Schwechat: Nestroy ins Jetzt geholt

„Der böse Geist Lumpazivagabundus oder Das liederliche Kleeblatt“ ist eine der bekanntesten Zauberpossen, die Johann Nestroy geschrieben hat. Peter Gruber hat das Stück für die Nestroy Spiele Schwechat in die Jetztzeit transferiert.

Die schöne, heile Welt des „Biedermeier“ ist aus den Fugen. „Überall Chaos, Dreck, Armut und Niedergang. Die Jugend verspielt scheinbar leichtfertig ihre Zukunft, die alten Werte zählen nichts mehr. Rasch finden die Reichen und Mächtigen des Landes einen Schuldigen: den bösen Geist ‚Lumpazivagabundus‘“, sagt Peter Gruber, Intendant der Nestroy Spiele Schwechat, Nestroy-Preisträger und Regisseur von „Der böse Geist“.

Der böse Geist Nestroy Spiele Schwechat

Christine Bauer

„Die Welt steht auf kein’ Fall mehr lang“, singt der Schuster Knieriem im „Lumpazivagabundus“

Sendungshinweis

„Theaterfest“, 30.6.2016

Um ihn zu bannen, machen sie ein Experiment: sie verhelfen drei arbeits- und obdachlosen Burschen mittels eines manipulierten Lotto-Gewinns zu großem Reichtum. Mit Geld sollen sozialer Friede, Recht und Ordnung wiederhergestellt werden.

Gruber: „Vieles von Nestroy erinnert an das Heute“

Es gehe um die zeitgemäße Interpretation der sogenannten „Klassiker“ Nestroys, meint Intendant Peter Gruber. Seit mehr als vier Jahrzehnten ist der Großneffe Gustaf Gründgens’ in Schwechat tätig, um „Nestroy pur“ zu zeigen, weit weg von den Lustspiel-Klischees.

noe.ORF.at: Warum haben Sie sich für dieses Stück entschieden?

Peter Gruber: Zu unseren selbstgestellten Aufgaben gehört nicht nur die Wiederentdeckung und Rehabilitation selten oder nie gespielter Stücke Nestroys, sondern auch die zeitgemäße Interpretation der sogenannten „Klassiker“. „Lumpazivagabundus“ war und ist ein äußerst erfolgreicher, genialischer Wurf, der jedoch in seiner langen und erfolgreichen Aufführungsgeschichte nur allzu oft zum musealen Lustspiel-Klischee umfunktioniert wurde. Er erzählt in Wahrheit nicht nur etwas über menschliche Unzulänglichkeiten, sondern auch sehr viel über die damalige prekäre gesellschaftliche Lage, die in Vielem an heute erinnert.

Peter Gruber mit Nestroy-Preis

APA/Georg Hochmuth

Peter Gruber mit dem Nestroy-Spezialpreis 2014

noe.ORF.at: Wo sehen Sie Ihren Spielort im Gesamtauftritt des Theaterfests positioniert?

Gruber: Sozialkritisches, politisches Unterhaltungstheater in der „Vorstadt von Wien“, ausschließlich auf Basis der blitzgescheiten und höchst vergnüglichen Texte eines der größten und bedeutendsten Autoren des deutschsprachigen Theaters.

noe.ORF.at: Wie sehen Sie Ihren Spielort in drei Jahren? Wie wollen Sie ihn entwickeln?

Gruber: Inhaltlich hängt das von den gesellschaftlichen Entwicklungen und Befindlichkeiten der nächsten Jahre ab, auf die wir so reagieren wollen, wie es Nestroy selbst getan hat bzw. heute tun würde. Wenn man sucht, wird man bei ihm Entsprechendes zu den jeweiligen Themen finden. Er hat ja sehr genau hingeschaut auf die Menschen und die von ihnen geschaffenen Verhältnisse - durch seine Zeit hindurch bis ins Heute.

Formal muss man sich natürlich immer dem jeweiligen Stück anpassen, es soll aber eingebettet sein in das ganz spezielle Ambiente des Spielorts im wunderbaren Schlosshof der Rothmühle. Dabei erfordern die zur Verfügung stehenden, eher geringen finanziellen Mittel von uns immer sehr viel Phantasie, Improvisationstalent und das unentgeltliche Engagement zahlloser Mitarbeiter. Das ist mitunter ärgerlich, weil wir ungewollt Abstriche machen müssen, oft aber auch anregend, weil es zur Kreativität zwingt.

noe.ORF.at: Warum glauben Sie, dass die Besucherinnen und Besucher zu Ihnen kommen? Wegen des Stücks, der Inszenierung, des Ambientes oder der Region?

Gruber: Wegen des Gesamtpakets. Die Nestroy-Spiele haben sich in den 43 Jahren ihres Bestehens einen hervorragenden Ruf als „Hecht im Karpfenteich“ des Sommer-Theaters erworben. Egal, was wir spielen: wer freche Unterhaltung mit Tiefgang in einem zauberhaften Ambiente sehen möchte und einmal bei uns war, kommt meist wieder.

noe.ORF.at: Was ist die Botschaft des Stücks?

Gruber: In den 30er-Jahren des 19. Jahrhunderts, als der „Lumpazi“ entstand, geriet die „schöne, heile Welt des Biedermeier“ ziemlich rasch aus den Fugen. Das Zugrundegehen des Mittelstands aufgrund der rapiden Industrialisierung, das krasse Auseinanderklaffen der Schere zwischen Arm und Reich, Ausbeutung, Massenarbeitslosigkeit und Massenzuwanderung aus den fremdsprachigen Kronländern waren Phänomene, denen die Verantwortungsträger des Landes eher hilf-, rat- und verständnislos gegenüberstanden. Im Stück finden sie nur allzu rasch einen Schuldigen für die Misere: den bösen Geist „Lumpazivagabundus“.

Um ihn zu vertreiben, machen sie ein Experiment: sie verhelfen drei arbeits- und obdachlosen Burschen aus der Unterschicht mittels eines manipulierten Lotto-Gewinns zu großem Reichtum. Mit Geld, meinen sie, könnten sozialer Friede, Recht und Ordnung wiederhergestellt werden, was natürlich kläglich misslingt. Alles in allem ist „Lumpazivagabundus“ eine unprätentiöse Bestandsaufnahme menschlicher Widersprüche und Unzulänglichkeiten in einem ökonomisch und sozial höchst angespannten Umfeld.

noe.ORF.at: Wie setzen Sie Ihren Spielort bzw. die Bühnenmöglichkeiten in Ihre Inszenierung ein ?

Gruber: Prinzipiell ist der Schloßhof als Ganzes für uns jener theatralische Kosmos, in den wir die Zuschauer für ein paar Stunden entführen wollen. Heuer spielen wir zur Abwechslung wieder einmal in und vor dem Globetheatre-ähnlichen Holzgebäude in der Rothmühle, und wie immer bis hinein in die Zuschauer-Reihen.

noe.ORF.at: Wovor haben Sie Angst? Vor Regen, dem Publikum, kranken Hauptdarstellern, Kritikern oder als Sommertheaterregisseur bezeichnet zu werden?

Gruber: Nur vor unfreundlichen Wetterkapriolen und dem Ausfall eines oder gar mehrerer unersetzlicher Mitarbeiter.

Das schreiben die Kritiker

„Man zeigt vor allem engagiertes, ernst genommenes Theater: Ein Theater, in dem sich gesellschaftspolitischer Anspruch und Unterhaltung mischen sollen! (…) In Schwechat geht es um den Klassenkampf. Regisseur Peter Gruber sorgt für klare Verhältnisse. Hier reich, dort arm. Das bedeutet: Hier böse, dort gut. Aktienkurse rattern gleich zu Beginn über Leuchtbänder und stehen für die liberalisierte Wirtschaftswelt. Und schafft es einer von unten nach oben, dann leidet der Charakter."
Oliver A. Láng, "Kronen Zeitung“

„Mein Gott, Lumpazivagabundus! Dutzende Mal gesehen, nichts Neues erfahren. Dazu muss man zu Peter Gruber kommen. 37 Darsteller, meist nicht professioneller Herkunft, bändigt er… ja, sagen wir es doch: genial zu einer mitreißenden Show mit moralischem Anspruch. So viel Kapitalismuskritik auf einer Bühne gibt’s selten. (…) Alles sind Opfer der Gier, der eigenen wie der Gesellschaft. Selbst Leim, der doch sein Glück finden sollte, wird nur zum Großhändler mit drohendem Herzinfarkt.“
Thomas Jorda, „Niederösterreichische Nachrichten“

„Leere Aludosen, Plastikflaschen, Papierfetzen vermüllen die betontrübe Bühne. Im Hintergrund blinkt – für Sommertheater gewöhnungsbedürftig – einsam ein Weihnachtsbäumchen. Kein Stern steht aber am Himmel, sondern es ziehen die Börsenkurse darüber hinweg. Wo einer gewinnt, verliert ein anderer. (…) Das alles ist so turbulent und klug gemacht, dass es eine Freude ist. Das Ordinäre als Extraordinäres. Ein Volkstheater im besten Sinn ist, was hier gute zwei Stunden lang über die Bühne geht.“
Michael Wurmitzer, „Der Standard“

Mehr über „Der böse Geist“

Die Premiere von „Der böse Geist“ in der Rothmühle in Schwechat ist am 25. Juni. Weitere Vorstellungen sind von 28. Juni bis 30. Juli jeden Dienstag, Mittwoch, Freitag und Samstag, Beginn: 20.30 Uhr.

Mitwirkende: Valentin Frantsits, Max Gruber-Fischnaller, Eric Lingens, Bella Rössler, Maria Sedlaczek, Franz Steiner u.a.
Intendanz und Regie: Peter Gruber

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