Die Geschichte St. Pöltens in einem Zirkuszelt

Die neue Bürgertheater-Produktion des Landestheaters Niederösterreich setzt sich mit der Geschichte St. Pöltens auseinander. Das Stück „Wo bist du hin entwichen?“ von Alfred Komarek wurde in einem Zirkuszelt uraufgeführt.

Die Suche nach verborgenen und verschwundenen, aber auch nach verleugneten Orten in St. Pölten steht im Mittelpunkt der fünften Bürgertheater-Produktion des Landestheaters Niederösterreich. Gesucht wurden auch Orte, an die man sich nicht gerne erinnert oder die so traurig sind, dass man sie lieber gleich vergisst, sagt Alfred Komarek, der Autor des Stücks „Wo bist du hin entwichen“.

Ein Stück aus Erinnerungen und Erfahrungen

Gemeinsam mit mehr als 50 Bürgerinnen und Bürgern im Alter zwischen fünf und 82 Jahren wurden Erinnerungen und Erfahrungen gesammelt. Der bekannte Schriftsteller schrieb daraus, ergänzt durch historische Fakten, eine Geschichte voller Unterhaltung und Melancholie. Nehle Dick, die Regisseurin und Leiterin des Bürgertheaters, fasste die Sammlung von Geschichten zu einem Theaterabend zusammengefasst.

Doris Kraushofer, Christine Nusterer

Alexi Pelekanos

Die Laienschauspielerinnen Doris Kraushofer (l.) und Christine Nusterer

Das Stück erinnert in 100 Minuten an längst geschlossene Lichtspielhäuser, Tanzschulen, Cafés und Betriebe, an Menschen und ihre bisweilen bitteren Schicksale, an Kuriositäten und Besonderheiten wie das ehemalige bischöfliche Taubstummeninstitut, an Moden und Lebensgefühle. Behandelt wird der Zeitraum vom 19. Jahrhundert bis in die Zeit nach Ende des Zweiten Weltkriegs.

Als Spielort dient ein Zirkuszelt

Aufgeführt wird das Bürgertheater in heuer in einem Zirkuszelt, das am Areal des NID-Projekts „Leben am Fluss“ steht. Durch die Nähe zwischen Manege und Zuschauerraum entsteht eine enge Verbindung zwischen den Laienschauspielern und dem Publikum. „Dass es ein Zelt sein soll, war meine Idee, da es ein flüchtiger Ort ist. Nach unserer letzten Vorstellung ist auch dieser Ort verschwunden“, erklärt Nehle Dick die inhaltliche Beziehung des Stücks zu dem Spielort. Auch Alfred Komarek ist von der Wahl, ein Zirkuszelt als Setting zu wählen, begeistert. In einem Zirkuszelt habe alles Platz, jede Traurigkeit, jede Lächerlichkeit, jeder Kitsch und jede Kunst, wie er im Gespräch mit noe.ORF.at sagt.

Alfred Komarek

ORF

Autor Alfred Komarek, bekannt druch seine Polt-Romane

noe.ORF.at: Herr Komarek, was darf sich das Publikum vom neuen Bürgertheater „Wo bist du hin entwichen?“ erwarten?

Alfred Komarek: Ein Spektakel, so wie es sich im Zirkus und in der Manege gehört. Es bleibt kein Auge trocken. Es wird auch etwas zum Lachen geben, aber es wird auch sehr traurig werden.

noe.ORF.at: Worum geht es in dem Stück inhaltlich?

Komarek: Das Thema sind verschwundene, verleugnete und vergessene Orte, also solche, die nicht mehr da sind oder an die man sich nicht gar so gern erinnert oder die so traurig sind, dass man sie lieber gleich vergisst. Wir haben versucht, das in eine zeitliche, dramaturgisch-wirksame Anordnung zu bringen und das Ganze mit Showelementen zu verbinden.

noe.ORF.at: Warum macht man sich auf die Suche nach diesen verschwundenen Orten?

Komarek: Weil ich der festen Überzeugung bin, dass das eigentlich die wichtigeren Orte sind. Wir haben sehr leise Töne und Schweigen im Stück. Es verschwinden sogar Stimmen. Wir haben deshalb Gehörlose, die mitspielen. Eine der Aussagen, die mir wichtig war, ist, jeder Ort - und sei er noch so verschwunden - hat eine lebendige Rolle in der Gegenwart und in der Zukunft. Gerade die Leisen und die, die nicht viel reden oder gar keine Stimme haben, die haben oft das Meiste und das Wichtigste zu sagen.

noe.ORF.at: Haben Sie während der Recherche und der Schreibphase neue Orte in St. Pölten entdeckt?

Komarek: Durchaus, speziell durch die Bürgerinnen und Bürger, die teilweise sehr weitreichende Erinnerungen haben. Sie haben gut ein Viertel des Inhalts eingebracht. Das war für mich eine sehr spannende Erfahrung. Ich bin ja ohnedies ein zweibeiniges Trüffelschwein, das immer auf der Suche nach gut genießbaren Schätzen ist.

noe.ORF.at: Haben Sie Wünsche an die Aufführungen?

Komarek: Ich wünsche mir eigentlich, dass das Publikum nach der Vorstellung sagt, so habe ich St. Pölten noch gar nicht gesehen. Jetzt kenne ich die Stadt um ein Stück besser.

Das Gespräch mit Alfred Komarek führte Julia Ernstorfer, noe.ORF.at

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