Tabuthema: Gewalt in der Pflege

In der Pflege entstehen durch Überforderung immer wieder Gewaltsituationen - häufig ein Tabuthema in der Öffentlichkeit. Dabei ist nicht immer körperliche Gewalt gemeint, sondern auch verbale Gewalt oder Vernachlässigung.

Es reicht schon eine schnippische Bemerkung oder jemanden alleine zu lassen, der Hilfe braucht, um von „Gewalt“ zu sprechen. Sie beginnt bei Handlungsweisen, gegen die sich der andere nicht wehren kann. In der Pflege geht es darum, die Selbstbestimmung der Pflegebedürftigen zu wahren.

„Genötigt, in die Schutzhose zu machen“

Der 29-jährige Robert Steidl hatte bereits während seiner Ausbildung ein prägendes Erlebnis. „Es wurde jemand genötigt, in die Schutzhose zu machen, obwohl Personal da wäre, um auf die Toilette zu gehen. Aber es wurde einfach gesagt, wir haben keine Zeit.“ Der junge Pfleger war geschockt. Er hatte von solchen Situationen zuvor nur in der Theorie gehört. „Ich habe dann den Kollegen darauf aufmerksam gemacht, dass das nicht in Ordnung ist. Ich finde, die Zeit muss man sich eben einfach nehmen oder anders einteilen.“

Sujet Hand auf Haltebügel

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Egal ob es um körperliche oder andere Formen der Gewalt geht, sie entstehen stets durch Überforderung und Vereinsamung, erklärt Wolfgang Mazal, Experte für Arbeits- und Sozialrecht. „Wenn es keine Möglichkeit gibt, sich mit anderen Menschen auszutauschen, wo die Personen noch dazu mit den Pflegenden in einem enormen Abhängigkeitsverhältnis stehen, wo vielleicht Lebensgeschichten nicht aufgearbeitet wurden, dann sehen manche Menschen als Ausweg nur mehr die Gewaltanwendung.“

Hilfe für Betroffene

Verschiedene Beratungsstellen bieten Hilfe für Betroffene an, z.B.:

Der fehlende Austausch sei auch der Grund, warum Gewalt im häuslichen Bereich häufiger ist, als in Pflegeheimen, denn die pflegenden Angehörigen werden mit ihrer Überforderung oft allein gelassen, so Mazal.

Gespräch als Prävention

In den öffentlichen Einrichtungen kommt vor allem körperliche Gewalt nur sehr selten vor, sagt der Experte. Hier gebe es zahlreiche Möglichkeiten, belastende Situationen zu besprechen und daraus zu lernen - so etwa auch im Landespflegeheim Himberg. „Unsere Mitarbeiter haben die Möglichkeit, sich in Gruppen, in kleinen Teams auszutauschen, mit den Führungskräften, wir haben Interventionsgespräche - sogenannte Mittagsrunden - bei denen wir Fallbesprechungen machen“, erklärt Barbara Koralka, Leiterin des Pflegediensts in Himberg. „Wir laden auch Bewohner und Angehörige zu Gesprächen ein, um einen gemeinsamen Weg zu finden.“

Sujet Pflegebedürftige wird getröstet

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Das Pflegepersonal wird auch darauf geschult, mit Gewalt umzugehen, die von den Bewohnern ausgeht. „Das ist auch ein oft zu gering gesehenes Thema, dass sich vor allem ältere Menschen und Menschen, die sich ihrer Hinfälligkeit bewusst sind, ebenfalls in einer ausweglosen Situation befinden“, erklärt Mazal, „und dann ihrerseits aggressiv werden.“

Mit etwas Einfühlungsvermögen können viele Situationen abgefangen werden, bevor sie eskalieren. Denn oft geht es nur um Kleinigkeiten. „Zum Beispiel, wenn man einen Bewohner beim Anziehen unterstützt und man merkt, er wehrt sich“, schildert Diplomkrankenschwester Silke Stohl, „dann braucht man ihn nur einmal fragen: Wollen Sie das Unterhemd nicht, haben Sie das nie getragen?“ Egal wie groß oder klein die Probleme sind - die beste Prävention, bevor eine Situation eskaliert, ist jedenfalls: Verständnis und Zuhören.

Birgit Zrost, noe.ORF.at

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