„Namensturm“ erinnert an Novemberpogrome

Am Freitag jähren sich in Österreich und in Niederösterreich die Novemberpogrome gegen Juden zum 80. Mal. Eine Lichtinstallation erinnert an die Gräueltaten des Nazi-Regimes: Der Uniqa-Tower in Wien wird zum „Namensturm“.

Beim „Namensturm“ handelt es sich um eine gemeinsame Initiative des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstands (DÖW), der Uniqa Insurance Group und der Raiffeisen-Holding Niederösterreich-Wien.

In den Nächten bis zum 11. November kann man auf der Fassade des Uniqa-Towers am Donaukanal im zweiten Wiener Gemeindebezirk die Namen 68 ermordeter Menschen lesen. Auf der Fassade des 75 Meter hohen Büroturms sind in einer zwölfminütigen Endlosschleife in Leuchtschrift die Namen der Ermordeten zu sehen, dreireihig, die einzelnen Buchstaben der Namen erstrecken sich dabei über vier Stockwerke des Uniqa-Towers.

Namenstower Pogromnacht UNIQA Tower Wien

Kapp Hebein Partner GmbH/APA-Fotoservice/Juhasz

Am Donaukanal, gegenüber der Urania, steht der Uniqa-Tower: 68 Namen erinnern an 68 von den Nationalsozialisten ermordete Jüdinnen und Juden

Die 68 Namen sind nicht zufällig gewählt. Dabei handelt es sich nämlich um jene 68 von den Nazis ermordeten Menschen, die vor ihrer Deportation in den Häusern Ferdinandstraße 12-18 und Untere Donaustraße 23-25 - dem heutigen Standort des Versicherungsunternehmens - wohnten. Sie sollen stellvertretend für alle österreichischen Holocaust-Opfer stehen, heißt es vom DÖW.

„Gegen jede Form des Antisemitismus kämpfen“

Bei der Präsentation des „Namensturms“ am Dienstagabend hieß es, dass es Uniqa und der Raiffeisen-Holding Niederösterreich-Wien wichtig sei, ein Zeichen der Erinnerung und des Gedenkens zu setzen, mit einer klaren Botschaft für Gegenwart und Zukunft. Raiffeisen-Obmann Erwin Hameseder: „Niemals wieder dürfen Verhetzung und Hass unser Land und unsere Gesellschaft derart bestimmen und zu Taten verleiten, die gegen alles gehen, was uns als Menschen ausmacht.“

Andreas Brandstetter, Vorstandsvorsitzender von Uniqa Insurance Group, ergänzte: „Mit dem Namensturm am Tor zum zweiten Bezirk setzen wir ein sichtbares, starkes Zeichen der Erinnerung, das symbolisch für alle österreichischen Holocaustopfer steht.“

Namensturm UNIQA Tower Eröffnung Kurz Hameseder Baumgartner Brandstetter

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Bei der Präsentation des „Namensturms“: Sebastian Kurz, Erwin Hameseder, Gerhard Baumgartner und Andreas Brandstetter (v. r. n. l.)

Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) würdigte diese gemeinsame Initiative von Raiffeisen, Uniqa und DÖW. „Ich halte es für eine besonders wichtige Geste, dass über das offizielle Österreich hinaus auch Privatinitiativen im Gedenkjahr an die dunkelsten Momente unserer Geschichte erinnern.“ Es sei die Aufgabe von allen, niemals zu vergessen und die richtigen Lehren daraus zu ziehen. „Wir müssen daher gegen jede Form von Antisemitismus entschieden kämpfen. Der Namensturm steht als Symbol ehrenden Gedenkens an die Opfer dieser grausamen Verbrechen“, so der Bundeskanzler.

Ein Drittel der Juden wurde ermordet

Laut Volkszählung 1934 lebten in Niederösterreich 7.716 Personen, die sich zum mosaischen Glauben bekannten. „Die nationalsozialistischen Nürnberger Gesetze, die ab ‚Anschluss‘ im März 1938 auch in Österreich galten, definierten Jüdinnen und Juden nicht nur über die Religionszugehörigkeit, wodurch die Zahl der Verfolgten etwas höher sein wird“, so das DÖW.

Der Großteil dieser knapp 8.000 Jüdinnen und Juden verließ noch 1938 ihre Gemeinden, um entweder sofort aus dem Land zu fliehen oder in Wien die notwenigen Dokumente für eine Flucht zu organisieren. Die 15 Kultusgemeinden in Niederösterreich wurden bis Mitte 1940 aufgelöst, im März 1940 lebten einer amtlichen Erhebung entsprechend noch 262 „Glaubensjuden“ in Niederösterreich. „Es ist davon auszugehen, dass etwa ein Drittel der niederösterreichischen Jüdinnen und Juden (vom Zensus 1934) deportiert und ermordet wurden“, so die Auskunft des DÖW.

Synagoge Klosterneuburg November 1938

DÖW

Die Synagoge in Klosterneuburg wurde im Zuge des Novemberpogroms 1938 in Brand gesteckt. Das Foto wurde vom SA-Bildberichter der Standarte 42 aufgenommen.

Eine Kultusgemeinde gibt es nur mehr in Baden

Viele der in der Pogromnacht und später schwer beschädigten Synagogen wurden erst in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg endgültig abgerissen. Als Beispiele seien die Synagoge von Groß-Enzersdorf (1961) genannt und jene in Wiener Neustadt (1953), Mistelbach und Krems (in den 1970er Jahren), Neunkirchen (1984), Mödling (1987) und Klosterneuburg (1991).

„Auch der Abriss der Synagoge in Baden war schon beschlossen, konnte aber durch eine 2004 begonnene Renovierung bzw. Instandsetzung verhindert werden. Heute gibt es in Niederösterreich lediglich eine Kultusgemeinde, nämlich jene in Baden. Bei allen anderen Kultusgemeinden in Niederösterreich ist das nicht mehr gelungen“, so Stephan Roth vom DÖW.

Mit dem Handy mehr über die Schicksale erfahren

Das Gedenken an die Novemberpogrome 1938 nimmt das Dokumentationsarchiv auch zum Anlass, sein Onlinetool Memento.wien zu erweitern. Über diese Website kann man sich über die Schicksale zahlreicher Opfer des Nazi-Regimes informieren. Auf einer Wien-Karte ist die jeweils letzte Wohnadresse eingetragen. Klickt man auf den Standort, bekommt man biografische Informationen. Oft sind zusätzliche Dokumente wie Fotos der Person oder des damaligen Gebäudes, Deportationslisten oder Todesbescheinigungen abrufbar.

Synagoge Klosterneuburg November 1938

DÖW

Die Synagoge in Klosterneuburg nach dem 10. November 1938

Dank Smartphone-Tauglichkeit und Verwendung von Georeferenzierung sowie GPS-Standortbestimmung können Interessierte so auf ihren Spaziergängen durch die Stadt die Geschichte der jeweiligen Umgebung virtuell erforschen und mehr über die Schicksale der Verfolgten und damit auch über die Entrechtung, Vertreibung und Ermordung der österreichischen Jüdinnen und Juden erfahren.

Bis dato wurden die Innenstadt sowie die Leopoldstadt - vormals Zentrum des jüdischen Lebens in Wien - systematisch erfasst. Ab sofort sind auch eine Reihe anderer Bezirke abrufbar: Landstraße, Wieden, Margareten, Mariahilf, Neubau, Josefstadt, Alsergrund, Meidling, Penzing, Rudolfsheim-Fünfhaus, Ottakring und Floridsdorf. Laut DÖW umfasst die Datenbank damit mehr als 50.000 Todesopfer, derer nun gedacht werden kann. Gerhard Baumgartner, wissenschaftlicher Leiter des DÖW: „Es schafft einen virtuellen Gedenkraum, der uns die Geschichte der Stadt näher bringt und an die verfolgten und ermordeten Kinder, Frauen und Männer erinnert.“

Reinhard Linke, noe.ORF.at

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