Marie Rötzer: „Programm sehr erfolgreich“

Am 17. Juni geht die Saison des Landestheaters zu Ende, die erste unter der Künstlerischen Leiterin Marie Rötzer. Bis dahin gibt es noch ein Gastspiel des Thalia Theaters und ein Stücke-Fest. Im Gespräch mit noe.ORF.at zieht Rötzer Bilanz.

noe.ORF.at: Frau Rötzer, wie war für Sie als Künstlerische Leiterin die erste Saison am Landestheater Niederösterreich?

Marie Rötzer: Sehr aufregend! Vor allem deshalb, weil man ja nicht genau weiß, ob der Plan aufgeht. Es ist eine große Herausforderung, einen Theaterspielplan für ein möglichst breites Publikum zu programmieren. Wir haben uns vorgenommen, ein „Theater für alle“ zu sein. Das Ergebnis war ein Spielplan, der den Bogen von Dramatisierungen, eigens entwickelten Theaterprojekten sowie Komödien und Klassikern schlägt.

Unter unserer Überschrift „Die Welt ist groß“ haben wir thematische Fäden zu den unterschiedlichen Geschichten und Stücken geknüpft, von Grillparzer und Trojanow bis zu Josef Winkler und dem jungen Michel Decar. Jetzt, fast am Ende der ersten Spielzeit, freut es mich, dass unser Programm sehr erfolgreich angenommen wurde. Publikum und Presse haben uns neugierig, offen und sehr begeistert empfangen.

noe.ORF.at: Sie wechselten von der Millionenstadt Hamburg in die 50.000-Einwohner-Stadt St. Pölten. Welche Eindrücke hatten Sie dabei als Theatermacherin?

Rötzer: Es ist erstaunlich, aber für die inhaltliche Theaterarbeit gibt es eigentlich kaum einen Unterschied, ob man in einer großen oder kleineren Stadt einen Spielplan entwickelt. Das liegt daran, dass heutzutage Lebensstil und -haltung der Menschen, selbst wenn sie weitab von Großstädten leben, durch Internet und Mobilität nicht mehr so unterschiedlich sind. Der einzige Unterschied zwischen Großstadttheater und den kleineren Theatern in den Regionen ist die finanzielle Ausstattung. Was sich größere Theater mit höheren Budgets leisten können, müssen wir durch mehr Kreativität schaffen.

Marie Rötzer Künstlerische Leiterin Landestheater Niederösterreich

Gerald Lechner

Marie Rötzer über ihre erste Saison am Landestheater: „Publikum und Presse haben uns neugierig, offen und sehr begeistert empfangen“

noe.ORF.at: Konnten Sie in Ihrer ersten Saison all das umsetzen, was Sie sich vorgenommen hatten?

Rötzer: Wir konnten tatsächlich alle unsere Vorhaben verwirklichen, abgesehen von „Warten auf Godot“. Das Gastspiel des Thalia Theaters mussten wir aus Krankheitgründen absagen, stattdessen kommt aber am 8. und 9. Juni wieder eine Inszenierung von Luk Perceval. Seine Dramatisierung von „Wer einmal aus dem Blechnapf frisst“ von Hans Fallada gehört zu den erfolgreichsten Produktionen des Thalia Theaters der letzten Jahre.

noe.ORF.at: Worüber haben Sie sich in den letzten Monaten am meisten gefreut?

Rötzer: Für mich ist das Ensemble das Herz eines Theaters, die Schauspieler sind die Identifikationsfiguren für ihre Zuschauer, ihre Darstellung muss überzeugen. Da wir viele neue SchauspielerInnen engagiert haben, hat es mich sehr gefreut, dass es nach kurzer Zeit eine gemeinsame Energie und Spiellust auf der Bühne gab. Toll ist es, wenn sich diese Energie dann auf die Zuschauer überträgt, wie zum Beispiel bei Grillparzers „Goldenen Vlies“ oder auch bei Shakespeares „Wie es euch gefällt“.

noe.ORF.at: In welchen Bereichen möchten bzw. müssen Sie noch nachjustieren?

Rötzer: Ich würde gerne noch mehr partizipative Projekte anbieten. Das sind Theaterprojekte im weitesten Sinne, die die Menschen in St. Pölten und in Niederösterreich noch enger mit Theater in Kontakt bringt, wie zum Beispiel das bereits bestehende Bürgertheater oder das „Theaterlabor für alle“. Wir planen im Rahmen des neuen Formats „Zukunftsbüro“ gemeinsam mit SchauspielerInnen und BürgerInnen auf künstlerische Weise über die Frage „Wie wollen wir in Zukunft leben“ nachzudenken.

Landestheater Die Welt ist groß

Alexi Pelekanos

Ilja Trojanows „Die Welt ist groß und Hoffnung lauert überall“ war die erste Premiere in der Spielzeit 2016/17

noe.ORF.at: Welchen Stellenwert hat Ihrer Ansicht nach das Landestheater Niederösterreich in der Landeshauptstadt und im Bundesland?

Rötzer: Das Landestheater gehört zu den wesentlichen kulturellen Säulen in Stadt und Land. Durch die Positionierung als reines Sprechtheater mit einem eigenen, starken Ensemble und renommierten Gästen, Eigenproduktionen und Gastspielen aus dem internationalen Raum hat sich das Landestheater Niederösterreich auch einen sehr guten überregionalen Ruf erarbeitet.

noe.ORF.at: Viele Besucherinnen und Besucher kommen aus Wien. Mit welchem Theater in der Bundeshauptstadt würden Sie das Landestheater am ehesten vergleichen? Ihr Haus ist doch auch schon längst Konkurrenz zu Wiener Theatern geworden.

Rötzer: Wir sind natürlich schon durch unsere sehr nahe Lage zu Wien eine Konkurrenz zu den Wiener Bühnen. So kommt es immer wieder auch zu wechselseitigem Abwerben von RegisseurInnen und SchauspielerInnen. In den letzten Jahren wurde aber ein ganz eigenes Profil mit regelmäßigen künstlerischen Höhepunkten geschaffen, das viele ZuschauerInnen nach St. Pölten lockt.

Das sind einerseits internationale Gastspiele, andererseits aber auch ein viele renommierte RegisseurInnen mit internationalen biografischen Wurzeln, wie Alia Luque, eine spanische Regisseurin, die auch am Burgtheater arbeitet oder der türkischstämmige Regisseur Haken Savas Mican, der vom Berliner Maxim Gorki Theater kommt. Gleichzeitig arbeiten aber auch viele berühmte österreichische Künstler und Künstlerinnen am Landestheater. In der kommenden Spielzeit wird zum Beispiel die durch „Tatort“ oder „Vorstadtweiber“ bekannte Film- und Fernsehregisseurin Sabine Derflinger Nestroys „Der Zerrissene“ inszenieren - und damit zum ersten Mal am Theater arbeiten.

noe.ORF.at: Die Bedeutung des Landestheaters sieht man auch bei Premieren – wegen der Anwesenheit zahlreicher Kritiker und der Berichterstattung in überregionalen Medien.

Rötzer: Ich bin sehr glücklich über die Präsenz der Medien, die dafür sorgen, dass das Landestheater Niederösterreich nach außen strahlt. Es ist für uns sehr wichtig, dass das Theater in der öffentlichen Wahrnehmung aufscheint und es dann zu einem gesellschaftlichen Diskurs über die Stücke und Inszenierungen kommen kann. Wir verstehen uns als politisches Medium, das der permanenten Auseinandersetzung, dem Dialog und dem Austausch bedarf.

Besonders mit Stücken und Projekten, die sich außerhalb eines konsensuellen Theatergeschmacks verstehen, wie das Theaterprojekt von Árpád Schilling. Schilling ist ein ungarischer Theatermacher, der sehr gesellschaftspolitisch arbeitet. Oder „Mother Song“, ein neues Theaterstück des irakischen Regisseurs Mokhallad Rasem, das als Koproduktion zwischen den Vereinigten Bühnen Bozen, dem Toneelhuis Antwerpen und dem Landestheater Niederösterreich geplant ist. Das sind außergewöhnliche Produktionen, die uns auch im internationalen Raum bekannt machen.

Marie Rötzer

Alexi Pelekanos

„Das Landestheater gehört zu den wesentlichen kulturellen Säulen in Stadt und Land, es hat sich auch einen sehr guten überregionalen Ruf erarbeitet“

noe.ORF.at: Vor kurzem haben Sie das Programm der Saison 2017/18 präsentiert. Nur in Grundzügen: Was wird kommen?

Rötzer: Der Spielplan der kommenden Saison ist zweigleisig aufgebaut. Einerseits gibt es große Stücke und große Dramatiker, von Büchners „Dantons Tod“ über Shakespeares „Romeo und Julia“ zu Nestroys „Der Zerrissene“ und Gogols „Der Revisor“ im Großen Haus, Kleists „Die Marquise von O.“ und Joseph Roths „Die Flucht ohne Ende“ gibt es in der Theaterwerkstatt, andererseits sind internationale Theatermacher mit großen politischen Themen am Start sowie Gegenwartsstücke.

noe.ORF.at: Wichtig sind Ihnen auch Uraufführungen. Was steht in der kommenden Saison auf dem Spielplan?

Rötzer: Die Kunstform Theater muss sich immer weiter entwickeln und darf nicht museal erstarren. Deshalb ist es uns am Landestheater sehr wichtig, junge Autoren zu fördern bzw. neue Stücke, Stoffe und Projekte auf die Bühne zu bringen und uns mit aktuellen Themen zu beschäftigen. Dazu gehört zum Beispiel das Gewinnerstück des Peter-Turrini-DramatikerInnenwettbewerbs. Am 17. Juni um 19.00 Uhr findet am Landestheater ein Stücke-Fest statt. Jeweils vier Stücke werden von vier unterschiedlichen RegisseurInnen in szenischen Lesungen präsentiert. Am Ende bestimmt eine Fachjury sowie eine Publikumsstimme das Gewinnerstück. Dieses Stück wird im März 2018 abendfüllend uraufgeführt.

noe.ORF.at: Große Resonanz findet auch immer das Angebot für Kinder und Jugendliche. Was ist zu erwarten?

Rötzer: Für die kleinsten ZuschauerInnen gibt es ab September „Die Geggis“ von Mira Lobe, ab November kommt für unser Publikum ab sechs Jahren „Die kleine Hexe“ auf die Bühne. Im Klassenzimmer zeigen wir unter dem Titel „Times are changing“ das Leben von Bob Dylan, dem berühmten amerikanischen Singer-Songwriter, wir nehmen aber auch Kafkas „Die Verwandlung“ wieder auf. Für Jugendliche ab zwölf Jahren bringen wir Andreas Steinhöfels hochgelobten Jugendroman „Anders“ als Theaterstück auf unsere Gastspielstätte „Bühne im Hof“.

noe.ORF.at: Sind Sie mit der Auslastung und der Abonnentenzahl zufrieden?

Rötzer: Die anhaltende Auslastung von 90 Prozent und die gleichbleibend hohe Anzahl von Abonnenten und Abonnentinnen ist sehr erfreulich. Wir hoffen, dass unser Publikum uns weiterhin die Treue hält und sich auch in der kommenden Spielzeit für unser Programm begeistert.

Nathan der Weise Schauspielhaus Zürich

Tanja Dorendorf

„Dem Menschen ist ein Mensch noch immer lieber als ein Engel“: Mit Lessings „Nathan der Weise“ gastierte das Schauspielhaus Zürich in St. Pölten

noe.ORF.at: Was ist geplant, um neues Publikum anzusprechen? Aktionen? Gastspiele?

Rötzer: Seit letztem Herbst haben wir mit einer Vorstellungstour durch Niederösterreich begonnen. Unter dem Format „Landestheater unterwegs“ besuchen wir verschiedenste niederösterreichische Städte, wie Mistelbach, meine Geburtsstadt, Zwettl, Horn und Wiener Neustadt, um unser Programm zu präsentieren, außerdem ist auch immer ein Schauspieler oder eine Schauspielerin mit einer kleinen Lesung dabei. Ein wesentlicher Punkt ist die Theatervermittlung, das heißt, unser vielfältiges Angebot für Schulen und Kindergärten. Diese Präsentationen werden wir weiter fortsetzen - am 27. Juni sind wir zu Gast in Krems im Kino im Kesselhaus, wir freuen uns auch über Einladungen.

noe.ORF.at: Stichwort Gastspiele: In dieser Woche gastiert das Thalia Theater Hamburg, auch in der kommenden Saison sind wieder vier Gastspiele internationaler Bühnen geplant. Wie wichtig ist es, über den „Tellerrand“ zu schauen?

Rötzer: Die Gastspiele, internationale Koproduktionen und die Zusammenarbeit mit RegisseurInnen aus anderen Ländern sind Quellen der Inspiration. In der Theaterkunst geht es immer um gegenseitigen Austausch. Wir wollen am Landestheater Niederösterreich ein „Fenster zur Welt“ zu sein.

noe.ORF.at: Ihr Vertrag als Künstlerische Leiterin geht bis zur Saison 2020/21. Was möchten Sie bis zu diesem Zeitpunkt umsetzen, verwirklichen, erreichen? Was ist Ihre persönliche Vision von Theater?

Rötzer: Das Landestheater Niederösterreich soll seinen kulturpolitischen Auftrag erfüllen, der der Stadt und dem Land hilft, eine kulturelle Identität zu geben. Nicht zuletzt dadurch, dass ich versuche, großartige SchauspielerInnen, mutige RegisseurInnen und ein möglichst großes Publikum zu verführen, ins Landestheater zu kommen. Wichtig bleibt dabei, in einer künstlerischen Radikalität kritische Fragen zu stellen und Experimente in Form und Inhalt zu wagen. Auch deshalb, um damit Zuschauer und Zuschauerinnen zu erreichen, die nicht so leicht den Weg ins Theater finden.

Die Fragen an Marie Rötzer stellte Reinhard Linke, noe.ORF.at

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