Vermessung des Reiches vor 200 Jahren

Kaiser Franz der Erste ließ vor 200 Jahren sein Reich exakt vermessen, um Steuerungerechtigkeiten zu beheben. Es entstand der Franziszeische Kataster. Teile davon werden in der Niederösterreichischen Landesbibiliothek ausgestellt.

Eigentlich wollte Österreichs Kaiser Franz I. bereits 1806 mit der Vermessung seines Reiches beginnen, doch die Napoleonischen Kriege und der darauffolgende Wiener Kongress hatten dieses immense Vorhaben verhindert.

Allein in Niederösterreich, zu dem damals Wien gehörte, galt es 1.000 Gemeinden voneinander „abzugrenzen“ und danach erst die einzelnen Grundstücke in den Orten zu vermessen. Drei Millionen Flecken Erde galt es im „Land unter der Enns“, dem heutigen Niederösterreich, zu bestimmen.

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Die Stadt Krems 1818, mit Seitenarm der Donau aber noch ohne Bahn

„Vermessenes“ Vorhaben

„Zuerst wurde die Gemeindegrenze festgelegt. Man hat dazu nicht nur Vermessungsbeamte ausgeschickt, sondern auch erfahrene Dorfbewohner aus den aneinander grenzenden Orten zusammengeholt. Bestehende Grenzsteine wurden abgegangen und neue Grenzpunkte gesetzt. Begleitend wurde auch ein Protokoll der Begehung festgeschrieben. Das hat bis auf wenige Grenzstreitigkeiten sehr gut funktioniert“, erklärt Elisabeth Loinig, die Ausstellungskuratorin vom Landesarchiv in St. Pölten. Es war also einerseits rein technisch ein beinahe „vermessenes“ Unternehmen, andererseits auch gesellschaftspolitisch von hoher Brisanz.

Daten zum Kataster

Zwischen 1817 und 1861 wurden 300.000 Quadratkilometer und mehr als 50 Millionen Grundstücke vermessen und ihre Grenzen auf Plänen festgehalten. Es entstand der erste umfassende moderne Liegenschaftskataster.

Unter Kaiserin Maria Theresia war adeliger und bäuerlicher Besitz unterschiedlich besteuert. Kaiser Joseph II. hatte erstmals 1785 versucht, eine allgemeine und gleiche Besteuerung von Grund und Boden einzuführen. Er scheiterte vor allem am Widerstand des Adels.

Erst mit dem Franziszeischen Kataster unter Franz I. wurden die Grundlagen für ein gerechteres Grundsteuersystem geschaffen. Das Grundsteuerpatent wurde im Dezember 1817 angeordnet, die Vermessungen dauerten vier Jahrzehnte. Der Vorteil für den Kaiser war, dass er wusste, wie viel Einnahmen er aus der Grundsteuer zur Verfügung haben wird. Der Landwirt wusste, dass er gleich behandelt wird wie der Nachbar.

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Die Gesamtkarte am Ende der Vermessung des Reiches mit Wien als Mittelpunkt

Südturm des Stephansdomes als Mittelpunkt

Als Mittelpunkt des Kartensystems wurde der Südturm des Stephansdoms gewählt. Von dort aus wurden Planquadrate ausgelegt. Der erste Ort, der nach den neuesten Methoden der Wissenschaft 1817 vermessen wurde, war Perchtoldsdorf. Für die Landvermesser genügte eine Gerade und ein Punkt oder eine Gerade und ein Winkel, um mithilfe mathematischer Formeln und Gesetze, wie dem Pythagoräischen Lehrsatz, die restlichen Strecken zu bestimmen. So konnten exakte Flächeninhalte, die zur Berechnung des Stuersatzes dienten, ermittelt werden.

Die entstandenen „Urmappen“ liegen heute im Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen in Wien. Die Kronländer erhielten Kopien im damals neuartigen Lithografie-Verfahren. Die Katastralmappen von Niederösterreich liegen im Tiefspeicher des Landesarchivs in St. Pölten. Sie sind heute vollständig digitalisiert und können online eingesehen werden.

Eine Karte misst in etwa 60 x 50 Zentimeter. Die rund 12.000 Blätter, die Niederösterreich ergeben, würden zusammenpassen und aneinander gelegt eine Fläche von 3.000 Quadratmeter ergeben.

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„Urmappen“-Bild des Marktes Lassee

Pionierleistung und Quelle für weitere Forschungen

Als herausragendes Objekt gibt es den einzigen originalen Messtisch dieser Vermessung Österreichs zu sehen, der vom Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen als Leihgabe zur Verfügung gestellt wird.

Das Karten- sowie auch das historische Steuermaterial und die Protokolle stammen aus einer Zeit vor der industriellen Revolution. Es sind also noch keine Eisenbahnstrecken erfasst, keine Fabriken oder Industriegebiete eingezeichnet. Die Karten stellen somit heute eine unschätzbare Quelle für die Agrar-, Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des Landes vor der Industrialisierung dar.

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Historischer Messtisch aus dem Amt für Eich- und Vermessungswesen

Künstlerische Reflexionen mit grafischen Arbeiten

Die Ausstellung dokumentiert diese Pionierleistung mit Originalkarten und gliedert sich in die Themenbereiche „Vermessung“, „Grenzen“ und „Gerechtigkeit“. Verantwortlich zeichnen dafür die Kuratorin Elisabeth Lonig und die Künstlerin und Ausstellungsgestalterin Renate Stockreiter.

Marcus Hufnagl und Stockreiter ergänzen und kommentieren die Ausstellung als Künstler mit ihren Reflexionen. Sie greifen in Texten und Druckgrafiken, die auch erworben werden können, die „Schönheit, die Struktur und die genaue Arbeit der Kartenblätter auf“, sagt Stockreiter zu den Arbeiten. Sie sind auch für den Besucher als Inspiration für eine moderne Auseinandersetzung mit den im Archiv verwahrten Zeugnissen der Vergangenheit gedacht.

Hannes Steindl, noe.ORF.at

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