Giftmorde: Viele Fälle unerkannt?

In Krems muss sich ab 8. April jene Frau vor Gericht verantworten, die zwei Männer mit Arsen getötet haben soll. Dass Gift als Tatwaffe eingesetzt wird, dürfte öfter der Fall sein als gedacht, mit dieser Annahme lässt Kriminalpsychologe Thomas Müller aufhorchen.

Ab Montag steht in Krems jene Frau vor Gericht, die zwei Männer mit Arsen vergiftet haben soll. Der Fall weckt Erinnerungen an die „Schwarze Witwe“ Elfriede Blauensteiner, die wegen dreifachen Mordes rechtskräftig verurteilt wurde sowie den Fall Osberger. Er sitzt lebenslang im Gefängnis, weil er den Spitzer Bürgermeister vergiftet hat. Doch sind diese drei Fälle, die alle am Kremser Landesgericht gelandet sind, eine Ausnahme?

Arsen, Zyankali, Polonium tauchen in der Kriminalgeschichte immer wieder auf, wenn es um Giftmorde geht. Dass Frauen dabei öfter Giftmischerinnen sind als Männer, ist und bleibt ein Mythos, sagt der Kriminalpsychologe Thomas Müller im Gespräch mit noe.ORF.at. Denn Untersuchungen haben gezeigt, dass Frauen und Männer gleichermaßen zu dieser Waffe greifen. Eine Waffe, die einem Täter oder einer Täterin auch nach vielen Jahren zum Verhängnis werden kann. Das Schwermetall Arsen etwa ist jahrhundertelang nachzuweisen. Die Voraussetzung ist allerdings, dass überhaupt ein Verdacht besteht.

Schätzung: 1.000 Tötungsdelikte bleiben unerkannt

„Ich sage ihnen jetzt eine Annahme - das können wir empirisch nicht nachweisen - aber, wir gehen davon aus, dass im deutschsprachigen Raum jedes Jahr etwa 1.000 Tötungsdelikte nicht erkannt werden und die meisten davon werden Giftmorde sein“, sagt Müller. „Die einzige Schlussfolgerung, die wir daraus ziehen können, dass einfach Ärzte bei Totenbeschauen viel genauer hinschauen müssen.“

Im Arsenfall haben Ärzte eine Gewebeprobe entnommen. Nach den Exhumierungen war es Gewissheit: Zwei Pensionisten sind tot, weil ihnen Arsen verabreicht wurde. Ab Montag ist Krems einmal mehr Schauplatz eines Giftprozesses. Die 52-jährige Angeklagte bestreitet bisher alle Vorwürfe, ob sie die Geschworenen von ihrer Unschuld überzeugen kann, wird am 11. April feststehen. Dann soll in Krems das Urteil fallen.

Thomas Müller

ORF

Blauensteiner: „Saubere Hände“ und „reine Geldgier“

Bereits im Februar 1997 mussten die Geschworenen im Landesgericht Krems über einen ähnlichen Fall urteilen. Damals ging es um Elfriede Blauensteiner. „Ich bin unschuldig meine Hände sind sauber“, sagte sie zu Prozessbeginn, doch von dieser Unschuld konnte sie die Geschworenen nicht überzeugen.

Die Fakten sprachen gegen sie. Einstimmig wurde sie beim Prozess in Krems wegen Mordes schuldig gesprochen. Der Senat warf ihr „reine Geldgier“ vor, ihr heimtückisches Handeln habe ihrem Opfer keine Chance gelassen.

„Je näher beim Opfer, desto größer der Zorn“

„Wir kennen in der Kriminalpsychologie den Zusammenhang: Je näher ich an das Opfer bei der Tötungshandlung heranrücke, desto größer ist der Zorn“, so Müller. Er sieht ganz klar einen Unterschied, ob jemand manuell erwürgt oder erdrosselt wird oder ob jemand aus 30 Metern Entfernung mit einer Hochgeschwindigkeitswaffe umgebracht wird. „Gift ist etwas Besonderes“, so der Kriminalpsychologe. „Ich kann auf eine ganz bestimmte perfide Art und Weise das Mittel wie ich jemanden quäle oder unter Umständen umbringe in seinen Körper hineinbringen. Kann mit ihm noch essen, kann mit ihm noch trinken, kann ihn noch anschauen, kann noch lächeln darüber und dann steht der auf und geht und die eigentliche Tötungshandlung passiert auf dem Weg, wo der schon sehr weit weg ist.“

Auf dem Weg nach Krems brach im Februar 2008 der Spitzer Bürgermeister Hannes Hirtzberger zusammen. Zuvor aß er eine Praline. Wie sich später herausstellte, war diese mit Strychnin vergiftet. Seitdem ist er ein Pflegefall. Helmut Osberger wurde dafür ebenfalls in Krems der Prozess gemacht. Wie im Fall Blauensteiner war das Interesse an dem Kriminalfall groß. Auch er wurde einstimmig schuldig gesprochen und auch in diesem Fall sprach der Senat von einem „Attentat, das nicht nur ‚heimtückisch‘ sondern wohlüberlegt“ war.

Müller: „Muss mir schon planende Gedanken machen“

Immer wieder hat der Kriminalpsychologe Thomas Müller in den vergangenen Jahren Täter die zu Gift gegriffen haben untersucht. Dabei auffallend: Die Intellektuellen Fähigkeiten und die zeitliche Vorgabe sich mit dem Thema auseinanderzusetzen. „Das ist ein Unterschied ob der aufkeimende Zorn, die situative Erregung jemanden anführen, dass er in den Hosensack greift, ein Messer, einen Stein, einen Stock, einen Aschenbecher nimmt und sein Gegenüber erschlägt. Aber wenn ich mir Überlegungen anstellen muss, wo krieg ich das Gift her, wie setz ich es ein, wieviel muss ich überhaupt verwenden, wie verberge ich das Ganze, weil ich dem anderen ja nicht sagen kann ‚Bitte ich hab da ein Gift würdest du es bitte schlucken‘, sondern muss es in einen Pudding, in einen Reis, weiß der Kuckuck wohin tun, dann muss ich mir schon ein bisschen planende Gedanken darüber machen, wie ich das Ganze umsetze.“

Anna Wohlmuth, noe.ORF.at