Hohe Suizidgefährdung bei Flüchtlingen

Viele Flüchtlinge erleben auf der Flucht oder in ihrer Heimat Gewalt. Jeder Zweite leidet deshalb unter einem Trauma, viele unternehmen auch Suizidversuche. Bei Jefira, einem St. Pöltner Therapie-Zentrum der Diakonie, bekommen sie Hilfe.

Krieg, Folter, Entführungen - in Tschetschenien gehörte all das für den 43-jährigen Achmed zum Alltag. Mit seiner Flucht nach Österreich wollte er dieses Leben vor vier Jahren eigentlich hinter sich lassen. Doch die Bilder im Kopf verfolgen ihn bis heute. „Es ist zwar schon 14 Jahre her, dass ich gefoltert wurde. Doch trotz der langen Zeit konnte ich dieses Grauen nicht alleine bewältigen.“

Flüchtlinge Trauma Therapie Diakonie

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Krieg und Folter konnte Achmed zum Glück hinter sich lassen, die Erinnerungen daran werden jedoch für immer bleiben

Immer wieder kämpfte Achmed deshalb mit Schlafproblemen: „Ich hatte starke Alpträume und tagsüber habe ich mich immer verfolgt gefühlt. Ich habe einfach keinen Weg gefunden, selbstständig hier rauszukommen.“ Vor zwei Jahren begann er deshalb bei Jefira, einem interkulturellen Psychotherapiezentrum in St. Pölten, eine Therapie.

Fünf bis zehn Neuanmeldungen pro Woche

Der 43-Jährige ist dort kein Einzelfall. Derzeit werden etwa 300 Personen betreut, darunter auch viele Kinder und Jugendliche. Und der Bedarf steigt, jede Woche melden sich fünf bis zehn neue Betroffene an. Deutschen Studien zufolge leidet sogar jeder zweite Flüchtling mit Gewalterfahrung unter einer posttraumatischen Belastungsstörung.

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Seit mehr als zehn Jahren bietet Jefira in St. Pölten therapeutische Hilfe

Die Folgen sind für alle meist ähnlich, schildert Elisabeth Klebel, Leiterin von Jefira: „Die Menschen können nicht schlafen, teilweise können sie nicht essen, dadurch können sie sich nicht konzentrieren und haben Probleme damit, bei Deutschkursen oder in der Schule mitzukommen.“ Die Erlebnisse können zwar nicht einfach gelöscht werden, durch die Therapie lernen sie aber, ihre Erinnerungen zu kontrollieren und damit zu leben.

Betroffene kämpfen mit „Flashbacks“

Dennoch kämpfen im Alltag viele mit „Flashbacks“, weiß Klebel: „Das ist im Prinzip die Erinnerung an eine traumatische Situation, wo ich etwa Angst um mein Leben hatte.“ Als Beispiel nennt die Therapeutin: „Wenn ich im Krieg bin und neben mir Bomben explodieren, friert sich dieses Bild in meinem Kopf ein. Und wenn ich nun ein Geräusch höre, das ich damit verbinde, etwa ein Flugzeug“, würden die Erlebnisse automatisch wieder in Erinnerung gerufen.

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Weil die Betroffenen in ihrer Muttersprache erzählen sollen, werden die Therapiesitzungen fast zur Gänze mit Dolmetschern geführt

Lange Asylverfahren oder die Berichterstattung in den Medien, etwa über Abschiebungen, sorgen für zusätzliche Ängste. Laut den deutschen Studien würden vier von zehn Betroffenen einen Suizidversuch unternehmen, bei den Kindern ist es jedes Dritte.

Hilfe im Krisenfall

Berichte über (mögliche) Suizide können bei Personen, die sich in einer Krise befinden, die Situation verschlimmern. Die Psychiatrische Soforthilfe bietet unter 01/313 30 rund um die Uhr Rat und Unterstützung im Krisenfall. Die österreichweite Telefonseelsorge ist ebenfalls jederzeit unter 142 gratis zu erreichen.

Diakonie fordert mehr Therapieplätze

Die Therapeutin appelliert deshalb, hier möglichst rasch zu helfen und die Wartezeiten auf einen Therapieplatz - oft mehr als ein Jahr - zu verkürzen: „Wenn ich eine Verletzung sofort verbinde, dann kann es schneller abheilen, ansonsten chronifiziert es sich.“ Es bestehe somit die Gefahr, dass die Erlebnisse noch „stärker zur Belastung werden und auch die Therapie deutlich länger braucht.“

Achmed hat mittlerweile gelernt, mit seinen Erlebnissen umzugehen. Anstatt wie früher wütend zu werden, schöpft er aus der Therapie heute neue Kraft. Gleichzeitig ist er dankbar, am Leben zu sein und keine Schmerzen zu haben. „Das ist etwas, dem ich früher weniger Gewicht gegeben habe, ich bin aber auch dankbar, dass ich hier in Sicherheit bin und dass ich ein Dach über dem Kopf habe.“

Stefan Sailer, noe.ORF.at

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