Pulker: „Vereinskantinen sind ausgeartet“

Vereine machen mit ihren Kantinen und Festen ein Drittel der Umsätze, die kleine Wirtshäuser erwirtschaften. „Das Problem ist, dass es im Ort nicht nur eine Kantine gibt“, sagt Mario Pulker von der Fachgruppe Gastronomie.

Die gewerbliche Kleingastronomie - das sind Wirtshäuser mit bis zu neun Beschäftigen - erwirtschaftet einer Studie zufolge, die in fünf Bundesländern durchgeführt wurde, 1,8 Milliarden Euro Umsatz. Vereine mit ihren Festen und Kantinen müssen ihre Umsätze zwar nicht offen legen, kommen aber auf Basis zweier unterschiedlicher Umfragevarianten auf 300 bis 900 Millionen Euro.

„Das Problem ist, dass es im Ort nicht nur eine Kantine gibt, sondern oft mehrere“, sagt Mario Pulker, Obmann der Fachgruppe Gastronomie in der Wirtschaftskammer. Die Politik habe es verabsäumt auf diese Entwicklung zu reagieren. „Man muss sich anschauen, wie viele öffentliche Gelder in die Hand genommen worden sind, um die Vereinshäuser mit den Kantinen zu bauen“, sagt Pulker im Interview mit noe.ORF.at.

noe.ORF.at: Inwiefern bekommen kleine Wirtshäuser die Konkurrenz durch Vereinskantinen zu spüren?

Pulker: Dieses Problem mit den Kantinen ist in ganz Niederösterreich weit verbreitet, unsere Gastronomiebetriebe leiden darunter. Auf der einen Seite muss man sagen, dass die Vereinsmitglieder auch Gäste des ortsansässigen Gastwirtes sind, auf der anderen Seite auch sehr viel Zeit in den eigenen Kantinen verbringen und dem Gastwirt dadurch die Einnahmequelle wegfällt. Ich glaube, dass es auch dahingehend ein Problem ist, dass die Vereine nicht mehr zusammenkommen: Der Tennisverein sitzt für sich, der Fußballverein sitzt für sich, auch die Eisschützen und der Musikverein. Die ureigenste Aufgabe des Wirtes ist es eigentlich, der Treffpunkt in der Gemeinde zu sein. Das bricht durch die Kantinen weg.

noe.ORF.at: Eine Studie der Kepler-Universität zeigt, dass Vereine mit ihren Festen und Kantinen etwa ein Drittel des Umsatzes der Kleingastronomie erwirtschaften. Welche Auswirkung hat das aus Ihrer Sicht auf die Gastronomie?

Pulker: Das ist natürlich ein großer Brocken. Sie können sich vorstellen, dass den Betrieben in der heutigen Zeit jeder Euro fehlt. Wenn man das objektiv betrachtet, kann man sagen, wenn der letzte Wirt im Ort stirbt, stirbt auch die Gemeinde, weil dann auch der Zusammenhalt stirbt. Wir haben das bereits in sehr vielen Gemeinden, nicht nur in Niederösterreich, wo es keinen Gastwirten mehr gibt. Dann merken die Leute erst, was es bedeutet, wenn der Wirt vor Ort geschlossen hat.

noe.ORF.at: Ist das eine hausgemachte Entwicklung oder hätte man dieses Problem verhindern können?

Pulker: Natürlich hätte man das verhindern können. Man muss sich nur anschauen, wie viele Gelder und Steuergelder investiert worden sind, wenn Vereinshäuser gebaut wurden. Da steckt ja nicht nur das erwirtschaftete Geld der Vereine drinnen. Man muss sich fragen, wo die das Geld erwirtschaftet haben - natürlich mit Festen. Wir haben immer gesagt, ein ganz klares Bekenntnis zu den Blaulichtorganisationen: Feuerwehr und Rotes Kreuz etwa sind immens wichtig für die Gesellschaft, so wie viele andere Vereine für die Allgemeinheit und die Gesellschaft wichtig sind. Aber ich glaube, auch das Unternehmertum und der Gastwirt haben das Recht, sich zu dieser Gemeinschaft zu zählen.

Das Problem ist einfach ausgeartet. In vielen Ortschaften gibt es nicht nur eine Vereinskantine, sondern sehr viele Vereine haben ihre eigene Kantine. Das gräbt alles das Wasser der Gastronomen ab. Das Problem haben wir jetzt, dass sehr viele vor dem Zusperren stehen, sehr viele haben bereits geschlossen, viele werden in den nächsten Jahren zusperren. Dann wird es ein böses Erwachen geben, weil die Wirtshäuser in den Gemeinden nicht mehr vorhanden sind.

Mario Pulker Wirtschaftskammer Gastronomie

ORF

Mario Pulker, Obmann der Fachgruppe Gastronomie: „Dem Gastwirt fällt durch Vereinskantinen die Einnahmequelle weg“

noe.ORF.at: Gibt es noch eine Möglichkeit für den Gesetzgeber, bezüglich der Kantinen „nachzujustieren“?

Pulker: Ich glaube, dass dieser Zug abgefahren ist. Alles was einmal hier ist, kann man nicht mehr bereinigen. Man hat bei der Steuerreform und den darauffolgenden Verhandlungen im Zuge des Wirtepaketes gesehen, wie der Gesetzgeber agiert hat. Wir haben ganz klare Forderungen gestellt: Wir wollten ein zentrales Register, wo Vereine eintragen müssen, wann sie eine Veranstaltung machen, wie viel Geld sie erwirtschaften und vor allem was sie mit dem Gewinn machen. Nicht einmal das wollte man machen. Folgedessen hat die öffentliche Hand keine Möglichkeit, diese Summen zu erfahren, und vor allem den Missbrauch zu erfahren, denn den gibt es.

noe.ORF.at: Stichwort Registrierkassa. Wäre das nicht eine Möglichkeit, nachträglich einzugreifen?

Pulker: Das war natürlich für uns einer der wichtigsten Punkte, dass man sagt: Gleiches Recht für alle. Jeder, der dieselbe Tätigkeit hat, muss mit denselben Mitteln und Maßstäben gemessen werden. Auch das hat die Politik verabsäumt. Es war am Anfang so vorgesehen, durch die großen Proteste ist dieses Gesetz gefallen. Man hat der Wirtschaft dadurch einen großen Schaden zugefügt.

Wir reden hier von hochgerechnet 900 Millionen Euro. Wenn man einen Mischsatz von zwölf Prozent hernimmt, kann man sich ausrechnen, wie viele Millionen das für den Steuersockel wären. Wir reden von 150 Millionen Euro, was zusätzlich an Steuereinnahmen für den Finanzminister reinkommen könnten. Ich glaube, dass das für das Gemeinwohl durchaus verträglich gewesen wäre. Vor allem hätte man der Realwirtschaft gezeigt, dass man hinter ihr steht und die Sorgen der Betriebe wahrnimmt.

noe.ORF.at: Vereinskantinen, Vereinsfeste - Ist das das Ende der traditionellen Gastwirtschaft am Land?

Pulker: Die Politik hört das oft nicht gerne und will hier die Augen verschließen, aber das ist eine Tatsache. Die Universität Linz hat das erhoben, es sind mehrere Studien dazu gemacht worden, auch Studien, die nicht von uns (der Wirtschaftskammer; Anm.) beauftragt wurden. Alle sagen, dass diese Auswüchse im Vereinskantinensektor und bei den Festen massiv zum Wirtesterben beitragen und neben der Bürokratie die Hauptpunkte sind, warum unsere Betriebe zusperren.

Das Gespräch führte Thomas Koppensteiner, noe.ORF.at

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