Helmenstein sieht nach „Brexit“ sogar „Chancen“

Großbritannien ist für Niederösterreich ein wichtiger Markt, 2014 wurden Waren im Wert von 534 Millionen Euro exportiert. Christian Helmenstein von der Industriellenvereinigung spricht nach dem „Brexit“ sogar von „neuen Chancen“.

noe.orf.at: Großbritannien wird die EU verlassen. Christian Helmenstein ist Chefökonom der Industriellenvereinigung, Sie befassen sich auch immer wieder mit Fragen der regionalen Wirtschaft. In Niederösterreich geht es um Exporte von mehr als einer halben Milliarde pro Jahr. Was bedeutet der „Brexit“ für die Wirtschaft in Niederösterreich?

Christian Helmenstein: Großbritannien ist eine realtiv wichtige Exportdestination für die österreichische Wirtschaft, da steht sie auf Rang acht. Für Niederösterreich ist sie nicht ganz so wichtig, da kommen wir auf Rang elf. Aber natürlich ist Großbritannien noch immer wichtig genug, dass es negative Rückwirkungen auf die niederösterreichische Wirtschaft haben kann, vor allem auf die Industrie.

Christian Helmenstein und Robert Ziegler

ORF

Christian Helmenstein (l.) im Gespräch mit Robert Ziegler

noe.ORF.at: Großbritannien war auch deshalb Hauptziel für die Niederösterreichische Exportoffensive, weil man gesagt hat, rund um London tut sich so viel, da gibt es eine Chance für die niederösterreichische Wirtschaft. Ist das jetzt ein herber Rückschlag?

Helmenstein: Das war absolut sinnvoll, Großbritannien verstärkt ins Visier zu nehmen, weil da noch ein hohes Potenzial zu holen war, und weil Großbritannien auch in den letzten Jahren überdurchschnittlich hohe Wachstumsraten aufgewiesen hat.

Außerdem bestand ja die Intention darin, niederösterreichischen Exporteuren die Möglichkeit zu eröffnen, im angelsächsischen Raum Erfahrung zu sammeln, und von dort auch direkt in die USA zu exportieren. Nun müssen wir bei geänderten Umfeldbedingungen möglicherweise diese Strategie noch einmal überdenken, ob wir sie nicht akzentuieren müssen und niederösterreichische Unternehmen stärker ermutigen, auch nach Irland oder auch direkt in die USA zu gehen.

noe.orf.at: Ist es jetzt so gravierend, dass es nun viel schwieriger geworden ist, mit Großbritannien Geschäfte zu machen, oder dominiert jetzt vielleicht auch einmal die Stimmung und die Furcht? Es ist ja nicht ausgeschlossen, weiter mit britschen Unternehmen geschäfte zu machen.

Helmenstein: Das hängt ganz davon ab, wie die „Scheidungsverhandlungen“ mit Großbritannien ablaufen werden. Eines ist heute schon klar: Es wird nicht sehr rasch passieren, es wird Jahre in Anspruch nehmen. So lange bestehen natürlich noch Chancen auf dem britischen Markt. Allerdings, diese Chancen sind geringer geworden.

Christian Helmenstein von der Industriellenvereinigung

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Christian Helmenstein über den „Brexit“: „Ich glaube, wir sollten aus der Herausforderung eine Tugend machen“

noe.orf.at: Was bedeutet die Abwertung des Pfunds für den Tourismus? Werden für die Briten Österreich und Niederösterreich als Tourismusziel unattraktiver?

Helmenstein: Da gibt es einen interessanten Aspekt, denn heute hat auch der Euro abgewertet, nicht nur das britische Pfund. Das bedeutet, wir sind relativ - im Vergleich zu Zielen in der Schweiz oder in den USA - günstiger geworden. Das heißt, wenn sich die britischen Toruisten nun fragen, wo möchten sie in Zukunft hinfahren, dann stellen sie fest, dass die USA besonders teurer geworden sind, und Österreich nur etwas teurer geworden ist. Am Ende des Tages könnte es also paradoxerweise sogar so sein, dass wir überhaupt keine negativen Bremsspuren aus dem heutigen Ereignis im niederösterreichischen Torusimus finden werden.

noe.orf.at: Zu Beginn des Jahres wurde von einem Wirtschaftswachstum von 1,9 Prozent ausgegangen. Ist dieses Ziel jetzt in Gefahr?

Helmenstein: Nein. Niederösterreich wird sich in diesem Jahr dynamisch entwickeln. Der Exportanteil Großbritanniens ist einfach zu klein, als dass wir in diesem Jahr nennenswerte Bremsspuren aus diesem Ereignis erwarten müssten. Da ist viel gravierender, wie sich beispielsweise der Wechselkurs entwickelt. Die Euroabwertung hat eher dazu geführt, dass unsere Exportchancen in den gesamten Rest der Welt in den letzten Stunden zugenommen haben.

noe.orf.at: Kann man aus der jetzigen Situation einen Nutzen ziehen?

Helmenstein: Ja, ich würde da schon eine Möglichkeit sehen. Die österreichische Ostregion, die Metropolregion Wien mit Niederösterreich rund um die Bundeshauptstadt, hat in den letzten Jahren sehr davon profitiert, dass wir im Vergleich zu anderen Standorten ein sicherer und relativ attraktiver Standort für britische investoren waren.

Ich glaube, wir sollten aus der Herausforderung eine Tugend machen. Wir sollten auf der britischen Insel noch stärker für die Ansiedelung britischer, aber auch internationaler Unternehmen in Niederösterreich werben. Dann könnten wir möglicherweise die Bremsspuren überkompensieren und am Ende sogar noch einen gewissen Wachstumsimpuls für Niederösterreich lukrieren.

Das Gespräch mit Christian Helmenstein führte Robert Ziegler, noe.ORF.at

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