Wolfsforschung: Ernstbrunn als Vorreiter

Am Wolfsforschungszentrum (Wolf Science Center, WSC) Ernstbrunn werden seit zehn Jahren Verhaltensweisen von Hunden und Wölfen erforscht. Das Konzept der Forschungseinrichtung gilt als weltweit einzigartig.

Bereits 2008 begannen die Verhaltensforscher Kurt Kotrschal, Friederike Range und Zsofia Viranyi ihre Arbeit mit Wölfen - damals noch an der Konrad Lorenz Forschungsstelle (KLF) in Grünau im Almtal (Oberösterreich). Um ihre Forschungsziele zu realisieren, gründeten die Wissenschafter einen Verein und zogen nach einem Jahr mit den Tieren nach Niederösterreich, wo sie im Wildpark Ernstbrunn (Bezirk Korneuburg) optimale Bedingungen vorfanden.

Seit zehn Jahren werden am Wolfsforschungszentrum Ernstbrunn die sozialen und geistigen Fähigkeiten von Wölfen und Hunden sowie Gemeinsamkeiten zwischen Wolf, Hund und Mensch untersucht. Das Zentrum habe sich in dieser Zeit „zu einer international anerkannten Forschungsinstitution entwickelt, wir sind weltweit einmalig“, sagte WSC-Leiterin Friederike Range.

Forscherin des Wolfsforschungszentrum in Ernstbrunn

APA/Hans Klaus Techt

Unterschiede in der Genetik zwischen Hund und Wolf

„Weltweit einmalig“ ist vor allem das Konzept des WSC, mit gleich aufgezogenen Tieren zu arbeiten: „Wir haben handaufgezogene Wölfe und Hunde, die genau die selbe Erfahrung haben. Beide leben in Gehegen mit Artgenossen zusammen und bilden Rudel. Dadurch können wir die Hunde und Wölfe miteinander vergleichen“, sagte Range. Festgestellte Unterschiede im Verhalten könnten so etwa auf einen genetischen Hintergrund hindeuten.

Elf Hunde und 15 Wölfe - amerikanische Grauwölfe, die Menschen gegenüber weniger scheu sind als ihre europäischen Artgenossen - leben derzeit in verschiedenen kleinen Rudel von bis zu vier Tieren auf rund 20.000 Quadratmetern Fläche. Für die wissenschaftliche Arbeit stehen ein Forschungsgebäude, Testgehege und ein Laufband zur Verfügung.

Wölfe teilen Futter, Hunde verteidigen es

Eine der Hauptfragen der Wissenschafter ist, wie sich Hunde durch die Domestikation in ihren sozialen und kognitiven Fähigkeiten von den Wölfen unterscheiden. Das soll auch ermöglichen, die Partnerschaft zwischen Hund und Mensch besser zu verstehen. Die Arbeit der vergangenen Jahre habe hier „sicherlich ein bisschen das Bild von Wolf und Hund geändert“, meinte Range.

So sei man zu Beginn der Arbeit von den toleranten und artigen Hunden und den - auch gegenüber Artgenossen - aggressiveren Wölfen ausgegangen. „Wir konnten zeigen, dass der Wolf ein sehr tolerantes Tier ist, vor allem gegenüber seinen Artgenossen. Er ist sehr kooperativ und arbeitet viel besser mit seinen Artgenossen zusammen als der Hund mit anderen Hunden“, so Range. Hunde würden ihr Futter viel mehr verteidigen, Wölfe dagegen eher auch teilen, vor allem mit Rudelmitgliedern.

Forscherin des Wolfsforschungszentrum in Ernstbrunn

APA/Hans Klaus Techt

Forscher: „Wolf ist sehr intelligent und sozial“

Jüngste Versuche hätten gezeigt, dass der Wolf auch sehr gut mit Menschen kooperiere, allerdings auf Augenhöhe, als Partner, der auch Verhalten initiiere, während der Hund eher Anweisungen folge. „Es gibt viele Unterschiede, wo der Wolf sich als sehr intelligentes und soziales Tier erweist“, so Range.

Mehr als 50 Arbeiten, die in angesehenen Journalen veröffentlicht wurden, sind laut Kotrschal der bisherige wissenschaftliche Output des WSC. Das Zentrum gehört seit zwei Jahren zum Konrad Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung der Veterinärmedizinischen Uni, wo Range auch eine Professur für Domestikation erhalten hat. Der Weg dorthin war nicht immer einfach: „Dass wir die ersten Jahre überstanden haben, ohne in Konkurs zu gehen und im Gefängnis zu landen, ist schon eine ziemliche Errungenschaft“, sagte Kotrschal zur APA. Die Eingliederung in die Uni habe die Gründer „von der unternehmerischen Verantwortung und Haftung befreit“, so der Verhaltensforscher.

Zentrum mittlerweile universitär verankert

Trotz der universitären Verankerung sind die Wissenschafter für ihre Arbeit auf die Einwerbung von Drittmittel, Spenden und Sponsoren angewiesen, um die aufwändige Tierhaltung und weitere Forschungen zu finanzieren. Dazu wurde auch eine im Eigentum der Vetmeduni stehende GmbH gegründet, die etwa die Besucherprogramme des WSC abwickelt. „Wir müssen so viel Geld verdienen, dass sich der Betrieb erhält“, so Kotrschal. Mittlerweile arbeiten mehr als 20 Personen am Zentrum, neben sieben Tiertrainerinnen und drei Post-Docs auch rund ein Dutzend Doktoranden und Studenten.

Für die künftige Arbeit gibt es schon viele Ideen: Das Thema Kooperation wird die Wissenschafter auch in den nächsten Jahren beschäftigen, ebenso die Mensch-Tier-Beziehung sowie die Fragen, wie Hormone bestimmte Verhaltensweisen unterstützen, und wie die Tiere ihre Umwelt wahrnehmen und verstehen.

Forscherin des Wolfsforschungszentrum in Ernstbrunn

APA/Hans Klaus Techt

60.000 Besucher wollen jährlich Wölfe sehen

Verstärkt werden soll die Freilandforschung: Anhand frei lebender Hunde in Marokko, „wollen wir verstehen, wie die Tiere mit Artgenossen umgehen, wenn der Mensch nicht in der Nähe ist“, so Range. Andererseits sollen freilebende Wölfe in Italien beobachtet werden. Ziel dieser Arbeiten ist es, die Thesen zur Domestikation zu überprüfen und herauszufinden, ob die Forschung in Gehegen repräsentativ ist.

Für den Wildpark Ernstbrunn hat sich die Ansiedlung der Wölfe jedenfalls bezahlt gemacht: Mit jährlich mehr als 60.000 Besuchern sei er die meistbesuchte Institution im Weinviertel, betonte Kotrschal.

Austria Presse Agentur (APA)