzt, so Pröll, „sind der EU an einem Tag mehr Staaten beigetreten als dies seit ihrer Gründung der Fall war“.

2004: Optimistischer Osten, skeptischer Westen

Die Osteuropäer waren im Jahr 2004 - was die Erwartungen im Zusammenhang mit der EU-Erweiterung betraf - ungleich optimistischer als die EU-Bürger im Westen, dort überwogen die skeptisch eingestellten Bewohner. Das ergab eine vom Linzer Meinungsforschungsinstitut IMAS in Ungarn, Tschechien, Polen, Deutschland und Österreich durchgeführte und im April 2004 veröffentlichte Umfrage. Sie zeigte auch unterschiedliche Ansichten über die Ziele der EU auf: In den neuen EU-Mitgliedsländern wurde die möglichst große politische Integration befürwortet, in den alten wurde lediglich die wirtschaftliche Zusammenarbeit gewünscht.

Polen 2004 Autobus und Fahne EU

dpa/dpaweb/dpa/Z1022 Patrick Pleul

Das kleine polnische Dorf Lisow, zehn Kilometer entfernt von der polnischen Westgrenze zu Deutschland, im April 2004

Für die Umfrage wurden 6.000 Personen in den genannten fünf Ländern befragt. Insbesondere die polnische Bevölkerung glaubte demnach mit einer klaren Mehrheit von 42 zu 33 Prozent an ein Überwiegen der Vorteile für das eigene Land. In Ungarn lautete das Verhältnis 34 zu 27 Prozent.

Die Tschechen waren mit 35 zu 33 Prozent vergleichweise sehr skeptisch eingestellt. Aber nicht so pessimistisch wie die Bewohner der beiden deutschsprachigen Staaten: Die Österreicher unterstellten der EU-Erweiterung in massiver Mehrheit von 46 zu 24 Prozent eher Nachteile als Vorteile. Bei den Deutschen betrug dieses Verhältnis sogar 47 zu 20 Prozent.

Unterschiedliche Bilder von Neo-EU-Mitgliedern

15 Jahre nach dem Fall des „Eiserner Vorhanges“ hatten die Österreicherinnen und Österreicher „sehr unterschiedliche Bilder“ von den ehemaligen Ostblock-Ländern und neuen EU-Mitgliedern. Ungarn wurde sehr positiv eingeschätzt, das Bild von Polen war „negativ geprägt“. Das Verhältnis zu Deutschland verschlechterte sich gleichzeitig im letzten Jahrzehnt. Zu diesen Schlüssen kamen Peter Ulram und Svila Tributsch in ihrem Buch „Kleine Nation mit Eigenschaften“ (Molden Verlag), das im März 2004 präsentiert wurde.

Die Autoren versuchten darin das Verhältnis der Österreicher zu sich selbst und zu ihren Nachbarn zu beschreiben. Durch die Jahrzehnte des Kommunismus sei viel Wissen über die gemeinsame Vergangenheit verloren gegangen, so Ulram, vor allem auf österreichischer Seite. Oft würden Vorurteile die Vorstellungen über die Nachbarländer dominieren.

Über Ungarn gebe es beispielsweise „kaum negative Stellungnahmen“. Hier würden die positiven Bilder der letzten Jahrzehnte weiter wirken. Anders stelle sich die Einschätzung Tschechiens dar. Hier komme der Gesichtspunkt „Konflikte“ stärker in den Vordergrund. Das spiegle sich auch in den Medien wider. Gegen Temelin werde mobilisiert, andere AKWs im Osten seien hingegen völlig aus der öffentlichen Meinung entschwunden, so Ulram im Jahr 2004.

Reinhard Linke, noe.ORF.at

Links: