„Wunder von Lassing“ ist noch „heute belastend“

Auf das schlimmste Bergwerksunglück der Zweiten Republik mit zehn Toten folgte vor 20 Jahren das „Wunder von Lassing“: Bergmann Georg Hainzl wurde gerettet. Der Niederösterreicher Leopold Abraham wurde damals zufällig Einsatzleiter.

„Ich verkünde euch eine große Freude, Georg lebt.“ Diese Meldung ging am 26. Juli 1998, vor genau 20 Jahren, um die Welt, als das „Wunder von Lassing“. Nach neun Tagen in 65 Metern Tiefe und ohne Nahrung wurde der Bergmann Georg Heinzl - beinahe unverletzt - geborgen. Es war ein Moment der Freude, während das Grubenunglück zur schlimmsten Bergwerkskatastrophe in der Zweiten Republik wurde.

Abraham koordiniert die Rettung in Lassing
Nach neun Tagen konnte Georg Hainzl lebend gerettet werden. Leopold Abraham hatte damals als Erster Kontakt zum verschütteten Bergmannn.

Den Ausgang nahm das Unglück am 17. Juli 1998. Durch die Ortschaft Lassing (Steiermark) ging plötzlich ein Riss. Zunächst stürzte ein Haus ein. Wenig später war klar, dass unter der Erde ein Stollen eingebrochen war und damit Hainzl gefangen war. Zehn Kumpel wollten ihm helfen, fuhren in den Schacht hinunter und wurden nach einem zweiten Einsturz ebenfalls eingeschlossen.

Ein Einsatz unter sehr gefährlichen Umständen

Für die Rettungsmission bat die Bergbaufirma die OMV um Hilfe. Der heute 71-jährige Leopold Abraham aus Angern an der March (Bezirk Gänserndorf) war damals - an einem Freitagnachmittag - einer der letzten im Büro, als er einen Anruf des Berghauptmanns von Lassing bekam: „Er hat mich ersucht, ob wir mit Personal und Equipment helfen können.“ Abraham fragte bei seinen Bohrchefs nach, und „die haben mir gesagt, dass wir mit den damaligen Anlagen, die zur Verfügung standen, nicht helfen können.“

Lassing Grubenunglück Rettung Hainzl Abraham

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Die Bilder und Emotionen lassen Leopold Abraham (l., im Gespräch mit Stefan Sailer) auch 20 Jahre nach dem Unglück noch nicht los

Dennoch improvisierte Abraham - mithilfe deutscher Bohrfirmen - sofort die Rettungsmission und machte sich auf den Weg nach Lassing, zu einem Einsatz, der zuvor nie geübt wurde. „Wir hatten natürlich auch Angst, dass sich die Gebäude, die um uns herum standen, bewegen“, ein Wohnhaus war immerhin bereits im Erdloch versunken. Bei einem Stockhaus wurde mit Laserstrahlen kontrolliert, ob es sich bewegt. „Und es hat sich auch ganz leicht Richtung Grube bewegt, also eine sehr gefährliche Situation“, erinnert sich Abraham.

Druck von Medien, Familien und Schaulustigen

Heftige Regenfälle erschwerten die Arbeit. Doch bereits einen Tag nach dem Unglück bohrten die Helfer 65 Meter in die Tiefe Richtung Jausenstation, in der es von Hainzl das letzte Lebenszeichen gegeben hatte. Allerdings wussten sie nicht, ob der Bergmann zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch lebte. Gleichzeitig belagerten immer mehr Medien, Schaulustige und Verwandte die Unglücksstelle, wodurch der Druck auf die Helfer stieg.

Lassing Grubenunglück Rettung Hainzl Abraham

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Hunderte Medienvertreter verfolgten über Wochen die Bohrarbeiten in Lassing

Nach neun Tagen Bohren gab es den großen Durchbruch. „Ich habe dann durch das Loch hinuntergerufen: ‚Georg, bist du da unten?‘ Und er hat zurückgeschrien: ‚Ja, ich bin’s, der Georg.‘ Dieser Moment war natürlich eine Freude, denn von da an wussten wir, er lebt.“ Mit einer Rettungskapsel wurde Hainzl schließlich nach oben gezogen.

Neue Hoffnung für Bewohner und Angehörige

Den Bewohnern gab die Rettung Hoffnung, auch die anderen zehn verschütteten Kumpel zu finden. Vier Wochen lang wurden die Bohrarbeiten fortgesetzt. Für Abraham waren diese Wochen jedoch eine belastende Zeit: „Es waren ja oft die Familien, Kinder und Frauen vor Ort. Das war schon ein Druck, denn immer wenn wir irgendwo durchgebohrt hatten, haben die Kinder gefragt, ob der Papa da unten ist“, erzählte der ehemalige OMV-Mitarbeiter.

„Ich wusste aber nicht, ob wir die jemals finden würden, und das hat schon belastet. Das hat die Freude über die Rettung von Georg Hainzl doch wieder gedämpft“, schilderte Abraham. Nach fünf Wochen wurde die Suche - ohne Erfolg - abgebrochen. „Es bleibt zwar immer ein kleines Restrisiko, aber wir waren uns sicher, dass leider keiner überlebte.“

In Lassing gibt es einen „Mantel des Schweigens“

Heute erinnert eine Gedenkstätte an den Unglücksort, zehn Grabsteine für die zehn Toten. Über das Unglück will in Lassing hingegen kaum noch jemand reden. Auch Abraham, der vor drei Jahren das letzte Mal in Lassing war, schloss dieses Thema für sich ab. „Ich habe damals zufällig eine Frau getroffen, die ihren Sohn verloren hat, habe mit ihr eine Weile gesprochen, dann sind die ganzen Erinnerungen wieder gekommen.“

Lassing Grubenunglück Rettung Hainzl Abraham

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Zehn Grabsteine erinnern heute an die zehn Toten des Bergwerksunglücks

Ein letztes Mal sah sich Abraham nochmals die Gegend an und ging um das Bergwerk herum. „Danach habe ich für mich damit abgeschlossen, denn die Emotionen steigen sonst immer wieder in mir an. Die Situation ist für mich auch heute noch belastend.“

Stefan Sailer, noe.ORF.at

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