Nitsch ganz privat

Hermann Nitsch ist wohl einer der umstrittensten Künstler unserer Zeit. Am Sonntag fand im Cinema Paradiso in St. Pölten die DVD-Premiere eines Films über Nitsch statt. Der Künstler war dabei und hat persönliche Einblicke in sein Leben erlaubt, auch im Interview mit noe.ORF.at, gemeinsam mit seiner Frau.

noe.ORF.at: Der Film ist entstanden, weil Sie, Rita Nitsch, die Regisseurin, in einem Wellness-Hotel getroffen haben. Wie muss man sich das vorstellen?

Rita Nitsch: Jeder fragt, was machst Du? Ich habe gesagt mein Mann ist Künstler und ich organisiere Dinge für ihn und arbeite mit. Sie hat gar nicht gewusst wer er ist, und am nächsten Tag hat sie gesagt, sie hat sich das gleich in der Nacht angesehen. Und das ist alles so komisch, was macht er da. Und ich habe gesagt, wir sind hier zum “wellnessen,“ reden wir lieber über etwas anderes. (lacht) Und so ist das entstanden.

noe.ORF.at: Sie werden natürlich häufig mit Vorurteilen konfrontiert, wenn es über die Kunst ihres Mannes geht.

Rita Nitsch: Ja, sehr viel. Als ich nach Prinzendorf kam und das erste Mal in ein Geschäft hinein ging, da stand noch „Nitsch, nein Danke!“ auf der Vitrine. Und da waren alle still. Und als ich dann hinaus ging habe ich gehört, wie es drinnen explodiert ist und sich jeder überschlagen hat.

Ausschnitt aus dem Hermann Nitsch Film "Hermann Nitsch"

"Hermann Nitsch"

Filmausschnitt aus „Hermann Nitsch“, Nitsch und seine Frau Rita nach ihrer Hochzeit.

noe.ORF.at: Es wurde gesagt, Sie fühlen sich in dem Film verstanden. Wie wichtig ist für Hermann Nitsch das Verstehen und in welchen Bereichen fühlen Sie sich missverstanden?

Hermann Nitsch: Naja, ich würde das gar nicht so sehr auf mich zentrieren. Ich glaube alle neue Kunst hat Schwierigkeiten: Ob das die Impressionisten waren, oder ob das Leonardo, Michelangelo, Schönberg oder Bruckner waren. Das gehört, würde ich sagen, zu unserer Aufgabe dazu. Wir werden missverstanden und wir ertragen es, das gehört einfach dazu.

noe.ORF.at: Wie ertragen Sie es?

Hermann Nitsch: Wie Sie sehen ganz gut. Jetzt hat sich auch viel geändert.

noe.ORF.at: Haben Sie die Kunst ihres Mannes gleich verstanden?

Rita Nitsch: Ich habe ihn ja so kennengelernt. Ich habe schon gewusst was er macht und es hat mich interessiert. Ich habe von seinem Drei-Tages-Spiel damals gehört und mich intensiver mit ihm beschäftigt. Ich habe damals Psychologie studiert und hatte von daher einen Zugang zu seiner Arbeit und habe schon verstanden was er beabsichtigt und was er macht. Ich habe ihn kennengelernt, weil ich die Spielstätte des Orgien-Mysterien- Theaters besucht habe.

noe.ORF.at: Liebe auf den ersten Blick?

Rita Nitsch: Eigentlich, nein. Das hat sich langsam entwickelt. Ich habe in Berlin gelebt und er hat in Berlin zu tun gehabt – ist mehrmals nach Berlin gekommen, hat mich immer angerufen. Dann sind wir abends essen gegangen. Aber wir waren noch ein Dreivierteljahr per „Sie“ und so hat sich das dann langsam entwickelt (schmunzelt).

noe.ORF.at: Sie sagen, Sie haben seine Kunst gleich verstanden, wie erklären Sie seine Kunst anderen Menschen?

Rita Nitsch: Ich denke er möchte – so wie er es auch immer sagt – die Intensität zeigen, das Leben in seiner Arbeit intensivieren. In seinem Theater, das nur sechs Tage stattfindet, muss natürlich das gesamte Leben stattfinden, das sonst 80 oder 90 Jahre dauert. Und da kommt der Tod, aber da kommt auch das Fest vor und da ist alles enthalten was in einem Leben enthalten ist. Auch die verdrängten Dinge, will er ans Tageslicht bringen.

Hermann Nitsch

APA/Herbert Pfarrhofer

noe.ORF.at: Sie betonen im Film, wie wichtig es ist lebensbejahend zu leben, welche Rolle spielt für Sie der Tod?

Hermann Nitsch: Naja, wenn man das nicht sieht, wie sehr der Tod gerade in meiner Arbeit, in meinen Tragödien eine große Rolle spielt… Weil ein Dramatiker beschäftigt sich mit dem Tod. Alle Dramen, aller Zeiten haben sich mit dem Tod beschäftigt. Das ist eben das Tragische, gerade wenn man das Leben liebt muss man sich auch mit dem Tod auseinandersetzen.

noe.ORF.at: Ist der Tod für Sie etwas endgültiges oder glaubt Hermann Nitsch an ein Leben nach dem Tod?

Hermann Nitsch: Ich will es nicht so auf das persönliche einengen. Ich glaube an ein unaufhörliches Leben, an dem wir alle teilhaben

Sendungshinweis:

„NÖ-heute“, 13.2.2012

noe.ORF.at: Alles im Fluss, auch Leben und Tod?

Hermann Nitsch: Ja, richtig. Sie haben das richtig gesagt.

noe.ORF.at: Wie ist es mit einem Künstler zu leben, der einen so intensiven Anspruch auf die Kunst und auf das Leben hat?

Rita Nitsch: Einfach ist es nicht – und er als Mensch ist auch nicht einfach. Schon seine Arbeit ist nicht einfach und dann wird es schon ein anstrengendes Leben, kann man sagen. Ein intensives Leben. Das schwierigste ist das wir so viel zu tun haben.

noe.ORF.at: Im Film sehen wir ihren Adoptivsohn, mit dem sie viel Kontakt haben. Bereuen sie es keine leiblichen Kinder zu haben?

Hermann Nitsch: Ich habe eigentlich von Anfang an, also als 17-Jähriger, gewusst, dass ich Künstler werde und war auch besessen, nicht nur von der Idee sondern auch von dem Vollzug dessen. Es ist auch ums Überleben gegangen und ich habe es auch so gesehen, dass meine Werke meine Kinder sind. Ich war nicht mit finanziellen Gütern überschüttet, darum habe ich mich entschlossen nicht eine bürgerliche Familie mit Fortpflanzung durchzuführen. Nein, ich habe keine Reue, ich freue mich aber, dass ich in meiner Kunst gut weitergekommen bin.

noe.ORF.at: Gibt es etwas in Ihrem Leben, dass ihnen nicht gelungen ist oder fügt sich jetzt, wo Sie sagen, das die Menschen langsam Ihre Kunst verstehen, alles zusammen?

Hermann Nitsch: Ich weiß nicht, ich habe schon Ehrfurcht und Achtung vor dem wie das Leben sich ereignet. Und sicher hätte ich vieles anders gemacht aber auf die großen Dinge, auf die es ankommt, da hoffe ich es richtig gemacht zu haben. Aber es gibt genug, was ich in lebendigen Details falsch gemacht habe, aber nichts, was ich sagen möchte.

noe.ORF.at: Was möchten Sie mit Ihrem Mann unbedingt noch erleben?

Rita Nitsch: Ich glaube man hat nie alles erlebt, es gibt immer viele Dinge die man noch gerne machen würde. Ich würde gerne ein Jahr lang mit ihm in Asolo (Italien) leben, dort bin ich sehr gerne, dort fühle ich mich wohl und wir sind immer nur ein paar Tage dort und da sind wir immer wie auf der Flucht. Dort wünsche ich mir zumindest zwei Monate am Stück mit ihm zu sein.

noe.ORF.at: Alleine?

Rita Nitsch: Ja, wir sind ja keine Stars wo die Reporter vor der Tür lauern. Aber ohne so viele Besucher und ohne so viele Telefonate, es einfach einmal dort genießen.

noe.ORF.at: Was geben Sie einer Frau?

Hermann Nitsch: Ich denke mein Werk. Mehr kann ich nicht, aber das kann ich.

Das Gespräch führte Ursula Hofmeister, noe.ORF.at.